Epilog

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Drei Stunden und Achtundvierzig Minuten. So schnell war er noch nie wieder zurück. Es ging so schnell, dass ich beinahe zu spät das Serum gespritzt hätte, das ihn zurück in das Koma versetzt. Er hat mich ganz schön überrumpelt.

Ich muss tatsächlich leise kichern. In dem kühlen Labor hört mich zum Glück niemand, ich bin heute die Einzige in der Nachtschicht. Mein eingeteilter Partner wurde spontan verhindert. Herold bekam gestern das erste Mal Brechreiz von der Strahlung, welche uns hier im Testraum permanent umgibt.

Yuro erwähnte so etwas zu Beginn unserer Experimente vor knapp fünf Jahren. Die Kotzerei ist nervig, aber ungefährlich und außerdem Gewöhnungssache. Ich bin mittlerweile zum Glück immun.

Vielleicht werde ich deshalb so oft eingesetzt. Yuro mag mich, weil ich tue, was getan werden muss. Und ich bin zäh, nicht nur was Strahlungen betrifft.

Ich greife zu Block und Stift auf einem Klemmbrett und fühle mich dabei sehr altmodisch. Aber ich schreibe eben selbst im dreiundzwanzigsten Jahrhundert noch gerne auf Papier.

Um mich herum liegen zehn Jugendliche auf sterilen OP-Stühlen. Jeder an einen Computer, ein Beatmungsgerät und einen Messsensor angeschlossen. Das ist die heruntergebrochene Version, in Wahrheit weiß selbst ich nicht, wozu die Hälfte dieser Kabel, Schläuche und Nadeln gedacht sind.

Aber das ist in Ordnung, immerhin bin ich nicht Teil des Mechaniker-teams, sondern gehöre zur Forschungseinheit. Am wichtigsten sind sowieso die Neuron-hauben auf ihren Köpfen, damit messen wir alle Hirnaktivitäten und sammeln so die wertvollen Daten. Das habe selbst ich verinnerlicht.

Mein Job ist es lediglich Simulationen zu starten, Ergebnisse nach Relevanz zu sortieren und alles von vorne. Heute ist Mik dran, die anderen befinden sich ohne Messung in der Simulation; quasi als Schauspieler oder Variablen.

Wir bezeichnen unfassbar viele Dinge als Variablem, alles was ich vorher für die Simulation abändern kann, wird so bezeichnet und ihr Effekt später protokolliert.

Beim letzten Durchlauf waren es A1, A7, C2 und E5. A1 hat sich bisher am effektivsten für die Messung emotionaler Kontrolle herausgestellt. Es handelt sich dabei um Nia als Clasher. Damit verbunden sind Miks Gefühle für ihn. A7 beschreibt ebenfalls einen Clasher. Waylon. Seine Freundschaft zu Mik ist in diesem Durchlauf jedoch eher gescheitert. In einem früheren Durchlauf kamen sich beide fast so nahe wie Dean und Akira. In einem anderen hat Mik ihn umgebracht.

Nach allem was ich in den letzten Jahren erlebt habe, fühlt sich diese Arbeit fast wie ein morbides Videospiel für mich an.

Variabel C2 ist eines dieser witzigen Details, eine kleine Unterhaltung für mich persönlich, welche ich gerne mit in die Simulation einfließen lasse. Dabei handelt es sich um eine Stimme in Miks Kopf, die ihm ab und zu moralisch schlechte Dinge einredet. Mir bereitet es Freude diese Stimme selbst zu schreiben, während Mik in der Simulation ist.

E5 dagegen werde ich im nächsten Durchlauf streichen müssen. Die E-Variablen entscheiden darüber an wie viele Details der Wirklichkeit sich Mik im Laufe der Simulation erinnern wird. Fünf war eine viel zu hohe Stufe, ich brauche ihn für die nächste Messung, bei der es um logisch-strategisches Denken gehen soll, etwas unwissender.

Ich betrachte Mik in seinem unruhigen Koma und erinnere mich daran, dass er all das hier vor fünf Jahren nur zugelassen hat, weil er seine Familie vor dem Hungertod retten wollte.

Sie alle hatten ganz eigene Motive. Zane, welcher neben Mik liegt und alles andere als friedlich aussieht, wollte den Platz für seine jüngere Schwester einnehmen. Aurora wurde von ihrer todkranken Tante hergeschickt. Ich erinnere mich daran, dass sie zu Beginn gar nicht hier sein wollte und als einzige Probandin Probleme in den ersten Testdurchläufen gemacht hat, indem sie Spritzen vertauscht oder sich im Testgebäude versteckt und nach Fluchtwegen gesucht hat. Sie ist eine größere Kämpferin, als die gerade beendete Simulation vermuten lässt. Ich beschließe ihrer Variabel im nächsten Durchlauf eine höhere Relevanz einzuordnen.

Auch, wenn wir mit allen Testgruppen solche Vorkommnisse, wie Auroras Rebellion verzeichnen müssen, wurde niemand von Yuro gezwungen, er kann nur sehr überzeugend sein. Ihre Familien wurden für das Abgeben ihrer Kinder in einem klinischen Labor großzügig entschädigt. Es geht hier immerhin um die Rettung der Menschheit.

Die anderen Testgruppen befinden sich im Nebengebäude. Alle Jugendlichen, die im Rahmen unseres Mega-projekts untersucht werden, wurden in verschiedene Beobachtungsgruppen eingeteilt. Ich werde meist in dieser Einheit rund um Mik eingesetzt.

Ein einziges Mal war ich bei Testgruppe Sieben. Die Clasher leben in ihrer Simulation auf einer Raumstation und müssen einen Weg zurück zur Erde finden. Ebenfalls äußerst interessant, jedoch muss ich zugeben, dass mir diese Gruppe hier um mich herum ein wenig ans Herz gewachsen ist.

Ich durfte sie auch durch das monatelange Vorbereitungstraining begleiten. Dort wurden ihnen Fähigkeiten wie kämpfen, hacken oder medizinische Ersthilfe eingeschärft.

Auch, wenn wir hier großen Einfluss auf ihre Gehirne nehmen können, ist es doch noch unmöglich Wissen aus dem Nichts in den nucleus caudatus einzuflößen. Dieser Teil des Gehirns ist für das Erlernen von Bewegungsabläufen und Gaben verantwortlich. Das funktioniert jedoch nur, wenn das Gehirn vorher selbst gelernt hat.

Am besten gelingt es uns den Hippocampus einzuschränken, dessen Aufgaben sich im Erinnern und Langzeitgedächtnis entfalten.

All das fasziniert mich noch immer. Mein Wissenschaftlerinnenherz blüht auf, bei dem Gedanken an die endlosen Möglichkeiten, die uns allein dieses Wissen bieten kann.

Trotzdem habe ich das ursprüngliche Ziel fest vor Augen. Daten sammeln und das, was wir Böse nennen aus dem menschlichen Genpool löschen.

Jetzt linse ich rüber zu Nia, welcher sich in dieser Simulation großartig geschlagen hat. Wie schade, dass seine Messungen schon gestern auf dem Plan standen, es wären famose Daten dabei herumgekommen, hätte ich ihn heute erneut messen können. Aber selbst unsere Hochleistungsserver können nur eine bestimmte Menge an Daten aufnehmen.

Ich beende meine Notizen auf dem Klemmbrett und trete wieder an Mik heran. Es ist Zeit die nächste Simulation zu beginnen. Er startet erneut am Strand, dieses Mal ohne Erinnerungen, die als Visionen auftreten und ohne Kontrollraum. Ich möchte einen langsameren Entwicklungsprozess erwirken. Diese Simulation wird sich für die Clasher länger anfühlen als nur zwei Monate.

Vorsichtig setze ich die Spritze an.

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Das war's... wow, wie findet ihr es??

Vielen Dank an alle, die es bis hierhin geschafft haben <3

Insta: @soul_gazing

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