Kapitel Achtundzwanzig

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Mik

Während ich hoch oben in meinem Turm aus Eis lebe, fühle ich mich einsamer als Wochen zuvor als Mitglied in Clash Rot. Das Leuchten meines Handgelenkes erinnert mich immer wieder schmerzhaft daran und manchmal erwische ich mich sogar dabei, wie ich mir die Tage zurückwünsche, in denen wir noch alle nach denselben Regeln spielen mussten. Als noch niemand Nia dermaßen mit seiner Aufgabe als verdammten Diktator belastet hat.

Dann rolle ich mich auf dem Steinboden der Höhle zusammen und erinnere mich, dass Nia mich in diesen Tagen nicht anschauen konnte, dass mich niemand anschauen wollte, möglicherweise nicht einmal ich selbst, hätte ich einen Spiegel gehabt.

Nein, zurück kann ich nicht mehr. Andererseits weiß ich auch nicht, wie es weitergehen soll. Ich überlebe eher spärlich. Wenn ich nicht gerade schlafe und von besseren Welten, besseren Geschichten mit Happy End träume, dann suche ich Nahrung.

Zum Glück gibt es in der Umgebung ungewöhnlich viele Obstbäume. So, als ob das Überleben der Clasher selbst hier im hintersten und kältesten Winkel der Arena gesichert sein soll. Mord und Verrat sind wahrscheinlich unterhaltsamer als ein Hungertod.

Ich hinterfrage nichts, sondern bin einfach froh nicht so viele Tiere jagen zu müssen. Ich habe hier schon immer ungern Fleisch gegessen, allerdings weiß ich nicht, ob Tierliebe oder das Unwissen darüber, woraus diese Wesen überhaupt bestehen, Grund dafür ist. Diese Kreaturen könnten genauso gut künstliche Materie oder ebenfalls eine Simulation und somit gar nicht erst real sein. Da würde ich lieber in die Holowand beißen, dessen Sirren nur einer der Ursachen ist, weshalb ich nicht schlafen kann.

Der wahre Grund dafür ist, dass ich permanent an Nia denken muss. Tausende Male hat sich die Situation vor dem Brunnen schon in meinem Kopf abgespielt, wie ein schauriges Theaterstück in Endlosschleife. Es endet immer mit meiner verzweifelten Flucht ins Nirgendwo, brennende Lungen und ohne Plan. Jedes Mal erwache ich mit einem beißenden Gefühl der Wut aus der Illusion. Dabei bin ich mir nicht einmal sicher auf wen ich wütend sein soll. Anfangs waren es die Clasher, dann ich selbst, dann Nia. Ist er nicht derjenige, der es mir angetan hat?

Gleichzeitig denke ich verbittert daran, dass er auch jetzt noch Macht über mich hat, immerhin ist er der Einzige, der in der Lage wäre, meine Situation zu ändern. Doch er tut es nicht. Er ist zu beschäftigt damit ihren König zu spielen, dabei war ich doch immer der Einzige, der nicht von ihm verlangt hat, sich aufzuspielen. Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig, Nia hat mich beseitigt wie einen lästigen Eindringling in seiner neuen, perfekten Welt.

Auf den Grund dafür komme ich jedoch nie wirklich. Oder ich verdränge jede Vermutung, weil alle möglichen Erklärungen Schmerz und Verletzt sein bedeuten.

Ich denke nicht darüber nach. Nicht während all der schlaflosen Nächte auf dem eisigen Boden, nicht auf meinen Wanderungen durch den verwahrlosten Wald, wobei ich immer darauf bedacht bin, der Stadt auch ja nicht zu nah zu kommen. Denn die einzige Erklärung, die Sinn machen würde, wäre die, dass er all die Verantwortung, seine Autorität tatsächlich genießt. Aber der Gedanke schmerzt zu sehr, weshalb ich jedes Mal versuche ihn mir einfach aus dem Kopf zu schlagen. Am besten Nia gleich mit dazu.

Er hat mich verraten. Er hat uns verraten, auch wenn er die Fesseln gelöst hat.

Würde ich ihm irgendetwas bedeuten, wäre er jetzt hier.

Ich sitze vor dem zweiten vereisten Eingang zu meiner Höhle und starre dem Horizont entgegen. Unter mir liegt der Wald, jeder Baum mit Schnee bedeckt, in seinen Untiefen lauern immer noch Hybride. Sie tauchen wie aus dem Nichts auf, doch ich habe fast nie genug Energie zusammenkratzen können, um sie zu vertreiben.

Der falsche Himmel ist in warme Pastellfarben getaucht worden. Das rosa, orange und türkis wirkt Sekunde für Sekunde unnatürlicher, aber ich halte dem Anblick stand.

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