Der Bib-Crush

381 13 40
                                    

Bib-Crush, der
Person, die du nur aus der Bibliothek kennst. Du weißt nicht wie sie heißt, nur dass sie studiert und gut aussieht. Außerhalb der Bib existiert diese Person scheinbar nicht. Es ist die heilige Pflicht des Bib-Crush immer dann anwesend zu sein, wenn du es auch bist. Direkter Kontakt in Form eines Gesprächs ist höchst unüblich. Aus einem Bib-Crush-Verhältnis entstehen keine Rechte oder Pflichten. Meist tritt das Phänomen mehrmals und unabhängig vom Beziehungsstatus auf.

2002

Kopfschüttelnd starrte Linda auf den Bildschirm ihres Laptops. Sie arbeitete gerade ihre Baurecht-Vorlesung nach und selten hatte sie so ungern Vorlesungsstoff bearbeitet wie diesen hier. Staatsrecht kickte sie einfach mehr und sie hoffte sich später mit spannenderen Dingen befassen zu können, als die Frage, ob die Stadt P irgendeinen Karl-Heinz zum Abriss seiner Gartenlaube anweisen konnte.

Also weiter durch die Normen von BauGB und BbgBO. Konzentriert blätterte Linda eine Seite ihres Buchs um, als sie ein dumpfer Knall zusammenfahren ließ. Sie drehte sich um und entdeckte zwischen den Regalen eine Frau, der augenscheinlich mehrere Bücher aus dem Arm gefallen war. Genervt verdrehte Linda die Augen. Manche lernten es wohl nie. Innerhalb der rechtswissenschaftlichen Teilbibliothek galt es schon als verpönt zu laut zu atmen oder Getränke mit Kohlensäure zu öffnen.

Diese offensichtliche Missachtung des ungeschriebenen Bib-Verhaltenskodex und auch das Auftreten und die Optik der dunkelhaarigen, jungen Frau, ließ Linda sofort erkennen, dass es sich bei ihr nicht um eine Jurastudentin handelte. Gesehen hatte Linda sie auch noch nie und dabei verbrachte sie wirklich sehr viel Zeit hier.

Erst jetzt bemerkte Linda, dass sie die Frau noch immer anstarrte. Ruckartig drehte sie ich herum und sah verwirrt auf ihre Notizen. Wo war sie grade gewesen? Ach Mann, jetzt war sie komplett raus. Linda seufzte und sah auf die Uhr. 19:12 Uhr. Na gut, das war vertretbar. Schnell klappte sie den Laptop zu und räumte ihre Sachen in ihre durchsichtige Tasche.

***
„Sehen wir uns später in der Bib?", fragte Linda ihre Mitbewohnerin Nicola. Diese rührte mit sehr kleinen Augen in ihrem Kaffee und schüttelte den Kopf. „Ich muss erstmal eine Runde schlafen. Und dann sehen wir was der Tag bringt."

„Wo bist du letzte Nacht eigentlich gewesen?", fragte Linda misstrauisch. Nicola wich ihrem Blick aus. „Oh nein! Sag mir nicht du warst bei... bei ihm!" Nicola schloss die Augen und stellte die Tasse etwas zu heftig auf den Tisch. „Ja, ich weiß, was du von ihm hältst, Linda! Aber diesmal habe ich das Gefühl, dass es klappt!"

Dieses Gefühl teilte Linda definitiv nicht, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Beziehung zwischen Nicola und ihrem Ex beim vierten Mal besser laufen würde als die Male zuvor. „Wenigstens bin ich offen für eine Beziehung, Linda! Was ist eigentlich mit dem Boy von den Julis? Bernd? Björn? Lief da jetzt schon was?"

Nun war Linda diejenige, die dem Blick ihres Gegenübers auswich. „Wir sind nur Freunde!" Nicola lachte trocken auf. „Freunde... am Arsch! Linda der will dich flachlagen. Vertrau mir, ich sehe sowas. Und vielleicht wäre es ganz gut für dich, ich meine du lebst seit Monaten wie eine Nonne." Mit hochrotem Kopf stand Linda auf und stellte ihre Tasse in die Spüle. „Ich habe grade eben andere Prioritäten. Ich muss lernen", sagte sie.

„Hase, du machst 7 Tage die Woche nichts anderes. Gönn dir ein bisschen Spaß. Oder... gibt es etwa einen anderen Grund, warum du deine besten Jahre in dieser Bibliothek verschwendest? Hast du dir etwa einen heissen Examenskandidaten geangelt? Erklärt er dir zwischen Palandt und Zöller die Befriedigung der Gläubiger?", antwortete Nicola und wackelte mit den Augenbrauen. Linda schüttelte
lachend den Kopf. „Ach halt die Klappe, Nicola! Ich hab keine Zeit für den Mist!"

Hinter den Kulissen - Oneshots aus dem BundestagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt