Die Eine 2008

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2008 - Bundesparteitag der FDP, München

Und außerdem habe ich langsam das Gefühl, dass die Politik dir viel wichtiger ist als ich!

Linda seufzte tief. Immer und immer wieder hatte sie die SMS ihres Mannes durchgelesen. Die beiden waren noch kein ganzes Jahr verheiratet und sie hatte das Gefühl, dass sie sich den Großteil ihrer gemeinsamen Zeit nur gestritten hatten. Und das Schlimmste war: Er hatte ja Recht. Sie wollte diese politische Karriere. Mehr als alles andere.

Linda war immer recht engagiert gewesen, sowohl bei den JuLis, als auch bei der FDP, doch seit die Frage im Raum stand, ob sie im kommenden Jahr nicht für den Brandenburgischen Landtag kandidieren wollte, war das Thema Politik zu Hause das reinste Mienenfeld. Manchmal fragte die 27-jährige sich, ob ihr Mann nicht ein bisschen neidisch war.

So in Gedanken versunken schlenderte Linda durch das Foyer des ICM. Der Parteitag war bis morgen unterbrochen worden und der Großteil der Delegierten aus Brandenburg hatte sich bereits verdrückt. Alte, weiße Männer, dachte Linda missmutig. Vermutlich saßen die jetzt in einem Biergarten oder im Hofbräuhaus und soffen sich die letzten Hirnzellen weg. Und morgen würden sie zu spät oder gar nicht auftauchen. Wenn sie Landesvorsitzende wäre, dann... "Vorsicht!", riss eine Frauenstimme sie aus ihren Gedanken, doch es war zu spät. Linda und die Frau waren gerade kollidiert.

Geistesgegenwärtig riss die Andere ihren Arm nach oben und verhinderte so, dass sich der Inhalt ihres Kaffeebechers über Lindas Bluse ergoss. Dafür landete ein guter Teil des Heißgetränks auf ihrer eigenen Hand. "Oh mein Gott, Verzeihung!", rief Linda und hob entschuldigend die Hände.

Ihr Gegenüber verzog das Gesicht zu einem angestrengten Lächeln. "Passt schon. Ist nur ein bisschen... warm. Warum die Eile?" Linda seufzte und hielt den Kaffeebecher der Frau, während die sich die Hände an einer Serviette abwischte. "Sorry, wirklich. Ich war so in Gedanken versunken, ich habe Sie gar nicht gesehen." Die Frau nahm ihren Becher wieder entgegen und legte den Kopf schief. Nun lächelte sie schon freundlicher. "So jung und schon so zerstreut?", fragte sie. "Außerdem entschuldigen Sie sich ganz schön viel, Frau... Teuteberg."

Lindas Mundwinkel zuckten nur. Was hieß hier so jung? Diese Frau konnte doch kaum älter sein als sie selbst! Linda warf einen Blick auf das Namensschild, das die Dame trug. "Mein Alter ist keine relevante Kategorie würde ich meinen, Frau Suding." Frau Suding pustete sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht und musterte Linda mit einem intensiven Blick. "Katja", sagte sie dann knapp und Linda nickte kurz. "Linda", antwortete sie. "Du gehörst zu den Brandenburgern, richtig? Ich komme aus dem Landesverband Hamburg", sagte Katja, während sie in ihren halbleeren Kaffeebecher schaute. "Kaffee um diese Uhrzeit ist übrigens nicht gut für die Schlafqualität", rutschte es Linda heraus.

Katja grinste und dieser Gesichtsausdruck sorgte dafür, dass sich die Härchen auf Lindas Armen aufstellten. Allerdings im guten Sinne. "Ich habe zwei kleine Söhne, Linda. Glaub mir, die beeinträchtigen meine Schlafqualität ein bisschen mehr als Koffein." Lächelnd sah Linda zu Boden und schüttelte den Kopf. Sie hatte also Kinder. Wie nett. "Hey, wie wäre es, wenn wir die Tage mal einen Kaffee zusammen trinken. Ich meine, diesen hier hast du ja irgendwie auf dem Gewissen", schlug Katja vor.

Linda wusste nicht woher die Worte kamen. Vielleicht war das einfach ein glücklicher Impuls, doch es hörte sich so an, als ob eine Fremde die Worte sprach, als sie sagte: "Oder wie wäre es mit einem Drink? Jetzt? Ich meine... wir sind offensichtlich beide grade alleine hier." Katja schien eine Sekunde zu überlegen. Unsicher sah sie Linda an, doch dann antwortete sie: "Sehr gerne sogar, Linda."

Hinter den Kulissen - Oneshots aus dem BundestagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt