Zuhause ist 5 Jahre her

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Teile dieses Oneshots könnten Lesern bekannt vorkommen. Den Grund erfahrt ihr am Schluss.

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Manchmal glaube ich Zuhause ist kein Ort mehr, sondern fünf Jahre her und da fährt kein Zug oder FlixBus hin.
Sebastian Becker

September 2017

Ein Lächeln stahl sich auf Lindas Gesicht, als sie spürte wie Sahra - wie schon hunderte Male zuvor - den Kopf auf ihre Schulter legte. „Ist das okay so?", fragte sie leise. „Klar doch", antwortete die Liberale und sah kurz auf. Niemand im Flugzeug achtete auf die beiden. Die anderen Passagiere schliefen entweder oder waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden.

„Du bist bequem", scherzte Sahra. „Perfekt, um an deiner Schulter zu schlafen." Linda grinste nur schweigend. Zufrieden kuschelte sie sich etwas näher an Sahra und atmete tief durch. Der Duft von Sahras Shampoo stieg ihr in die Nase und für eine Sekunde schien alles so einfach. Für einen Moment vergaß Linda, was es ihr manchmal abverlangte mit Sahra... Ja, was eigentlich? Befreundet zu sein? Freundschaft war ein viel zu schwaches Wort, um die Gefühle, die sie ihr entgegenbrachte zu beschreiben. Sahra zu lieben? Das war ein Satz, den Linda ihr gegenüber wohl nie ausgesprochen hätte. So etwas wie mit ihr hatte sie noch nie erlebt und so wirklich benennen, was das zwischen ihnen war, konnte keine von beiden. Linda war nur eines klar: Sahra war alles für sie. Alles was sie hatte und der Gedanke daran, dass sich das irgendwann einmal ändern könnte, machte ihr trotz allem mehr Angst als alles andere.

November 2017

Linda hatte nie gerne ihre Emotionen mit anderen geteilt. Zumindest nicht mit den meisten Menschen. Doch heute war ihr das egal. Sie hatte gedacht, dass sie sich beruhigen würde, bevor sie das Genscher-Haus betreten würde. Da hatte sie sich wohl getäuscht.

Es reichte aus Nicola und Katja anzusehen und schon brach sie wieder in Tränen aus. „Ich kann das einfach nicht mehr", schluchzte Linda an Katjas Schulter. „Was ist denn passiert?", fragte Nikola besorgt. „Ist es wegen Wagenknecht?"

Linda hielt Nikola ihr Telefon hin. Mit hochgezogenen Augenbrauen las diese den Zweizeiler, mit dem Sahra auf Lindas letzte – und sehr lange – Nachricht geantwortet hatte.

Offensichtlich hat sich da einiges bei dir aufgestaut. In Ordnung, geh' deinen Weg, ich werde meinen gehen.

„Linda", sagte Nicola leise und legte eine Hand auf die Schulter ihrer Kollegin. „Du hast nichts falsch gemacht, okay? Das war überfällig und du hast nichts gesagt, das unwahr wäre. Sie kann die Wahrheit nur nicht verkraften."

Doch schon in diesem Moment wusste Linda, dass sie etwas falsch gemacht hatte. Sie hatte Sahra viel zu nah an sich rangelassen. Hatte ihr vertraut, hatte wirklich geglaubt, dass sie ihr etwas bedeutete. Etwas, wovon man nach all den Jahren wohl auch ausgehen durfte. Doch am Ende war sie Sahra nicht mehr wert gewesen, als ein verdammter Zweizeiler.

Es war nur ein dummer Spruch gewesen. Einer von vielen, doch diesmal der eine, der das Fass zum Überlaufen brachte. Und wenn das passierte, dann gab es für Linda kein Halten mehr. Sie hatte Sahra stehen lassen, wohlwissend, dass sie die richtigen Worte nicht finden würde, wenn sie ihr dabei ins Gesicht sehen würde. Sie war gegangen, weil sie genau wusste, dass es ansonsten eskalieren würde. Und sie hatte es aufgeschrieben. All das, was sie beschäftigte, das was sie störte und verletzte.

Zum Beispiel die Tatsache, dass Sahra nach außen so anders war, als wenn sie allein waren.
Oder Sahras abfällige Bemerkungen über Linda und die Menschen, die ihr etwas bedeuteten.
Den Blick, mit dem sie Linda strafte, wenn sie etwas tat, das Sahra nicht gefiel oder etwas sagte, das in ihren Augen falsch war.
Ihre Enttäuschung, wenn Linda sich mit anderen Leuten traf und das schlechte Gewissen, dass sie ihr immer und immer wieder einredete, wenn sie Sahra nicht alles erzählte was sie gerade machte oder wo sie gerade war.
Das passiv-aggressive „Das musst du selbst wissen" und die ständigen SMS, die Sahra ihr schickte und die von ihr ausnahmslos sofort beantwortet werden mussten.

Hinter den Kulissen - Oneshots aus dem BundestagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt