Ein ungleiches Paar

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Es kommt mir vor, als ob es gestern gewesen wäre. Dabei war es vor gut einem Jahr. Der Bundestag hatte sich erst konstituiert, wir hatten eine Regierung gebildet, einen Kanzler gewählt und unser Büroräume bezogen.

Draußen strahlte die Novembersonne, weshalb ich die Jalousien meines Büros, das aus unerklärlichen Gründen immer ein wenig nach Schießpulver roch, geschlossen hielt. Das spärlich einfallende Licht schuf eine sepiabraune Atmosphäre und in den hellen Streifen glitzerten Staubkörnchen.

Mein Team war ohne mich in die Mittagspause gegangen, da ich selbst noch ein kurzes Interview geben musste. Allein wollte ich mich jetzt nicht an einen der großen Tische setzen. Das sah immer so einsam aus.

Einsamkeit. Das Gefühl kannte ich zu gut als Spitzenpolitikerin. Natürlich hatte man einige Freunde und Kollegen in der eigenen und anderen Parteien, doch keine dieser Verbindungen war wirklich tiefgehend. Einmal, da meinte ich einen guten Freund gefunden zu haben. Karl. Karl von der SPD. Doch die Pandemie hatte ihn in den Wahnsinn getrieben.

Neulich habe ich ihn nach langer Zeit mal wieder gesehen. Er saß mit seiner FFP3 Maske zusammengesunken auf einem Sofa in der Westlobby und murmelte irgendwas von wegen 5. Impfung, Mutanten und Verantwortung. Ich habe ihn durch die Maske nicht ganz verstanden.

Stumm polierte ich die Stange meines Rollers (er hatte nach seiner letzten Begegnung mit Frau von Storch ein paar Blessuren davongetragen) und dachte darüber nach, was die kommenden Jahre noch bringen sollten. Ich war nicht mehr die Jüngste und mein Mann erst recht nicht mehr. Wie würde unser Leben aussehen, wenn ich endgültig meinen Helm nehmen und die Politik an den Nagel hängen würde? Ich konnte mir nicht ganz vorstellen meine Zeit beim Seniorenkaffee zu verbringen.

Meine trüben Gedanken sollten in diesem Moment unterbrochen werden. Es klopfte an meiner Bürotür, die sich ohne auf ein Zeichen der Zustimmung zu warten, sogleich auch öffnete. "Halli Hallo!", flötete es von der Tür aus. Und so trat sie in mein Leben.

Sie, die so gar nicht in mein dunkles Büro voller Panzer-Figürchen und camouflag-Beuteln und Wimpeln passen wollte. Nein, sie trug eine pinke Bluse mit Blumenmuster und dazu eine türkise Jeans. Abgerundet wurde das Outfit von mehreren bunten Schals und dem kurzen blonden Haar, das zur Zeit einen rosa-touch hatte. Ganz automatisch strich ich über das Revers meines staubgrauen Hosenanzugs, der einen krassen Kontrast zu dieser Erscheinung bot.

"Mein Gott, Frau Strack-Zimmermann! Hier ist es ja so finster! Lassen Sie mal ein bisschen Licht rein!", rief Claudia Roth und noch eher ich protestieren konnte, riss sie auch schon die Jalousien hoch. Licht durchflutete den kleinen Raum und ich blinzelte gegen die plötzliche Helligkeit an. "Ach verdammt nochmal, Frau Roth, was wollen Sie denn hier?", fluchte ich und lehnte meinen Roller gegen den Schreibtisch.

"Naja mal hallo sagen! Wir sind doch jetzt in einer Koalition", sagte Claudia vergnügt und ließ sich auf einem der Stühle vor mir nieder. "Ich habe Ihnen was mitgebracht", sagte sie und schob mir einen riesigen Muffin über den Tisch. "Vielleicht wachsen Sie dann noch ein Stück haha!", lachte die Grüne und ich warf ihr nur einen genervten Blick zu. "Danke", knurrte ich. "Davon werde ich aber nicht high, oder?" Claudia schüttelte den Kopf. "Nein, die Muffins, die high machen, hat sich Cem zusammen mit ihrer Kollegin Lütke schon gesichert."

Ich brach ein Stück Muffin ab und musterte die Kulturstaatsministerin. Ich war mir sicher Small Talk war nicht der Grund ihres Erscheinens. "Eigentlich wollte ich Ihnen auch ein Kompliment machen", begann Roth nun zögernd. Mir? Ein Kompliment? Die? Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. "Manchmal finde ich, haben Sie ganz coole Einstellungen", flüsterte die Grüne nun beinahe. Coole Einstellungen? Ich, als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses? War die Roth denn nicht auch eine von diesen... Pazifisten? Das Wort löste in mir das gleiche Gefühl aus, wie der Anblick von Klaus Ernst.

"Danke, Frau Roth. Sie sind manchmal auch ganz... äh... cool", gab ich zurück und Claudia strahlte. Sie klatschte einmal in die Hände und erhob sich. "Schön, Frau Strack-Zimmermann! Vielleicht können wir ja mal diese Woche gemeinsam zu Mittag essen? Ich würde mich freuen! Ach ich sehe schon, das ist der Beginn einer wunderbaren gelb-grünen Freundschaft!", rief sie eher wir uns verabschiedeten und sie aus meinem Büro herauswirbelte.

Kopfschüttelnd schloss ich wieder die Jalousien. Freundschaft. Die und ich. Da hatte die sich aber geschnitten, dachte ich damals. Doch Claudia Roth schaffte es im darauffolgenden Jahr meinen Respekt und meine Freundschaft zu verdienen. Immer wieder tauchte sie auf. Für gemeinsame Essen, gemeinsame Anträge, Small Talk oder eine Kaffeepause. Und so unterschiedlich wir auch waren, es gab eine Sache, die uns immer wieder aufs neue vereinte. Der Hass auf Antidemokraten.

So hielten wir im Plenum zusammen, wenn Angriffe der AfD auf unsere Fraktionen geschahen. Wir verteidigten die Freiheit Deutschlands an der Essensausgabe der Kantine im Paul-Löbe-Haus gegen die Union und ihrer Kritik an den veganen Optionen und als Olaf Scholz mich fragte wo ich denn gewesen sei, als Sahra Wagenknechts Bürotür blockiert worden war und sie dadurch ihre Rede im Bundestag verpasste, da gab Claudia mir ein Alibi.

Über die Zeit hatte ich immer wieder Claudias sehnsüchtigen Blick bemerkt, wenn ich auf dem Weg ins Plenum oder zurück mit meinem Roller an ihr vorbeiglitt. Natürlich wusste ich, was sie dann dachte, aber meine Konsequenzen daraus zu ziehen und den nächsten Schritt zu gehen, das traute ich mich lange nicht. Was, wenn ich ihren Blick falsch interpretierte?

Und nun stand ich da. Mit einem echten Gefühl von Zuneigung im Herzen für die schrille Grüne und einem länglichen Paket in den Händen. Der richtige Zeitpunkt war gekommen, ich war mir ganz sicher. Zitternd klopfte ich an Claudias Bürotür, welche mir sofort geöffnet wurde. "Marie-Agnes!", rief sie erfreut. "Was für eine schöne Überraschung! Komm doch rein." Nervös trat ich ein und ließ mich auf dem Sofa in der Ecke nieder. Gespannt sah Claudia mich an. "Und was gibt's?", fragte sie.

Ich atmete nochmal tief durch. "Claudia, dieses Jahr mit dir... das war das absurdeste, lustigste und trotz all der Krisen schönste Jahr meines Lebens", setzte ich an. "Mit niemandem macht es so viel Spaß die AfD zu ärgern wie mit dir. Ich weiß wir beide sind sehr unterschiedlich und ich muss sagen ich kriege echt Zustände, wenn du mit deiner Sonnenblumentasche rumrennst, weil die so gar nicht zu meiner mit den Kampfhubschraubern passt, aber... Claudia ich will dich etwas fragen."

Ich stand auf und ging auf Claudia zu. Mit feuchten Augen überreichte ich ihr das längliche Paket, welches ich noch immer fest in den Händen hielt. Claudia sah mich überrascht an. "Ist das etwa...?" Ich nickte heftig. "Claudia Benedikta Roth, hiermit überreiche ich dir deinen eigenen Roller und ich bitte dich, sei mein Buddy, wenn es darum geht Antidemokraten aus dem Weg zu räumen."

"Oh Marie-Agnes, ich weiß gar nicht was ich dazu sagen soll. Mein eigener Roller, ich... ich bin gerührt, ich... ja. Ja, natürlich will ich dein Buddy sein und die von Storchs dieser Welt mit dir von den Gängen wischen." Mir entfuhr ein lautes Schniefen, als ich die Arme ausbreitete und Claudia mir entgegenfiel.

Später an diesem Nachmittag rollten Claudia und ich durch die unterirdischen Gänge des Regierungsviertels. Alice Weidel, die uns ausweichen musste, fielen fast die Augen aus dem Kopf und auch Linda, die uns zusammen mit Annalena entgegenkam musste zweimal hinsehen, als Claudia und ich Hand in Hand davondüsten.

 Alice Weidel, die uns ausweichen musste, fielen fast die Augen aus dem Kopf und auch Linda, die uns zusammen mit Annalena entgegenkam musste zweimal hinsehen, als Claudia und ich Hand in Hand davondüsten

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Hinter den Kulissen - Oneshots aus dem BundestagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt