YARA| Ich schaue gelangweilt auf die Wand gegenüber von mir. Allein sitze ich in meinem Zimmer, was sich aber nicht wie mein Zimmer anfühlt. Dieses Haus wird sich niemals wie mein Zuhause anfühlen. Mein Zuhause wurde mir weggenommen. Ich greife nach meinem Handschuh und ziehe mir diesen über meine Narbe am Handgelenk, bevor ich mich auf den Weg raus vom Zimmer mache. Ich will ja nicht, dass man sieht, was mir angetan wurde. Planlos stehe ich im Flur. Ich drehe mein Kopf nach rechts. Eine große Treppe, die in Richtung Wohnzimmer- beziehungsweise Saal führt. Die große Küche, mit dem Essbereich der weiteren Bodyguards. Zu Noah und Armin, die gerade mit den anderen Bodyguards unten alles unter Kontrolle halten. Mich wollte Nael nur zur Ehefrau machen. Er hält mich nicht für stark und fleißig genug. Ich könnte aber auch in den riesigen Garten und mir den kleinen Teich genauer angucken. Augenrollend schlage ich mir diesen Gedanken weg. Langweilig. Ich spitze meine Lippen und fange direkt an schelmisch zu grinsen. Mein Kopf bewegt sich in Richtung links.
Naels Areal.
Sein Distrikt. Sein Flur. Automatisch bewegen sich meine Füße in diese Richtung des Flures. Man hört mein leises Tapsen durch den dunklen Gang. Ich war noch nie in seinem Flur. Ich bleibe vor einer eisernen Eisentür stehen. Diese schaue ich mir zuerst genauer an und merke, dass sie nicht verschlossen ist. Leise kichernd drücke ich diese auf und freue mich, dass mein Ziel immer näher kommt. Ich erschrecke mich leicht, als ich zwei Bodyguards vor mir erblicke. Diese stehen vor der anderen Tür, die zum Areal führt. Leise schlucke ich, umgreife die Türklinke fester. Beide schauen mich mit einem misstrauischen Blick an. Gerade macht sich einer auf den Weg zu mir, doch kurzerhand fällt mir etwas ein.
„Noah braucht unten Hilfe.", spreche ich meine nicht schlaue Idee aus, denn ich merke, dass sie In-Ear Ohrstecker drin haben und somit bei benötigter Hilfe jemand ein Signal durchgegeben hätte. Wie vorausgesagt ziehen sie ihre Augenbrauen zusammen und werden noch kritischer.
„Sie müssen gehen, Frau Cato.", spricht der eine und kommt auf mich zu. Ich bleibe still stehen.
„Nimm deine Hände von mir.", zische ich ihn an, als er seine große Hand um meinen Arm legt. Ohne zu zögern hört er auch auf mich und entschuldigt sich sofort. Mit einer Handbewegung winke ich ihn weg von mir. Auch wenn ich nichts zu sagen habe, hören die Bodyguards auf mich. Sie müssen. Ich bin nämlich Frau Cato.
„Wenn ich reinlaufen möchte, gehe ich auch.", keife ich den Männern zu, die den Kopf schräg legen.
„Sie dürfen aber nicht hier rein.", ich ziehe meine Augenbrauen zusammen. Was hat Nael hier, was ich nicht sehen darf? Ich kriege eine Gänsehaut, vor Neugier. Ich will hier rein. Ich muss hier rein. Schelmisch grinsend schaue ich meinem grünäugigen Gegenüber ins Gesicht.
„Ist mir egal.", sage ich und laufe lachend an beide vorbei, drücke die andere Türklinke runter und ziehe die Tür weit auf. Bevor ich reinlaufe winke ich provokant und lege meinen Kopf in den Nacken vor lachen. Die Tür fällt zu, ich stehe in einem dunkelgrünen Flur. Das Haus ist größer als erwartet. Anscheinend ist das hier die andere Hälfte des Grundstücks. Mein Herz klopft hektisch auf und ab. Auch mein Brustkorb bewegt sich schnell. Ich habe hier ein ungutes Gefühl. Dennoch bin ich fest entschlossen: Nael verheimlicht etwas. Er hat sicher was, was ich nicht sehen soll. Ich schwenke meinen Kopf hin und her. Jeweils vier Zimmer links und rechts, eins ganz am Ende des Ganges gegenüber von mir. Da es ein Spalt aufsteht, laufe ich direkt mit großen Schritten drauf zu. Meine zittrige Hand legt sich auf die Tür, ich schiebe diese vorsichtig auf. Der Raum ist ganz dunkel, ich erkenne nichts. Nervös fasse ich an die Wand links von mir im Zimmer, um nach einen Lichtschalter zu finden. Erfreut finde ich einen und knipse ihn an— meine Augen weiten sich. Stark hämmert mein Herz gegen meine Brust, so laut, dass ich den Puls durch meine Adern fast schon pumpen hören kann. Zittrig, aus Wut, atme ich schwer ein und aus. Fast schon tröstlich lege ich meine Hände, die ich Fäuste geballt habe, auf meinen Brustkorb.
Überall ihr Gesicht.
Unzählige Bilder und Porträts von ihrem Gesicht. Ich halte mich zurück, um nicht komplett durchzudrehen. Die Bilder, die überall auf den vier Wänden gegenüber von mir hängen, abzureißen und mit der Faust direkt ins Gesicht zu boxen. Mit meinen langen Nägeln das Gesicht zu zerkratzen. Aber ich bleibe ruhig und laufe augenrollend in die Mitte des Raumes. Hier ist es wieder in diesem komischen alten Holzton dekoriert. Mit meinen Fingerspitzen fahre ich die Gegenstände im Raum entlang und bleibe vor dem großen Bild von ihr stehen. Es ist selbstgemalt. Ganz handgefertigt. Nur für Halima. Ihre hellen Haare fallen ihr über ihre schmale Schulter. Leicht verstecken ihre Haare ihre kleine, leicht rosige Nase. In ihren grünen Augen sehe ich, wie leidenschaftlich sie die Welt sieht. Für sie gibt es einen Grund, so glücklich auszusehen. In meinem Kopf rauscht es.
Er ist so besessen von ihr.
Mir wird alles klar. Ich bin neidisch auf Halima. Sie führt das Leben, dass ich mir immer gewünscht habe. Die Eifersucht überpackt mich, ich hole mit meiner Faust aus—
„Trau dich.", seine Stimme hallt durch den Raum. Nur das leise Ticken der Uhr ist zu hören. Wie erstarrt stehe ich mit erhobenen Faust vor dem wunderschönen Bild. Ich schaue noch nicht mal nach hinten, bevor ich meine Faust direkt durch das Bild durchziehe. Benebelt nehme ich seine schnellen Schritte hinter mir wahr. Wie vorausgesehen packt er mich mit einem schmerzenden festen Griff am Arm und schleudert mich gegen seine Brust. Mit knirschenden Zähnen warte ich auf die Gewalt, die jetzt kommt. Aber das war es mir wert. Er schaut auf mir herunter, während ich zu ihm raufschaue. Mein Herz hämmert jetzt wieder wie am Anfang fest gegen die Brust. So stark, dass ich glaube er spürt es auch. Ohne was zu sagen, dreht er mich um, sodass ich mit dem Rücken zu ihm gekehrt bin. Er drückt mich wieder zurück zu dem zerschlagenen Bild, so schnell, dass ich mich mit voller Wucht am Bild abprallen muss. Seine Beine platziert er so, sodass ich nicht mehr entkommen kann. Auch seine Arme legen sich beide auf meine Hände die jeweils seitwärts vom Bild abgelegt sind.
„Wenn du schon nicht auf mich hörst...", fängt Nael an in mein Ohr zu flüstern. Es bildet sich eine Gänsehaut auf meinem Körper, als ich seine dunkle Stimme höre. Ich höre einen wütenden Unterton in seiner Stimme heraus, weshalb ich weiß, dass er brutal sein will.
„Dann schlag gefälligst richtig zu.", er nimmt meine rechte Hand und zwingt mich, diese zu einer Faust zu ballen. Mit rasendem Herzschlag höre ich auf ihn. Er umfasst mit seiner anderen Hand meinen Bauch, damit es zu einer Flucht meinerseits nicht kommen kann. Mit viel Kraft holt er mit meiner Faust aus und—
Zerschmettert diese auf die Stelle, die ich zuvor zugeschlagen habe. Ich presse schmerzverzerrt meine Augen zusammen, gebe aber keinen Mucks von mir. Als er nochmal ausholt, hört man ein lautes Knacken. Zittrig atme ich ein, da mir schwarz vor Augen wird. Aber eins wird mir dennoch heute klar.
Er wird mich niemals lieben können.
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She Loved Him Too Early
RomanceSie verliert zwei wichtige Menschen in ihrem Leben. Er verliert die Liebe seines Lebens. Sechs Jahre glaubte Nael, dass seine Geliebte tot sei. Sechs verdammte Jahre. Doch aus Zufall heiratet sie. Yara, für ihre mutige Art bekannt. Nael, dafür bek...