YARA| Mein Magen kribbelt. Es fühlt sich so an, als wäre ich auf Dauerstress. Meine Gedanken kreisen sich eigentlich nur noch um Nael. Schmunzelnd unterdrücke ich mir ein Aufgrinsen. Das hat doch alles nichts zu bedeuten. Sobald er keine Lust mehr hat wirft er mich doch wieder weg. Ich muss interessant für ihn bleiben. Mich wie ein Hund behandeln lassen und dem Ball hinterher rennen, wenn er erst anfängt den Ball zu werfen. Ich seufze auf. Werde ich jemals jemanden finden, der mich mag? Ich drehe meinen Kopf in Richtung Spiegel, der in meinem Zimmer hängt. Schnell lasse ich meinen Blick zurück zu Hedi huschen, der schlummernd seinen Mittagsschlaf macht. Er schläft tief und fest. Ayaan und Davud sind gerade die Männer draußen beschäftigen— besser gesagt, rennen sie wie wilde Tiere durch den Garten und zaubern den Wächtern draußen ein Lächeln ins Gesicht. Sobald ich mir sicher war, dass niemand mich beobachtet, gehe ich langsam auf den großen Spiegel zu. Ich beuge mich vor, ganz nah. So, als würde ich jeden Millimeter begutachten wollen. Ich blicke direkt in meine tiefschwarzen Augen. Aus ihnen wird man nicht schlau. Strahlen weder Wärme noch Kälte aus. Weder Leere noch Emotion. Ich verstehe meine Augen selbst nicht. Da meine Augenwinkel nach unten gezogen sind, würde man bei einem neutralen Blick von mir denken, ich wäre traurig— was ich nicht bin. Wieso auch? Wieso sollte ich traurig sein? Ich löse den Blick von meinen Augen und gleite weiter zur Nase. Leicht drehe ich meinen Kopf um diese von der Seite sehen zu können. Der Bruch ist deutlich zu sehen. Und zu spüren. Ich wünsche mir manchmal, ich wäre nicht so frech gewesen als Kind. Vielleicht hätte ich dann nicht so viel Schläge abbekommen. Weniger Tritte in den Bauch und vielleicht nicht allzu viele Haue auf den Kopf. Sobald ich älter wurde und angefangen habe mich zu wären, durfte ich mit den Männern trainieren. Mich benehmen wie einer. Essen wie einer. Aussehen wie einer. Ich fahre mir direkt durch die Haare und bin froh, sie endlich wachsen zu dürfen. Davor wurden sie mir ganz kurz gemacht. Ich liebe meine von Natur aus strohigen Haare so sehr, dass ich jegliche Schutz für sie nicht kenne. Ich mache alles mit ihnen, was ich in meiner Jugend nicht machen konnte. Nicht glätten, nicht flechten. Ich wollte doch immer nur ein Mädchen sein. Eine, die mit Puppen spielen wollte. Kleider anziehen können und viele Freunde haben wollte. Ich wollte nur ein normales Leben, mit Eltern. Jemanden, der mich für meine Art liebt. Wie sehr ich nach dem Gefühl strebe, endlich geliebt zu werden. Jemand, der nicht ohne mich leben will. Unbewusst rutscht meine Hand an meine Brust, da wo mein Herz schlägt.
Doch keinen hat es interessiert, was ich wollte.
In Gedanken seufze ich erneut heute auf. Ich sehe nur sie. Als wäre ich ihre Kopie. Ähnlich passt nicht. Identisch. Eins zu eins getroffen. Selbst ihre braunen Haare habe ich geerbt, weswegen sie immer wieder schwarz gefärbt werden. Ich mir meine Augen dunkler schminke, damit man meine Augenform nicht erkennt. Damit ich sie nicht erkenne. Ich mir die Augenbrauen dünner zupfe. Vielleicht für jemanden schon zu dünn. Ich meine Lippen übermale, damit mein Lächeln nicht ihrs ähnelt. Ich versuche alles. Aber nichts klappt. Ich sehe sie ganz klar und deutlich. Mein Herz klopft schneller gegen meine Brust. Ich sehe wie meine Kette auf meinem Schlüsselbein leicht aufspringt. Mein Hals brennt. Tränen sammeln sich in meinen Augen. Ich habe mir versprochen nicht mehr zu weinen. Geschworen, dass diese Frau keine Träne von mir verdient hat. Aber es fällt mir so verdammt schwer. Wieso erwarte ich überhaupt dass mich jemand lieben soll?
Wenn es schon meine eigene Mutter nicht tun konnte?
Ich beiße mir fest die Zähne zusammen. Es macht mich so verdammt sauer. Wieso konnte sie mich nicht direkt abgeben? Wieso musste die meine drei ersten Jahre so schlimm traumatisieren? Sie dachte sich bestimmt, ich würde es schon irgendwann vergessen. Falsch gedacht. So viele Ereignisse sind eingebrannt. Ich kriege das nie wieder aus dem Kopf. Niemals. Die Narbe an meinem Rücken zieht wieder. Ich ziehe mir mein Oberteil aus und drehe mich mit dem Rücken zum Spiegel. Die Narbe ist blass, dennoch zieht sie sich von der linken Schulter, bis runter zur Wirbelsäule. Großflächig.
Mir wird warm.
„Hör auf dich zu verstecken.", ich schmunzle auf und schaue in verschiedenfarbige Augen. „Dreckiger Perversling.", füge ich hinzu.
„Ich dachte schon, du findest mich nie.", sagt Nael und tretet ins Zimmer hinein. Sein Blick landet kurz zum Spiegel, wo er meine Narbe entdeckt. Sein Blick windet sich genauso schnell wieder, was mich verwundert. Er fragt noch nicht mal, was passiert ist.
„Hast du eine kleine Männerbrust.", überrascht ziehe ich meine Augenbrauen zusammen und schaue mir auf die Brust. Er hat nicht ganz unrecht. Trotzdem lasse ich das nicht auf mir sitzen.
„Dann zieh du doch ein BH an.", sage ich und klatsche ihm auf die Brust, was Hedi aufzucken lässt. Wir beide fahren zusammen und schauen langsam wieder zurück in unsere Gesichter, weswegen wir in Gelächter ausbrechen. Gewiss, ein leises Gelächter. Ich ziehe mir mein Oberteil wieder an.
„Wieso bist du hier?", frage ich flüsternd.
„Wieso bist du nicht unten?", stellt er mir die Gegenfrage flüsternd. Ich knicke mein Kopf leicht nach unten, da mir das harmonieren von uns beiden gefällt.
„Hedi wollte schlafen, aber nicht alleine.", antworte ich, wieder flüsternd. Jetzt nickt er. Es ist wieder still zwischen uns, ich schaue mir sein Gesicht genauer an.
„Es ist unfair.", murmle ich vor mich hin. Er schaut mich verwirrt an
„Was?", ich ignoriere ihn. Nicht ohne Grund habe ich ihn zum Hübschling getauft. Wieso ist er aber als Mann so hübsch? Er muss seine Gene weitergeben. Wäre viel zu schade, würde er es nicht tun. Ich ziehe einen Mundwinkel nach unten. Bin ich froh, meine Blutlinie einen Ende zu geben. Ich werde niemals Kinder auf die Welt setzen. Ich will die letzte sein, mit diesem schrecklichen Gesicht.
„Du solltest Kinder kriegen.", sage ich und streife meine Finger seiner Nase entlang.
„Mit dir?", fragt er mit einem verwirrten Unterton, doch sein Blick sagt was anderes.
„Willst du das? Gestört und hübsch?", stelle ich ihm die Frage und wackle dabei mit meinen Augenbrauen.
„Nein.", sagt er felsenfest, weswegen ich kurz innehalte. Seine Augen werden dunkler.
„Willst du mich nicht?", ich warte auf eine Antwort. Er öffnet seinen Mund, doch hält kurz. Ich muss grinsen.
„Ich will dich nicht.", sagt er und meidet unseren Blickkontakt, doch schaut immer wieder in meine Augen. Ich erkenne, dass er nicht die Wahrheit sagt. Ich lache leise auf.
„Ich liebe es zu jagen. Am liebsten die, die mich nicht wollen.", sage ich und drücke ihm einen schnellen, aber dafür leichten Kuss auf die Nasenspitze, bevor er es realisieren kann. Erstarrt blickt er mir mit kleinen Pupillen ins Gesicht. Grinsend laufe ich an ihm vorbei und sobald ich mir sicher war, dass er mir nicht ins Gesicht schauen kann, ließ ich meine Facade fallen.
Ich kriege ihn.
Lange Zeit ist es her ...
Nicht korrigiert
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She Loved Him Too Early
RomanceSie verliert zwei wichtige Menschen in ihrem Leben. Er verliert die Liebe seines Lebens. Sechs Jahre glaubte Nael, dass seine Geliebte tot sei. Sechs verdammte Jahre. Doch aus Zufall heiratet sie. Yara, für ihre mutige Art bekannt. Nael, dafür bek...