Kapitel 4

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Als Joy aufwachte, konnte sie sich nicht bewegen. Es war stockdunkel und ihr fehlte jegliche Orientierung. Was war passiert? Träumte sie? Ein weiterer ihrer Albträume?

Irritiert fühlte sie in sich hinein. Etwas fühlte sich seltsam an. Ihr Kopf dröhnte und sie brauchte einen Moment, um dem, was sie fühlte, einen Sinn zu geben. Als sie es jedoch begriffen hatte, überkam sie die Panik mit voller Wucht. Es gab einen Grund, weshalb sie sich nicht bewegen konnte: Sie war gefesselt! Beunruhigt atmete sie ein und aus und versuchte, ihren Herzschlag zu kontrollieren.

Nun bemerkte sie auch, was sich so seltsam anfühlte. Sie lag nicht in ihrem Bett, sie saß auf einem Stuhl! Ihre Füße waren an die Stuhlbeine gefesselt, die Hände offensichtlich seitlich an die Armlehnen. Ein weiteres Seil um ihre Brust und Oberarme band sie fest an die Stuhllehne und machte jede Bewegung der Arme unmöglich. Außerdem verhinderte es, dass sie sich nach vorn beugen konnte, um ihre Fesseln mit dem Mund zu erreichen. Allerdings – auch diesen konnte sie nicht öffnen. War das Klebeband? Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken und Gänsehaut bedeckte ihren Körper. Wo war sie? Und warum? War das einer ihrer Träume oder war sie... war sie entführt worden?

Tausende Gedanken rasten gleichzeitig durch ihren Kopf und brachten ihn zum Glühen. Das machte doch alles keinen Sinn. Sie musste träumen. Das war einer ihrer Alpträume. Sie träumte von der Hilflosigkeit und der Wehrlosigkeit, dem Gefühl, das sie so sehr verfolgte. Jeden Moment würde sie aufwachen. Mit rasendem Herzen kniff sie die Augen zu und riss sie wieder auf. Und wieder zu und wieder auf. Doch nichts geschah. Sie saß noch immer auf demselben Stuhl und konnte sich nicht bewegen.

Verzweiflung überkam sie und sie rüttelte blind an ihren Fesseln. Sie zog an ihren Beinen und Händen, doch wer auch immer sie gefesselt hatte, hatte seine Arbeit gut gemacht. Zu gut. Die Fesseln bewegten sich keinen Millimeter.

Joys Herz klopfte laut in ihrer Brust. Sie bekam kaum noch Luft und hörte das Blut in ihren Adern rauschen. Verzweifelt wand sie ihre Schultern bei dem Versuch, wenigstens das Seil um ihre Brust nach oben wandern zu lassen. Doch es schnitt fest in ihre Oberarme und bewegte sich kein Stück.

Langsam begann sie zu begreifen, dass sie diesem Albtraum nicht entkommen konnte. Denn es war keiner. Es war die grausame Realität. Die Erkenntnis ließ sie erzittern. Was war nur passiert? Warum war sie hier? Wer hatte sie entführt und wie war sie hierhergekommen?

Da blitzte plötzlich das Bild eines Mannes mit Skimaske vor ihr auf. Ein Mann, der in ihrer Wohnung aufgetaucht war. Sie hatte geglaubt, es sei ihr Dad, doch das hatte sich als böser Irrtum erwiesen. Er hatte sie ergriffen und dann... Anschließend fehlten ihr die Erinnerungen, bis sie schließlich hier zu sich gekommen war.

Das Bild des Mannes schürte Joys Panik. Es war der Beweis dafür, dass das hier kein Traum, sondern schreckliche Realität war! Noch verzweifelter versuchte sie, sich aus ihren Fesseln zu befreien. Sie rüttelte wie verrückt daran und ignorierte das Dröhnen ihres Schädels sowie die Schmerzen ihrer Glieder, während das Seil auf der nackten Haut rieb und zwickte.

Die vollständige Dunkelheit, die sie umgab, machte den Befreiungsversuch noch schwieriger. Sie sah nicht, wo die Knoten sich befanden, sah nicht, wo im Raum sie sich befand, sah nicht, ob es irgendwo Hilfsmittel gab. Alles, was ihr blieb, war an den Fesseln zu reißen und zu rütteln und darauf zu hoffen, dass sie nachgeben würden. Doch das taten sie nicht. Sie gaben nicht nach. Auch der Versuch, ihre Beine zu strecken, um das Seil um ihre Fußgelenke über die Stuhlbeine zu schieben und so ihre Füße zu befreien, scheiterte.

Sie saß fest.

Einen Moment war sie vollkommen still, während sie realisierte, dass sie ausgeliefert war. Der Schock saß tief in ihren Gliedern und ihre Gedanken waren wie leergefegt.

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt