Kapitel 31

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James war die ganze Nacht in Joys Zimmer geblieben. Er hatte sich in ihr Bett gelegt, seinen Kopf im Kissen vergraben und Joys Bettdecke fest umklammert. Er sog ihren Duft ein. Den Duft, den er nie wieder live erleben würde. Er konnte sich einfach nicht von ihrem Bett lösen.

Als Stef kam, sah er nur kurz auf, legte sich wieder ins Kissen und weinte. Stef kam zu ihm, setze sich auf die Bettkante, streichelte ihn zärtlich und sprach mit ihm. Sie fand immer wieder genau die richtigen Worte. James würde nie aufhören, darüber zu staunen. Aber das war wohl Teil ihres Jobs als Journalistin, in dem sie hervorragend war. Trotzdem schaffte Stef es nicht, James aus Joys Bett zu holen.

„Ich gehe in die Küche und mache Frühstück. Wenn du soweit bist, kommst du einfach nach."

„Danke, Stef." James löste einen Moment seine Hand von der Bettdecke und legte sie auf die Wange seiner Freundin. „Danke, dass du für mich da bist."

Stefanie schenkte ihm ein liebevolles, wenn auch trauriges Lächeln. „Joy fehlt mir auch, James. Wir stehen das gemeinsam durch. Ich werde dich niemals alleine lassen. Vor allem nicht jetzt."

James gab ihr einen Kuss auf die Hand, dann verließ sie das Zimmer. Niedergeschlagen drehte er sich auf den Rücken und starrte zur Decke.

„Ich biete auch dem Polizisten vor der Tür einen Kaffee an, wenn das in Ordnung ist", rief Stef aus der Küche.

„Natürlich ist das in Ordnung, Stef. Ich bin doch kein Unmensch. Bitte ihn nur nicht herein."

„Du weißt aber schon, dass du dich nicht ewig vor ihnen verstecken kannst, nicht wahr?" Stefs Kopf erschien noch einmal in der Tür.

James stöhnte und nickte. „Ja, das weiß ich. Nur noch nicht jetzt."

Daraufhin ließ Stef ihn wieder alleine. Als sie ihm nur kurz darauf zurief, dass das Frühstück fertig war, war er allerdings noch nicht bereit, sich von Joys Bett zu lösen. Stefanie erschien ein weiteres Mal in der Tür und setzte sich noch einmal zu ihm ans Bett. Sie versuchte ihn zu trösten, doch wie sollte man einen trauernden Vater trösten? Es gab nichts, was James helfen konnte. Nichts, außer der Rache an Chandler.

„Wir müssen noch über etwas anderes sprechen, auch wenn ich weiß, dass du darüber nicht reden willst. Deshalb habe ich es bisher nicht angesprochen, aber so langsam lässt es sich nicht mehr aufschieben: Hast du vor, zu dem Gedenkgottesdienst zu gehen?"

James' Herz setzte aus. Nein, darüber wollte er wirklich nicht sprechen.

„Da gehe ich nicht hin", antwortete er tonlos.

Stefanie erwiderte traurig seinen Blick, sagte jedoch nichts.

„Stefanie, du musst das verstehen. Die Presse wird da sein und viel zu viele Menschen. Das packe ich heute nicht. Menschen, die denken, meine Joy zu kennen, nur weil sie aus den Nachrichten mitbekommen haben, was sie im letzten Jahr erlebt und durchgemacht hat. Aber das stimmt nicht. Sie kennen sie nicht. Niemand kennt sie so wie ich."

„James, darum geht es doch gar nicht bei dem Gottesdienst. Die Menschen zeigen ihr Mitgefühl. Es ist etwas Schreckliches passiert und sie wollen zeigen, dass sie das nicht einfach hinnehmen. Die Menschen trauern um Joy. Die ganze Welt ist von ihrem Schicksal zutiefst betroffen."

„Aber sie war meine Tochter. Meine Joy. Die anderen sind vielleicht erschrocken, vielleicht entsetzt oder betroffen, aber ich, Stefanie, ich trauere um meine Tochter. Meine einzige und heißgeliebte Tochter. Ich kann jetzt nicht unter Menschen gehen. Außerdem wird auch die Polizei dort auftauchen und sie werden mir erklären, wie leid ihnen alles tut. Das kann ich jetzt einfach nicht. Verstehst du das?"

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt