Kapitel 35

136 22 4
                                    

Joy kämpfte mit dem Klebeband, das Black Soul mit Gewalt mehrmals um ihren Kopf gewickelt hatte. Drei oder vier Lagen quetschten ihr die Backen ein. Sie grub die Finger darunter und zog daran, um es nach unten zu ziehen und ihren Mund freizubekommen. Es war so eng, dass sie es kaum übers Kinn brachte. Als sie ihren Mund endlich frei hatte, konnte sie nicht mehr an sich halten.

„Das kannst du nicht machen!", schrie sie. Sie war völlig aufgelöst, Tränen liefen ihr über die Wangen. Black Soul, der sich zu Nicholas an den Laptop gesellt hatte, schaute überrascht auf. Vorwurfsvoll zog er die Stirn kraus. Aber im Moment war es Joy egal, was er darüber dachte, dass sie sich über ihn hinweggesetzt und sich vom Klebeband befreit hatte. Sollte er sie doch bestrafen. Es war ihr egal.

„Bryan Mills hat nichts verbrochen! Das hat er nicht verdient!" Sie hielt inne, um wieder Luft zu holen. „Und mein Dad ist nicht kriminell! Er... das könnt ihr nicht machen!"

Black Soul schmunzelte. Er schien es ihr bereits verziehen zu haben, dass sie entschieden hatte, sich zu widersetzen.

„Aye, darum geht es ja, Joy. Verstehst du das denn nicht? Es geht darum, den Ruf deines Dads zu zerstören. Er ist ein alter Pirat, Joy. Und entgegen der Behauptungen der Polizei wissen Hansson und sein Team darüber Bescheid. Wir werden ihnen zeigen, dass James das nicht hinter sich gelassen hat. Dass er eine Gefahr für die Bevölkerung darstellt. Er gehört in den Knast."

„Und du?", entgegnete Joy aufgebracht.

Black Soul lachte laut auf. „Ich gehöre in eine ganz andere Kategorie, Schätzchen. Außerdem geht es hier nicht um mich. Es geht nur um deinen Dad. Es ging nie um etwas anderes. Dass ich einen Weg gefunden habe, dabei auch Hansson und sein Team zu bestrafen, kommt mir einfach gelegen."

Joy brachte kein Wort heraus vor Wut und Verzweiflung. Black Soul grinste.

„Dein Dad wird es tun, das weißt du, aye? Er wird alles tun, um dich zu beschützen. Wir haben ihm gezeigt, wie es sich anfühlt, dich zu verlieren. Jetzt weiß er in aller Deutlichkeit, was er zu verlieren hat, wenn er nicht tut, was wir von ihm verlangen. Er wird uns aus der Hand fressen."

Das Schlimme war, dass Black Soul Recht hatte. Ihr Dad hatte sie einmal verloren, er würde es nicht zulassen, dass das noch einmal passierte. Er würde alles tun, um das zu verhindern. Ihr Vater würde ernsthaft den nettesten Polizisten entführen, den es in ganz Sydney gab. Joy hatte Bryan Mills gern. Er war immer gut zu ihr gewesen, hatte ihr zugehört und Trost gespendet, wenn sie bei dem Prozess zusammenzubrechen drohte. Armer Bryan. Er hatte ja keine Ahnung, was ihn erwartete. Und ihr armer Dad! Er war der, der Bryan entführen musste! Dabei war er der friedliebendste Mensch der Welt. Es würde ihn zerstören.

„Mach kein so trauriges Gesicht, Joy. Freu dich darüber, dass du so einen liebenden Vater hast. Er rennt für dich ins Verderben, ist das nicht was?"

Joy konnte nicht darauf antworten. Sie hatte einen dicken Kloß im Hals und kämpfte gegen die Tränen. Ja, ihr Dad würde in sein Verderben rennen. Und das völlig umsonst. Black Soul würde Joy umbringen, egal, was ihr Vater tat. Und ihr Dad hatte keine Chance, sie vorher zu retten. Schließlich hatten Black Soul und Nicholas ihn mit einer Wanze und einem GPS ausgestattet. Sie würden immer genau wissen, was er tat und wo er sich befand. Das hatte Black Soul ihrem Dad mehr als klar gemacht. Wenn er ihnen zu nahe kam, würden sie verschwinden und Joy würde sterben. Ihr Dad hatte keine Chance. Joy war verloren.

~

James war eine Weile über der Kloschüssel gehängt, bis eine kleine Glut in ihm entfachte. Sie war langsam in ein Feuer übergegangen, das inzwischen wild in ihm loderte. Er hatte einen Entschluss gefasst: Er würde alles tun, was Henry von ihm verlangte. Nichts würde ihn zurückhalten. Nichts würde ihn davon abhalten, seine Tochter zu beschützen. Er hatte schon über vierundzwanzig Stunden damit verschwendet, um sie zu trauern, während sie eigentlich am Leben gewesen war, einsam und verzweifelt, in Henrys und Nicholas' Gewalt. James hätte nach Henry suchen sollen! Er hätte keine Sekunde verlieren sollen. Schuld daran war unter anderem die Polizei. Genauer gesagt Hansson. Hätte er ihn nicht aus dem Wald holen lassen, wäre James letzte Nacht schon losgezogen und hätte sich auf die Suche nach Nicholas und Henry gemacht. Er hatte gerade aufbrechen wollen, als die Polizisten aufgetaucht waren. Hätten sie ihn nicht verhaftet, wäre er jetzt irgendwo unterwegs und Henry hätte ihn nie auf Joys Handy erreichen können. Dann wäre er jetzt gar nicht in dieser schrecklichen Situation und hätte stattdessen die Chance, Joy zu finden.

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt