Kapitel 62

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James war sich noch nicht hundertprozentig sicher, ob die Sache funktionieren würde. Aber es war tatsächlich kein Fehler, Hansson wissen zu lassen, dass Mills noch am Leben war und dass James sich um ihn kümmerte. Das war er Hansson schuldig. So wie die Dinge im Moment standen, befürchtete Hansson womöglich, dass Mills gar nicht mehr lebte und James ihn deshalb nicht gehen ließ. Es konnte also nicht schaden, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Also hatte James beschlossen, zwei Fliegen mit einer Klatsche zu schlagen. Es war Zeit für ein Mittagessen. Dabei würde er Mills die Schlaftabletten unterjubeln. Und das Handy in seiner Hemdtasche – das zu keiner Zeit von der Kamera aufgezeichnet werden durfte – würde mitfilmen, wie er sich um Mills kümmerte. Dieses Video würde er anschließend Miles schicken, sodass der es an Hansson weiterleiten konnte.

Auf dem Weg in den Keller nahm James wieder alle Gegenstände von Henry und Nicholas an sich. Miles' Handy hatte er bereits in der Hemdtasche verstaut und die Aufnahme lief schon. Wenn er es richtig einschätzte, müsste es Mills' Oberkörper und seinen Kopf filmen. Perfekt. James atmete noch einmal tief durch, dann ging er die Kellertreppe hinab.

„Zeit für ein Mittagessen", verkündete er, als er unten angekommen war. „Finden Sie nicht auch?"

Mills drehte seinen Kopf ein wenig in seine Richtung, doch er sagte nichts.

„Hätten Sie gerne wieder Käse oder doch lieber Wurst?"

James sah, wie Mills tief durchatmete, aber er blieb weiterhin stumm. Er hatte offensichtlich keine Lust mehr. Das war ihm nicht zu verübeln. Doch so sehr James es gerne ändern würde, er konnte nicht.

„Dann wird es also wieder Käse."

James ging zum Tisch und nahm eine Scheibe Toastbrot heraus. Möglichst unauffällig griff er in seine Hosentasche, holte zwei Tabletten heraus, zerbrach sie und drückte sie ein wenig in das weiche Brot. Anschließend belegte er es mit Käse, sodass die Tabletten darunter verschwanden. Er teilte das Brot wie letztes Mal in ein paar Stücke, nahm eine Flasche Wasser und drehte sich zu Mills. Mills sah ihn missmutig an.

„Okay, ich verstehe Sie. Sie haben keine Lust mehr. Aber Sie können sich wirklich glücklich schätzen, dass ich mich wenigstens um Sie kümmere. Das ist nicht selbstverständlich, wissen Sie? Ich war nie von diesem Glück gesegnet und das macht eine solche Situation noch viel schlimmer. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Henry weiß genau, wie man einen Menschen leiden lässt. Also, wollen Sie nun etwas essen?"

Mills stöhnte und nickte geschlagen.

„Na dann." James kam mit dem Pappteller und einer Flasche Wasser auf den Polizisten zu. „Vermutlich wollen Sie zuerst etwas trinken. Sie sind wahrscheinlich am Verdursten."

James hob die Flasche an Mills' Mund und ließ ihn ein paar Schlucke trinken, ehe er ihm das erste Stück Brot gab. Während Mills lustlos darauf herumkaute, bemerkte James, wie der Polizist das Handy in seiner Hemdtasche entdeckte und es überrascht musterte. Allerdings nur für einen Moment, bis er sah, dass James ihn beobachtete. Mills war ein guter Ermittler, er achtete auf die kleinen Details. Ihm schien sofort aufgefallen zu sein, dass James ein Handy bei sich trug, das Mills zuvor noch nicht gesehen hatte. Ertappt widmete der Mann sich nun wieder dem Kauen und starrte dabei auf seinen Schoß. James gab ihm den zweiten Bissen.

„Ich kümmere mich doch gut um Sie, nicht wahr?", fragte James, bevor er Mills das dritte Stück Brot gab. Mills sah langsam auf. Die Frage schien ihn zu verwundern.

„Und?" James sah Mills auffordernd an. Dieser schien einen Moment darüber nachzudenken.

„Sie... ja, ich vermute, unter den gegebenen Umständen..."

„Glauben Sie mir, unter den gegebenen Umständen kümmere ich mich sogar sehr gut um Sie."

„Das mag stimmen", gab Mills zu, auch wenn James in seinem Gesicht ablesen konnte, dass er das ganz anders sah. „Aber wieso können Sie mich nicht einfach gehen lassen?"

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt