Kapitel 9

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„Verdammt, was haben Sie sich dabei gedacht?" Wütend stürmte Lockwood in Hanssons Büro. „Sie haben Joys Leben aufs Spiel gesetzt, Hansson. Er hat ihr in den Bauch gestochen. Sie ist schwer verletzt!"

„Lockwood, beruhigen Sie sich, bitte!" Hansson war von seinem Stuhl aufgestanden und hielt schützend seine Arme vor sich. „Professor, es war nicht meine Entscheidung. Bitte, beruhigen Sie sich erst einmal."

„Ich soll mich beruhigen, während meine Tochter am Verbluten ist?"

Lockwood war rasend. Der Schock schien ihm in allen Gliedern zu stecken.

„Es tut mir leid, Professor. Ich bin selbst schockiert. Mit so einer Reaktion hat niemand gerechnet. Unsere Nachricht an Chandler war berechnend."

Sie wussten inzwischen, wer Joys Entführer war. Nicholas Chandler. Joys Informationen hatten tatsächlich weitergeholfen. Sie hatten nach polizeibekannten Hackern gesucht und dabei mehrere Blonde mit dem Namen Nicholas gefunden, jedoch nur einen, der nirgends aufzufinden war – vermutlich, weil er sich mit Joy irgendwo versteckte.

Nicholas Chandler, ein unauffälliger Mann, der ursprünglich als Informatiker gearbeitet hatte, seit einer einjährigen Gefängnisstrafe seinen Lebensunterhalt jedoch als Hausmeister in einem Schwimmbad verdiente. Bisher war er nur für kleine Hackerangriffe bekannt gewesen. Kreditkartenbetrug, nichts weiter. Ein Gespräch mit seinen Eltern hatte allerdings schnell gezeigt, dass Chandler nicht zu unterschätzen war.

„Er hat kein Gewissen", hatten sie Hansson erzählt. Als Kind habe er kleine Tiere eingefangen und gequält. Es habe ihm Freude bereitet. Die Eltern hatten schon lange keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn. Sie konnten sich aber durchaus vorstellen, dass er der Mann unter der Skimaske war, vor allem auch, weil er sich keinerlei Mühe gab, seine Stimme zu verstellen. Die Eltern hatten sich mehrmals für ihren Sohn entschuldigt und erklärt, dass sie immer versucht hatten, gute Eltern zu sein. Doch manche Menschen würden wohl böse geboren. Es war die verzweifelte Erklärung verzweifelter Eltern, aber vielleicht hatten sie ja sogar Recht. Doch das tat nichts zur Sache. Entscheidend war, dass sie es mit einem Psychopathen zu tun hatten, wie er im Buche stand.

„Wie konnten Sie das zulassen, Detective? Dieser Mann ist ein Psychopath! Natürlich reagiert er unerwartet. Womit hatten Sie denn gerechnet?"

„Wir wollten ihn besser kennenlernen. Sehen, wie er mit der Situation umgeht. Ob er bereit ist, auch uns entgegen zu kommen und wir ein Wort mitzureden haben. Professor, sich um das Wohlergehen Ihrer Tochter zu sorgen, schien harmlos. Und ich möchte noch einmal betonen, dass es nicht meine Entscheidung war. Die Entscheidung kam von oben. Ich habe dagegen gestimmt."

Lockwood sah den Detective tief erschüttert an, ehe er auf den Stuhl gegenüber des Schreibtisches sank und zusammenbrach. Hansson war überrascht, ihn weinen zu sehen.

„Professor, es tut mir wirklich leid, was passiert ist. Glauben Sie mir, wenn ich könnte, würde ich es sofort rückgängig machen."

„Aber das können Sie nicht", hob Lockwood seinen Kopf.

„Nein, das kann ich leider nicht", bestätigte Hansson betrübt.

~

James konnte noch immer nicht fassen, was passiert war. Joys Schmerzensschrei verfolgte ihn, erschütterte ihn in Mark und Bein.

„Und was haben Sie jetzt vor?", wandte er sich wieder an den Detective. „Ist die Entlassung von Henry vorbereitet? Lassen Sie ihn gehen?"

„Wir sind noch im Gespräch, Lockwood."

„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!", fuhr James von seinem Stuhl hoch. „Joys Leben steht auf dem Spiel! Wir haben gerade erst gesehen, wie ernst Chandler es meint."

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt