Kapitel 36

141 20 6
                                    

James zuckte zusammen, als ein Handy klingelte. Er hatte den Überblick über die Handys verloren und brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es sein eigenes war. Nicht Joys und auch nicht das verhängnisvolle von Henry. Stef war inzwischen wieder da und James hatte sein Möglichstes getan, sich so normal wie möglich zu verhalten. In seinem Fall bedeutete das, den trauernden Vater zu spielen. James machte es sich leicht und verschanzte sich unter dem Vorwand, seine Ruhe zu brauchen, im Schlafzimmer. Stefanie hatte vollstes Verständnis dafür. Sie war einfach ein Schatz.

Von dem plötzlichen Handyklingeln war James schrecklich aufgewühlt und musste sich erst einen Moment besinnen, um wieder zur Ruhe zu kommen, ehe er den Hörer in die Hand nahm. Als er die Nummer sah, war er drauf und dran, den Anruf wegzudrücken. Allerdings brauchte er sein Rendezvous mit Mills und der Anruf war womöglich seine beste Chance.

„Lockwood", meldete er sich.

„Professor Lockwood, Hansson hier. Bitte legen Sie nicht gleich wieder auf."

„Nennen Sie mir einen guten Grund, es nicht zu tun."

Ein Stöhnen am anderen Ende, dann: „Es gibt Entwicklungen in Joys Fall."

James konnte sich gerade noch davon abhalten, zu fragen, ob sie den Aufenthaltsort von Chandler und Black Soul gefunden hatten. Er trug eine Wanze und die beiden konnten alles mithören. Hansson durfte unter keinen Umständen über die Entwicklungen sprechen, solange James nicht wusste, worum es ging. Sonst würden die beiden womöglich durch ihn gewarnt werden und konnten fliehen. James fluchte in sich hinein und stöhnte laut.

„Ich möchte nicht mit Ihnen reden, Detective", entschied er sich zu sagen. „Das können Sie sicher verstehen. Aber ich bin einverstanden, mit Bryan Mills zu sprechen." Sein Herz krampfte sich zusammen, während er die Worte aussprach. „Nur nicht übers Telefon. Und ich werde auch nicht aufs Revier kommen. Ich rede nur mit Mills persönlich. Wäre er einverstanden, dass ich nach Feierabend zu ihm nach Hause komme?"

James stellte die Frage so unauffällig wie möglich. Hoffentlich ahnte Hansson nichts. James' eigene Wohnung wurde bewacht wie eine Festung. Es war ausgeschlossen, Mills hier zu entführen und ungesehen rauszubringen. Es musste bei dem jungen Polizisten zu Hause sein. James hörte leises Gemurmel am anderen Ende der Leitung. Sein Herz randalierte in seiner Brust, während er wartete.

„Wir machen im Moment keinen Feierabend, Mr. Lockwood, aber Bryan Mills ist gerne bereit, sich mit Ihnen bei ihm zu Hause zu treffen. Wenn es das ist, was Sie sich wünschen, kommen wir Ihnen da gerne entgegen. Wir meinen es wirklich gut, Professor."

Ein Knoten bildete sich in James' Magengegend. Er wusste, dass sie es gut meinten. Er wusste, dass sie Tag und Nacht daran arbeiteten, Chandler und Black Soul aufzuspüren. Und James lockte sie in eine Falle. Er fühlte sich schrecklich.

„Das freut mich zu hören, Detective. Ich weiß das wirklich zu schätzen", entgegnete er mit einem dicken Kloß im Hals. „Wie ist denn die Adresse Ihres Kollegen?"

Hansson nannte ihm die Adresse und James erklärte, dass er abends so gegen sieben vorbeikommen würde. Er brauchte noch Zeit, um sich vorzubereiten. Hansson stimmte glücklicherweise zu.

Als James auflegte, brauchte er erstmal Luft. Er ging zum Fenster und riss es auf. Gierig sog er die frische Luft ein. Er hasste, was er im Begriff war, zu tun. Aber er tat es für Joy.

„Für Joy", flüsterte er in den Wind, dann sank er an der Wand entlang zu Boden.

~

Hansson war froh, dass Lockwood sich auf ein Gespräch einlassen wollte. In den letzten zwanzig Minuten hatte er mit Bryan besprochen, was er sagen sollte. Dabei hatten sie auch überlegt, wie Bryan Lockwood sanft noch einmal auf das Geschehene ansprechen konnte. Sie wollten, dass er verstand, wie leid es ihnen tat und dass sie alles daran setzten, Chandler und Black Soul zu finden und sie angemessen zu bestrafen. Sie waren alle nur Menschen und Menschen machten Fehler. Niemand hatte vorhersehen können, dass Joy trotz aller Bemühungen sterben würde. Sie waren Chandlers Forderung nachgekommen, aber es hatte nichts geändert. Chandler hätte Joy in jedem Fall Black Soul übergeben. Wenn sie Black Soul nicht freigelassen hätten, wäre Joy stattdessen in der Explosion gestorben. Sie wäre gestorben, egal, was irgendjemand unternommen hätte.

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt