Kapitel 27

153 23 22
                                    

Im Auto war es viel zu still. Die beiden Polizisten schienen zu verlegen zu sein, um sich zu unterhalten. Nur das Radio sang leise vor sich hin. Zwischendurch meldete sich das Funkgerät, aber James verstand nicht, was gesagt wurde und die Polizisten reagierten nicht darauf. Ihre Aufgabe war es, ihn nach Hause zu bringen. Und wie James Hansson einschätzte, sollten sie vermutlich auch die restliche Nacht dort verbringen.

James kämpfte mit den Tränen. Die Ruhe machte ihn verrückt. Er konnte nicht mehr stillsitzen. Im Wald hatte er wie wild um sich geschlagen. Er hatte auf einen Baum eingeschlagen, bis seine Knöchel blutig gewesen waren. Jetzt war er gezwungen, stillzusitzen. Das funktionierte nicht. In ihm brodelte ein Vulkan. Ein Vulkan aus Trauer und Wut, wobei die Trauer mehr und mehr die Oberhand gewann. Sie brodelte und brodelte und stand kurz davor, auszubrechen.

„Halten Sie an!", stieß er aus. Die Blicke der Männer flogen ihm durch den Rückspiegel entgegen.

„Wie bitte?"

„Halten Sie an!", forderte er noch einmal. „Ich muss hier raus! Ich brauch frische Luft!"

Er keuchte. Seit einer guten Stunde versuchte er, die Ruhe zu bewahren. Jetzt ging es nicht mehr. Seine Trauer drückte ihm die Luft ab. Die Enge des Autos und die begleitende Stille erdrückten ihn. Er musste hier raus!

„Sir, wir sind mitten in der Stadt, wir –"

„Bitte, halten Sie an!", flehte er die Männer an, die sich daraufhin unsichere Blicke zuwarfen.

„Ich fürchte, dass können wir –"

„Bitte!", schrie James nun. Die Polizisten starrten ihn schockiert an. Der Fahrer sah sich gestresst um.

„Also gut. Ich bieg da vorne ab."

Wenig später bog er in eine Seitenstraße und fand zu James Erleichterung kurz darauf einen Parkplatz. Der Beifahrer stieg aus und öffnete James die Tür. James hatte sich bereits abgeschnallt und stürzte auf den Gehweg. Von der Trauer getrieben rannte er zur gegenüberliegenden Hauswand und schlug mit seinen gefesselten Händen darauf ein.

„Aaaaaaah!", brüllte er seine Verzweiflung heraus.

„Sir, Mr. Lockwood..." Die Stimme des Beamten klang besorgt und ein wenig hilflos. James ließ sich an der Wand entlang zu Boden sinken und brach in Tränen aus. Verzweifelt schlug er auf den Boden ein.

„Joy!", jammerte er immer und immer wieder. Irgendwann konnte er nicht länger sitzen bleiben und stand auf. Wie ein Irrer lief er auf dem Gehweg auf und ab. Einer der Polizisten hatte ihn aufhalten wollen, bis er bemerkte, dass James nicht vorhatte, zu fliehen, sondern nur Bewegung brauchte.

Joy war tot. James würde sie nie wieder sehen. Er konnte sich nicht einmal mehr verabschieden, denn von ihrem Körper war nichts mehr übrig. Er war von einer Bombe zerfetzt worden. Von einer Bombe, verdammt! Seine Tochter war tot und er hatte versagt. Er hatte als Vater versagt. Er hätte sie beschützen sollen. Wer konnte das besser als er, der er ein verfluchter Soldat und Pirat gewesen war?

Vor einer Hauswand blieb James schließlich stehen. Einige Sekunden starrte er sie reglos an. Er hatte alles verloren. Er hatte Joy verloren. Plötzlich traf ihn die eiskalte Erkenntnis, dass er so nicht weiterleben wollte. Ohne noch einmal darüber nachzudenken, knallte er seinen Kopf mit voller Wucht gegen die Wand.

„Mr. Lockwood!", schrie jemand entsetzt. Schmerz explodierte in James' Schädel und ihm wurde schummrig. Er zog den Kopf zurück, legte ihn in den Nacken und nahm erneut Schwung.

„Mr. Lockwood!", erklang es verschwommen im Hintergrund und im selben Augenblick wurde er von hinten gepackt und von der Wand weggezogen.

„Verdammt, was tun Sie denn da?" James nahm nur vage Umrisse des Mannes wahr. Er spürte, wie das Blut über sein Gesicht lief.

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt