Kapitel 40

141 25 7
                                    

Bryan war zusammengezuckt, als er plötzlich ein schrilles Klingeln aus dem Gang gehört hatte. War das ein Handy? Hatte Lockwood ernsthaft sein Handy an, während er einen Polizisten entführte? Für wen wollte er denn in einer solchen Situation erreichbar sein? Und konnte man sein Handy nicht orten? So oder so war Bryan froh darum. Vielleicht verschaffte ihm das ein wenig Zeit, denn er hatte voller Entsetzen feststellen müssen, dass der Fenstergriff zu hoch war für seine hinter dem Rücken gefesselten Hände. Er musste zuerst den Schreibtisch ein Stück zum Fenster schieben, um darauf zu klettern und das Fenster zu öffnen. Kurz hatte er auch darüber nachgedacht, seine Hände zu befreien, indem er das Klebeband an einer scharfen Kante durchschnitt, aber er fand keine solche Kante und wenn er es nicht schaffte, seine Hände zu befreien und anschließend doch auf den Schreibtisch steigen musste, hatte er nur wertvolle Zeit verloren.

Bryan ignorierte Lockwoods Telefonat, von dem er ohnehin nichts verstand, und stemmte sich gegen den Schreibtisch. Vorsichtig schob er ihn Zentimeter für Zentimeter an das Fenster heran. Glücklicherweise kratzten die Tischbeine nicht am Boden. Der Schreibtisch war leer und nicht besonders schwer. Trotzdem war Bryan völlig außer Atem. Die Aufregung und Anspannung setzten ihm zu. Das kostete alles viel zu viel Zeit! Zeit, die er nicht hatte!

Die Luft anhaltend lauschte Bryan in den Flur, hörte aber nichts mehr. Lockwood musste das Telefonat bereits beendet haben. Schweiß rann von Bryans Stirn. Er konnte nicht fassen, welch große Angst er vor einem Mann hatte, den er vor zehn Monaten selbst noch zu retten versucht hatte. Einem Mann, zu dem er immer ein gutes Verhältnis gehabt hatte.

Bryan atmete einmal tief durch, dann stieg er umständlich auf den Schreibtisch. Mit gefesselten Händen war das gar nicht so leicht. Als er es geschafft hatte, stellte er sich mit dem Rücken zum Fenster, um es zu öffnen. Sein Herz raste, die Handflächen waren feucht. Verkrampft sah er über seine Schulter nach hinten, um zu sehen, was er tat. Seine zitternden Finger tasteten nach dem Fenstergriff, als er plötzlich einen Lufthauch spürte. Einen Sekundenbruchteil später schlug nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt ein Messer in der Wand ein. Bryan starrte es voller Entsetzen an und hielt sofort in der Bewegung inne. Er erstarrte.

„Es tut mir leid, Mr. Mills. Ehrlich leid. Aber kommen Sie bitte von diesem Tisch herunter."

Es hatte tatsächlich ein paar Schrecksekunden gedauert, bis Bryan verarbeitet hatte, was das Messer in der Wand neben ihm bedeutete. Sein Herz klopfte laut in seiner Brust, als er den Kopf drehte und Lockwood in der Tür stehen sah. Hatte er das Messer ernsthaft von dort geworfen? Hatte er ihn treffen wollen und verfehlt? Oder hatte er tatsächlich auf wenige Zentimeter neben seinem Kopf gezielt und getroffen? Verdammt, mit diesem Mann war wirklich nicht zu spaßen.

„Kommen Sie, Mills."

Ein Abgrund tat sich in Bryans Innerem auf. Nein. Nein! Verdammter Mist! Er hatte versagt. Er hatte nur ein paar Sekunden zu lange gebraucht. Er war doch schon am Fenster gewesen!

Lockwood kam auf ihn zu und griff nach dem Messer, das noch immer neben Bryans Gesicht steckte. Bryan konnte sich nicht regen. Seine Knie waren weich, aber er war stocksteif. Lockwood zog das Messer aus der Wand und schob Bryan vom Fenster weg.

„Das war eine ganz doofe Idee", brummte er und Bryan erzitterte. Geschlagen ließ er sich von Lockwood vom Tisch helfen. Dieser drückte ihm erneut das Messer in den Rücken und Bryan verließ widerwillig das Büro. Im Flur angekommen sah er sehnsüchtig zur Ausgangstür, die er so schnell vermutlich nicht wiedersehen würde. Lockwood zwang ihn in die andere Richtung, zurück in den Keller. Dort befahl er ihm, wieder auf dem Stuhl Platz zu nehmen. Er nahm seine Hände und legte sie hinter die Stuhllehne. Dann griff er zum Klebeband.

„Wenn ich sage, Sie sollen sich nicht vom Fleck bewegen, dann meine ich das auch so."

Bryan wurde übel. Hitze stieg ihm in die Wangen. Lockwood pfriemelte den Anfang des Klebebands ab, dann wickelte er es zweimal komplett um Bryans Oberkörper, ehe er es mit dem Messer durchschnitt. Bryan war erleichtert. Er hatte Schlimmeres erwartet.

Im Strudel der Zeit - TodgeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt