1 Kapitel: ... Sie haben Glück

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»Pimmel Bingo, Teil 3 also ...« Ich tippte wild und gut hörbar auf die Tastatur ein und schaute in unserer Datenbank nach dem gewünschten Film. Das müsste ich eigentlich gar nicht. Ich wusste ganz genau, dass der beliebteste aller Pornofilme gerade erst ausgeliehen worden war. Allerdings wirkte es viel kompetenter, wenn man sich einige Minuten durch die Datenbank arbeitete und mit gerunzelter Stirn auf den Bildschirm starrte. Und die Spannung wurde dadurch natürlich auch erhöht.

»Nein, tut mir leid. Der ist gerade vergriffen.« Ich klickte mich noch einige Seiten weiter. »Aber Sie haben Glück, der dürfte morgen wieder da sein. Möchten Sie sich vielleicht bis dahin den vierten Teil ausleihen?«

»Och ne, beim besten Willen nicht. Dann komm ich ja gar nicht mehr mit. Ich schau dann einfach morgen wieder vorbei«, sagte der junge, anscheinend sexuell sehr aktive, Mann. Offensichtlich sorgte das viele Porno-Schauen für einiges an Verwirrung. Oder stimmte es etwa doch? Diese Legende mit dem Schwund von Gehirnwasser wenn man zu oft ...? Ich wäre zumindest nie davon ausgegangen, dass die Story der Pimmel-Bingo-Reihe so kompliziert war, dass man die Filme unbedingt in der richtigen Reihenfolge schauen musste. Wahrscheinlich an Komplexität mit der Matrix-Trilogie zu vergleichen. Da hatte ich auch den ersten Teil noch verstanden und danach komplett den Faden verloren. Eine Aneinanderreihung von Fremdwörtern gespickt mit Special Effects. Das war nichts für mich!


Der Typ verließ vor sich hin brummend die Videothek, in der ich heute die Frühschicht übernommen hatte. Eigentlich war gerade in der Zeit zwischen 14 und 17 Uhr so gut wie gar nichts los. Die meisten Leute kamen kurz vor 20 Uhr, um sich noch etwas Schönes für den wohl verdienten Feierabend auszuleihen. Pornos wurden allerdings zu jeder Tages- und Nachtzeit ausgeliehen und geschaut. Sex sells. Immer. Ich hatte da keine Vorurteile oder gar etwas dagegen. Nicht jeder konnte sexuell so inaktiv und uninteressiert sein wie ich. Ansonsten würde die Menschheit über kurz oder lang leider aussterben. Wäre doch schade darum. Obwohl?


Die Türglocke läutete erneut.

Was war denn heute nur los? Ansonsten genoss ich die Schichten hier vor allem wegen der Ruhe und weil ich die Zeit nutzen konnte, um unnötiges Zeug im Internet zu lesen oder Sudoku zu spielen. Wegen der vielen Unterbrechungen und der Recherche nach ›Pimmel Bingo 3‹ zeigte mir die Sudoku-Uhr in meinem Browser aber schon ganze 26 Minuten an. Wenn ich keine Chance mehr hatte, meinen eigenen Rekord zu brechen, machte es keinen Spaß. Ich schloss das Fenster, bis nur noch der Bildschirmhintergrund zu sehen war. Das Filmplakat von ›Fluch der Karibik‹. Jonny Depp stierte mich an. In der einen Hand hielt er eine Art Gewehr oder Revolver und in der anderen einen Säbel. Warum sah der in den Filmen eigentlich immer so gay aus?


»Helena, ich bin's?« Marie, meine beste Freundin. Um genau zu sein: Meine einzige Freundin. In der Tat. Ich hatte weder viele gute Bekannte noch Freunde. Nicht weil ich ein schlechter Mensch war oder irgendwie unangenehm roch. Nein. Ich hatte einfach kein Interesse daran. Außerdem war es nicht wirklich eine Freude, etwas mit mir zu unternehmen. Ich war langweilig, ständig schlecht gelaunt und kam mit anderen Menschen schlichtweg nicht klar. Marie war da aber irgendwie eine Ausnahme. Sie ging mir nicht nach wenigen Minuten auf die Nerven und - was noch wichtiger war - sie konnte mich auch einfach mal in Ruhe lassen, wenn ich mal wieder eine meiner Phasen hatte.

»Ganz gut. Eben war wieder einer wegen Pimmel Bingo da.«

»Ah, der Blockbuster. Welcher Teil?«

»Der Dritte.«

»Ah, der.«

»Und du so?« Marie kramte in ihrer Handtasche herum und zauberte eine fettige Papiertüte hervor, die sie mir auf den Tresen legte.

»Hier für dich. Iss!«

»Ich hab keinen Hunger.«

»Iss!«

Ich rollte mit den Augen, griff aber dann doch nach der Tüte. Es war nicht so, dass ich eine Essstörung oder so hätte. Ich aß nur von Natur aus weniger als andere. Also zumindest weniger als Marie. Und die aß nun mal wirklich sehr gerne. Jetzt zum Beispiel. Sie biss herzhaft in ihr Schokoladencroissant und pflügte sich mit der Zungenspitze einige Krümel aus dem Mundwinkel.

»Ich hab ne tolle Idee«, sagte sie mit vollem Mund.

»Aha, spuck mal bitte nicht so auf den Tresen.«

»Hör mal zu! Ich muss etwas für meine Figur machen, also damit ich im Sommer hammermäßig in meinem Bikini aussehe und allen Typen die Augen ausfallen werden!«

»Aber das tust du doch gerade, also etwas für deine Figur.« Ich zeigte mit dem Finger auf ihr Schokoteilchen. Sie blinzelte mich böse an und seufzte.

»Nicht so. Ich muss Sport machen. Gehst du mit? Bitte!«

»Nicht wieder Handball. Alles nur das nicht. Mir tat danach alles weh und ich war voller Blutergüsse und Schrammen.«

»Nein etwas Besseres. Viel besser. Voll der Trend momentan.«

Ich griff über den Tresen und wischte ihr mit dem Daumen Schokolade von der Wange.

»Und was ist es, was momentan so trendy und hip ist?« Ob sie den Sarkasmus in meiner Stimme heraushörte? ›Trendy‹ und ›hip‹ waren zwei Worte, die nun wirklich kein bisschen zu mir passten.

»Zumba!«

»Ist das nicht der Cocktail, den wir gestern getrunken haben?«

»Nein, das war Lumumba!«

»Okay, der war auf jeden Fall echt eklig!«

»Stimmt. Aber Zumba soll cool sein. Eine Mischung aus tanzen und Aerobic und man verbrennt unglaublich viele Kalorien dabei. Ich weiß, du hast das nicht nötig und schwimmen gehst du auch nicht, also brauchst du ja auch keine Bikinifigur. Aber du magst doch Musik. Vielleicht macht es dir ja Spaß.« Ich zuckte mit den Achseln. Eigentlich war es mir egal. Und wenn ich so Marie eine Freude machen konnte, sollte es mir recht sein.

»Meinetwegen. Es ist ja nicht so, als ob ich momentan viel zu tun hätte.«


Um ehrlich zu sein, sahen meine Tage und Wochen in letzter Zeit alle ziemlich gleich aus. Schlafen, aufstehen, manchmal in der Videothek aushelfen, abends einen trinken gehen, mit irgendeinem Typen rummachen, ihn wieder abservieren, alleine nach Hause gehen und meinen Rausch ausschlafen. So ein Sportkurs dürfte da noch irgendwo dazwischen passen.


»Morgen ist ein Zumba-Kurs ganz bei dir in der Nähe. Du kannst hinlaufen. Das erste Mal ist immer kostenlos. Zum Reinschnuppern. Treffen wir uns kurz vor acht vor der Halle?«

Ich nickte. Marie strahlte über das ganze Gesicht und klatschte vor Freude wild in die Hände. Das brachte nun auch mich etwas zum Lächeln. Zumindest ein wenig. Bis die Türklingel ein weiteres Mal läutete.

»Was ist denn heute nur los?«, flüsterte ich leise mehr zu mir selbst. So genervt war ich hier schon lange nicht mehr gewesen. Ein Kerl, der mehr Haare auf seinen Armen als auf seinem Kopf sein Eigen nennen konnte, lief schnurstracks zu mir an den Tresen.

»Ist Pimmel Bingo 2 wieder da?«

»Sie haben Glück, der wurde vorhin zurückgebracht!«

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