22 Kapitel: ... Ich dich auch

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Um ehrlich zu sein, war ich doch mehr durch den Wind, als ich zuerst gedacht hatte. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Wälzte mich unruhig in den Kissen hin und her und hatte einen unglaublich schnellen und heftigen Puls. Ich konnte einfach nicht abschalten aber auch keinen klaren Gedanken fassen. Ich war unruhig und schreckte regelmäßig zusammen, wenn ich ein Geräusch hörte. Alles in allem war es eine schreckliche Nacht, die einfach nicht enden wollte.

Am nächsten Morgen klingelte es schon sehr früh an meiner Haustür. Im Bett war ich trotz der frühen Uhrzeit trotzdem schon lange nicht mehr. An Schlaf war eh nicht zu denken. Und mit offenen Augen im Bett liegen war wenig produktiv. Also spülte ich Geschirr.

Ich schaute erst mal durch den Spion, auf so eine Überraschung wie neulich mit meinem Vater konnte ich gut und gerne verzichten. Vor der Tür standen allerdings drei Polizeibeamte. Mein herz begann zu rasen. Ich konnte nichts dagegen tun. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend öffnete ich die Tür und ließ die Beamten hinein.

Sie drückten ihr Beileid aus und faselten dann irgendwas von Autopsie und davon, dass der Todeszeitpunkt noch nicht zu hundert Prozent feststünde. Aber sie gingen davon aus, dass der Tod in Folge einer Schussverletzung eingetreten war. Ich musste ihnen auch noch einige Auskünfte über meine Mutter und über unsere Familienverhältnisse im Allgemeinen geben, was mir nicht gerade leicht fiel. An vieles konnte und an noch mehr wollte ich mich nicht mehr erinnern. Ich war keine große Hilfe glaube ich.

An einigen Tagen dachte ich, dass ich eigentlich mittlerweile ganz gut mit allem zurechtkam, vieles verarbeitet hatte. Dass ich im Laufe der Zeit gelernt hatte relativ normal zu leben. Zumindest für meine Verhältnisse. Und dann waren da diese speziellen Momente, in denen ich zum Beispiel drei Polizeibeamten gegenübersaß, ihnen von meiner Kindheit erzählte und bemerkte, wie sehr dabei meine Hände zitterten. Ich war schwach und noch lange nicht über alles hinweg. Es machte mich wütend, dass einige wenige Jahre, die schon so lange zurücklagen, mein ganzes Leben bestimmen sollten. Es war so unfair.

Ich war richtig froh und erleichtert, nun zu Yvi gehen zu können. Bei mir klingelte andauernd das Telefon. Marie machte sich Sorgen um mich und erkundigte sich im Stundentakt, ob alles okay bei mir war. Sie rechnete wohl mit einem baldigen Amoklauf oder zumindest mit einem Nervenzusammenbruch, der es in sich hatte. Meine Omi redete hingegen schon von Beerdigung, Trauerfeier und Einäscherung. Ich mochte nicht mehr darüber nachdenken, einfach ein paar Stunden bei Yvi abschalten. Das alles war einfach zu viel für mich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die nächsten Tage überstehen sollte.


Yvi hatte Spaghetti gekocht. Richtig lecker. Jedoch verlief das Essen eher schweigsam.

Ich sagte nichts, weil ich einfach nichts zu sagen hatte.

Yvi war still, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Es war eine schwierige Situation, das wusste ich. Aber ich war zu schach etwas daran zu ändern.

»Yvi.«

»Hell.«

Wir fingen gleichzeitig an zu reden und lachten.

»Du zuerst.« Yvi gab mir den Vortritt.

»Alles ist okay. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Das wollte ich dir nur sagen.« Ich sprach leise, die letzten Worte waren kaum zu verstehen. Yvi kräuselte die Stirn und griff über den Tisch hinweg nach meiner Hand.

»Ich sehe dir doch an, dass es dir nicht gut geht.« Daraufhin konnte ich nichts erwidern. Ich war müde und aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen die ganze Zeit schon kurz davor zu weinen. Aber das würde sich garantiert bald wieder legen. Ich musste nur zur Ruhe kommen.

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