Erstaunlicherweise – und niemanden überraschte es mehr als mich selbst – befand ich mich also in so was Ähnlichem wie einer festen Beziehung. Okay, wir waren beide Frauen und man konnte mich nach wie vor nicht wirklich anfassen und auch ansonsten hielt ich nicht allzu viel von Nähe.
Aber ...
Nein nichts aber! Da ich keine Ahnung hatte, wie sich eine richtige Beziehung anfühlte, hatte ich auch keinen blassen Schimmer, in wie weit das hier alles normal war. War das überhaupt eine Beziehung? Außer Händchen halten und ab und an mal einem schüchternen Kuss auf den Mundwinkel unterschied sich unsere Beziehung nämlich kaum von der zwischen Marie und mir. Ich wollte es allerdings nicht all zu sehr analysieren. Momentan hoffte ich einfach nur inständig, dass Yvi das vorerst genügen würde. Ich wollte ihr ja nicht schon nach einigen Wochen mit meiner Art auf die Nerven gehen. Oder noch wahrscheinlicher: Ich wollte nicht, dass sie sich einfach Ersatz suchte. Jemanden nicht ganz so Kompliziertes, der ihr das geben konnte, was sie brauchte. Dürfte ja nicht so schwer sein.
Ich war mir darüber im Klaren, dass ich mich in Zukunft auf Kompromisse einlassen werden müsste. Aber über einiges sollte ich jetzt einfach noch nicht so genau nachdenken. In Beziehungen werden ja auch andere Dinge getan ... intime Dinge. Also ich kannte das alles ja nur vom Hörensagen, und vom »Pimmel Bingo«, was bei uns ja schon anatomisch nicht möglich war. Außerdem hatte ich die Filme ja eh nie gesehen, nur die Beschreibung auf der Rückseite der Hülle gelesen ... nein, darüber würde ich jetzt mit Sicherheit nicht nachdenken!
Das Telefon klingelte und ich zuckte zusammen. Ich war einfach viel zu schreckhaft.
Auf meinem Display erkannte ich die Telefonnummer meiner Oma. Eine erfreuliche Abwechslung.
»Hey Omi, schon lange nichts mehr von dir gehört, geht's dir gut?« Auf der anderen Seite nur ein Schluchzen.
»Oma?«
»Kind, sei bitte tapfer.« Wieder Schluchzen und dann ein geräuschvolles Schnäuzen.
»Oma, ist was passiert?«
»Helena, sie haben deine Mutter gefunden. Sie ist tot.« Naseputzen und weitere herzzerreißende Laute. »Helena, bist du noch dran? Sie denken es war Mord. Kannst du dir das vorstellen ermordet ...«
Seltsam, ich konnte mir das sogar sehr gut vorstellen. Ich war auch nur wenig schockiert und traurig. Nein. Ich glaube, meine Mutter war schon viel eher für mich gestorben. Das war das Problem. Hier ging es um eine Frau, die mir gänzlich fremd war. Sie hatte mit meiner Welt nichts zu tun gehabt und nun war sie ganz verschwunden. Unwiderruflich.
Ich weiß nicht mal mehr, wann ich sie das letzte Mal gesehen hatte.
War ich kaltherzig? Gefühllos? Oder einfach viel zu betäubt, um die Situation richtig einzuschätzen? Oder ein bisschen was von allem?
Leider war ich auch für meine Oma kein wirklicher Trost. Nach einigen Minuten, in denen wir uns weiter anschwiegen und jeder seinen Gedanken nachhing, verabschiedeten wir uns und legten auf.
Abends rief mich dann noch mal Yvi an. Erst wollte ich ihr nichts davon erzählen, aber dann dachte ich mir, dass sie das schon wissen sollte. Zumindest wäre sie bestimmt enttäuscht und sauer gewesen, wenn sie es irgendwie anders als von mir persönlich erfahren hätte. Auch Yvi schien schockierter zu sein als ich.
»Oh Mann Hell, das tut mir so leid. Was ist denn passiert?«
»Yvi, bei mir ist, wenn es um meine Eltern geht, alles etwas anders. Um nicht zu sagen ziemlich gestört und abnormal. Mein Vater hatte schon immer Probleme mit Drogen und, nachdem ich auf der Welt war, ist auch meine Mutter da irgendwie mit abgerutscht. Seitdem gab's da eh keine Hoffnung mehr. Mich hat irgendwann das Jugendamt da vollkommen verwahrlost rausgeholt und meine Eltern haben sich die letzten Jahre auf der Straße durchgeschlagen. Wahrscheinlich haben sie sich mit einigen kriminellen und illegalen Aktionen über Wasser gehalten. Sie wollten nie Hilfe und ganz ehrlich: Von mir hätten sie auch keine bekommen.« Ich seufzte einmal laut und fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen. Ich war müde. So unglaublich müde. »Die Drogen, das Anschaffen gehen und die vielen Probleme mit irgendwelchen zwielichtigen Gestalten ... was meine Mutter im Endeffekt getötet hat, muss die Polizei noch herausfinden.«
»Geht's dir gut Hell? Soll ich vorbeikommen? Sei bitte ehrlich.«
»Ach was, schon okay.«
»Ich komme gerne vorbei, ich will dir beistehen.« Yvis Stimme hörte sich schon richtig flehend an. Aber ihre Sorge war unbegründet. Ich spürte nichts. Als wäre es nicht meine Mutter die gestorben war. Ich war es, die sich innerlich wie tot fühlte.
»Yvi, mach dir keine Gedanken ... klar, ich stehe gerade etwas neben mir, aber nicht viel mehr als sonst.«
Schweigen.
»Yvi, bist du jetzt böse?« Die Stille auf der anderen Seite der Leitung verunsicherte mich.
»Warum sollte ich denn jetzt böse sein?«
»Ich weiß nicht. Ich sag oft Sachen, die die Menschen um mich herum verletzen und merk das nicht mal.«
»Kommst du wenigstens morgen mal bei mir vorbei? Ich möchte dir meine Wohnung zeigen. Ich koch dir auch was Schönes und du kannst etwas ausspannen.«
»Klar, gerne!«
----------
Leute, Leute, Leute ...
Eins verspreche ich euch ... ab jetzt wird's spannend :-)
Wir nähern uns dem Höhepunkt und dann leider auch schon langsam dem Ende :-(
Bleibt mir noch ein paar Wochen treu ;-)
Eure Katharina

DU LIEST GERADE
Like Hell
Teen FictionAbgeschlossen! Hell ... Den Namen hatten sich irgendwann meine Klassenkameraden ausgedacht. Er würde wohl besser zu mir passen als Helena. Helena, hatten wir einmal in der Schule gelernt, bedeutete so viel wie ›die Schöne‹ und ›die Strahlende‹. Ich...