Heute war mal wieder Party-Time angesagt. Marie hatte durch einen glücklichen Zufall zwei Karten für eine Studentenparty in der Nachbarstadt ergattert. Solche Großveranstaltungen in stickigen und viel zu überfüllten Hallen lockten mich eigentlich nicht im geringsten. Menschenmassen versuchte ich tunlichst zu vermeiden, aber ab und an musste ich ja auch mal zurückstecken. Marie nahm ansonsten wirklich immer Rücksicht auf mich.
Ich wusste das und war ihr dankbar dafür.
Wir studierten beide nicht. Marie würde wohl, wenn sie es sich nicht doch noch zehn Mal anders überlegte, ab nächstem Semester Biologie studieren. Somit war ihre Anwesenheit ja schon irgendwie gerechtfertigt. Meine hingegen kein bisschen.
Ich hatte noch keinen Plan für die Zukunft.
Null.
Ich wusste ja noch nicht mal, was mich die nächste Woche erwarten würde. Oder morgen ... Ich lebte einfach weiter in den Tag hinein. Stand morgens auf und brachte Stunde für Stunde hinter mich, bis ich mich abends wieder ins Bett legte.
Das war mein Leben.
Als wir die Party betraten, war ich mir ziemlich schnell sicher, dass mich diese Atmosphäre auch nicht vom so oft angepriesenen Studentenleben überzeugen würde. Ich atmete einmal durch und versuchte mich so zu beruhigen. Was nicht einfach war. Ich hasste so viele Menschen auf einmal. Marie stürzte sich im Gegensatz zu mir gerne ins Getümmel, um zu tanzen. Ich ekelte mich davor und hatte - um ehrlich zu sein - auch etwas Angst. Man wurde notgedrungen von fremden Menschen berührt. Verschwitzte, nackte Arme, die meine streifen würden. Körper, die sich aneinander rieben, sich anfassten ... Alleine beim Gedanken daran stellten sich mir die Nackenhaare auf.
Wir verabschiedeten uns also für die nächsten Minuten (oder Stunden) voneinander und ich setzte mich wenig überraschend an die Bar, um mir ein Glas Whiskey-Cola zu bestellen. Ich bewegte mich auf dem Barhocker rhythmisch zur Musik, sang hier und da ein Lied mit und trank meinen Longdrink. Das genügte mir. Ich brauchte keine Unterhaltung. Genauso wenig, wie ich andere Menschen um mich herum brauchte.
Trotzdem dauerte es nicht lange, bis ich von einem Kerl angesprochen wurde. Natürlich. Ich war immerhin ein stark geschminktes Mädchen mit fast leerem Drink, das alleine an der Bar saß. So etwas spüren Männer auf mehrere Kilometer Entfernung gegen den Wind. Perfekte Beute.
Lächerlich!
»Hi, du bist ja so alleine«, säuselte mir ein muskulöser Kerl mir rotem Cappy und Dreitagebart ins Ohr. Ich rutschte einige Zentimeter von ihm weg. Sein Atem roch nach Alkohol und Rauch. Außerdem erkannte ich Schweißperlen auf seiner Stirn.
»Richtig erkannt«, gab ich kurz angebunden zurück. Ich hasste Smalltalk. Sollte er doch einfach sagen, was er von mir wollte, und sich dann wieder verpissen.
»Kann ich dir ein Getränk ausgeben?«
Ich stürzte mein Longdrink hinunter und ließ das Glas lautstark auf der Theke nieder.
»Was ein Zufall, meins ist gerade leer.«
Okay, er sollte mir ein Getränk ausgeben und danach wieder abhauen. Ganz einfach. Er lachte und bestellte zwei ›Sex on the beach‹. Ekelhaftes Gebräu, aber egal. Es war umsonst und ihn schien die Zweideutigkeit seiner Bestellung zu amüsieren. Zumindest grinste er sich gerade zu Tode und ließ dabei seine Augenbrauen anzüglich hüpfen. Was für ein Scherzkeks.
Ich drehte mich zur Tanzfläche und versuchte, das Geplapper des Typen mehr oder weniger auszublenden. Ab und an schüttelte ich den Kopf oder brummte zustimmend. Mehr hatte er von mir nicht zu erwarten. Ich beobachtete viel lieber Marie beim Tanzen. Sie war quirlig, süß und konnte sich gut bewegen. Man konnte ihr die Freude und den Spaß, die ihr das Feiern und die Musik bereiteten, wirklich im Gesicht ablesen. Sie war die pure Lebenslust, die sie aus jeder Pore ausströmte. Ich musste grinsen. Schade war es zwar schon, dass ich nicht mit ihr tanzen konnte, aber der Anblick von Marie auf der Tanzfläche entschädigte mich vollends.
»Boar, schau mal! Lesben!«
Einen unqualifizierteren Einwurf hatte ich selten gehört. Der Typ war nervig und saudumm. Ich rollte genervt mit den Augen. Mein Blick wanderte trotzdem nach rechts. Scheiß Reflex. Selbst wenn man nicht wollte, man musste einfach schauen.
Und da stand sie.
Yvonne.
Zumba-Yvonne.
Sie unterhielt sich mit einem Mädchen, das aber eindeutig nicht das gleiche wie beim letzten Mal war. Da war ich mir ziemlich sicher. Die hier hatte braune Haare, die ihr fast bis zum Hintern gingen. Den wiederum hatte Yvonne mit beiden Händen fest in Griff. Yvonne zog sie nah an sich. Ihre Körper schmiegten sich aneinander. Ihre Gesichter kamen sich immer näher, dabei schauten sie sich tief in die Augen. Dann trafen sich ihre Lippen und sie begannen, sich lang und innig zu küssen. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Es war faszinierend. Hypnotisierend. Selten hatte ich so etwas Leidenschaftliches gesehen. Solche Küsse kannte ich höchstens aus Filmen. Ich dachte an meine kurzen, gefühllosen Knutschereien in irgendwelchen verrauchten Eckkneipen.
Kein Vergleich.
Nein.
So war ich noch nie geküsst worden. Wobei das wohl auch an mir lag. Die streichelnde Bewegung von Yvonnes rechter Hand, die sich auf die Wange ihrer Partnerin legte, und ihre linke Hand, die immer noch den Hintern besitzergreifend gepackt hielt - so etwas würde ich niemals zulassen. Niemand durfte mich so berühren.
Plötzlich öffnete Yvonne die Augen und schaute mich direkt an. Ich weiß nicht, wie mein Gesichtsausdruck in dem Moment aussah, aber Yvonne hatte einen so überlegenen und wissenden Blick, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Als ob sie genau gewusst hatte, dass ich an der Bar saß und sie die ganze Zeit beobachtete. Als ob sie das alles geplant hatte. Ich erstarrte und der Griff um mein Cocktailglas wurde fester.
Doch Sie schaffte es, mich tatsächlich noch mehr zu überraschen:
Sie zwinkerte mir zu. Eindeutig. Und das, während sie ihre verdammte Zunge noch im Mund der anderen hatte. Wie krank war das bitteschön? Ich wendete den Blick beschämt ab. Mein Herz raste, meine Wangen glühten und ich war komplett überfordert.
What the fuck?
»Boar, krass, die hat mich grad angegraben!«, grölte der Typ neben mir, dessen Existenz ich für kurze Zeit vergessen hatte.
Ich schnaubte abfällig. Angegraben? Dich? Nix da.
Sie wollte mich provozieren! MICH! Das musste ihr Ziel sein. Warum sonst hatte sie mich nach dem Kurs so doof angemacht und mich jetzt hier absichtlich geärgert und eingeschüchtert? Ich musste ihr ein Dorn im Auge sein. Warum auch immer. Vielleicht lag es an mir. Irgendetwas musste ich falsch gemacht haben. Aber was?
Mir schwirrte der Kopf. Ich war vollkommen verwirrt.
Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, und leerte dabei wie in Trance meinen Cocktail. Okay, diese Yvonne war also lesbisch oder zumindest bi. Das war es aber nicht, was mich so schockierte. Immerhin war ich ja nicht von gestern. Zwar etwas weltfremd, aber trotzdem im 21. Jahrhundert angekommen. War es der Blick, den sie mir zugeworfen hatte? Ein Blick, der mich gleichzeitig beschämt wegblicken ließ, und mein Herz zum Rasen brachte.
Wollte sie mich herausfordern? War das ein Test?
Oder hatte ich mir das alles am Ende doch nur eingebildet?
Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr und das machte mich verrückt!
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Hey Leute,
langsam nimmt es hier an Fahrt auf ;-)
Diese Yvonne ey... seltsames Weib!
Ich freue mich über Kommentare!
Eure Katharina
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Like Hell
Teen FictionAbgeschlossen! Hell ... Den Namen hatten sich irgendwann meine Klassenkameraden ausgedacht. Er würde wohl besser zu mir passen als Helena. Helena, hatten wir einmal in der Schule gelernt, bedeutete so viel wie ›die Schöne‹ und ›die Strahlende‹. Ich...