~6~ 𝔼𝕚𝕟𝕞𝕒𝕝 𝕓𝕝𝕠𝕟𝕕 𝕓𝕚𝕥𝕥𝕖

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„Bist du dir sicher, dass du das durchziehen willst?" Maru-chan verlagerte ihr Gewicht auf ihr linkes Bein und schaute mich unsicher an. Ich nickte. Die Idee kam mir vor ein paar Tagen, als ich mich wieder einmal mit meiner Mutter stritt. Sie bezeichnete mich als schlechtes Ebenbild meiner Schwester. Und erst bei ihren Worten wurde mir richtig klar, wie ähnlich ich meiner Schwester sah. Und diese Ähnlichkeit machte sich meine Mutter zu ihrer Waffe, indem sie mich mit Hikaru verglich. Das wollte ich ändern. Ich wollte ihnen nicht mehr ähnlichsehen. Ich wollte jemand eigenes sein. Nicht nur Hikarus Schwester. Zufrieden ließ ich mich auf den Friseurstuhl fallen und wandte mich an die junge Dame, die gerade die Utensilien bereitstellte. „Einmal blond bitte."

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Man erkannte mich kaum wieder. Und ich war überglücklich. Maru-chan griff nach einer meiner Haarsträhnen. „Wow, ich hätte nicht erwartet, dass dir blond so gut steht." Dankbar griff ich nach ihrer Hand und wir liefen gemeinsam durch Tokyo in Richtung der Wiese im Stadtpark. Es war Wochenende. Lev hatte vorhin im Gruppenchat geschrieben, dass er sich mit einigen alten Freunden treffen würde, und dass wir als neue Freunde eingeladen waren. Er wusste, dass ich nicht gerne Zeit Zuhause verbrachte. Und ich war ihm dankbar, dass er mich aus der Höhle des Löwen herausholte. Das fröhliche Stimmengewirr hörte man schon von Weitem, gefolgt von einem herrlichen Geruch nach Barbecue. Maru-chan zog genüsslich den Duft ein. „Wow, das riecht gut." Wir beschleunigten unsere Schritten und erreichten schon bald die Wiese.

„Izumi-chan! Wow, dich erkennt man ja kaum!" Bokuto-san legte mir einen Arm auf die Schulter und grinste. Ich trommelte ihm gegen die Brust. „Hallo erst einmal, Bokuto-san." Die anderen hatten unsere Ankunft ebenfalls bemerkt. Ich ließ meinen Blick durch die Menge streifen. In der hintersten Ecke entdeckte ich das Gesicht, nach welchem ich unbewusst Ausschau gehalten hatte. Nachdem Lev und Yuki mir eröffnet hatten, dass sie Kenma kannten, wartete ich insgeheim bei jedem Treffen darauf, dass er auftauchte. Und heute war er da, seine halblangen Haare hatte er lose zu einem Zopf zusammengebunden, er trug eine lässige Faltenhose in Beige und ein schwarzes, enganliegendes Shirt, dass seinen doch ziemlich gut gebauten Körper in Szene setzte. Sein Blick war wie immer auf sein Smartphone gerichtet. Ich konzentrierte mich schnell wieder auf die anderen. Die waren hellauf begeistert von meiner neuen Haarfarbe.

„Izumi-chan, das ist Atsumu-san. Er spielt  im selben Team wie Bokuto-san." Lev stellte mich den jungen Mann vor. Ich hatte ihn schon mal im Fernsehen gesehen. Der Blondschopf gab mir die Hand. „Freut mich." Ich nickte und lächelte unsicher. Manchmal fiel es mir noch schwer, alles mitzubekommen, was sie sagten. So wie jetzt, als Atsumu-san mir eine Frage stellte, ich aber nur „...Fleischbrühe...Bokuto...isst...Hinata..." verstand. Verwirrt schaute ich ihn an. „Bokuto isst Hinata?" Er prustete los. Und ich fühlte mich sofort schlecht, ließ es mir aber nicht anmerken. Stattdessen lachte ich mit. Blöde Sprachbarriere.

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Ich hatte es mir ein wenig Abseits der Menge gemütlich gemacht. Es war mir immer noch unangenehm, dass ich Atsumu-san vorhin nicht richtig verstanden habe. Mit einem kleinen Lächeln beobachtete ich meine neuen Freunde und vermisste gleichzeitig meine alten. Ich griff nach meinem Handy. Eigentlich sollte ich in der Lage sein, Rose zu erreichen. Es piepte zweimal, dann sah ich ihr Gesicht auf dem Bildschirm. Ihre Augen weiteten sich. „Izy, was hast du getan?!" Ein freches Grinsen trat auf ihr Gesicht. „Wow, das steht dir echt. Deine Mutter wird vor Wut im Dreieck springen, ich sag es dir!" Ein wehmütiges Lächeln umspielte meine Mundwinkel. „Ich vermisse dich." Schritte nährten sich mir. „Wen vermisst du?" Oh Shit. Das war eindeutig Kenma.

Ich schreckte auf. „Kozume-san." Rose quiekte auf der anderen Seite der Leitung auf. „Omg, der Kozume-san?! Meinst du Kenma?" Ich lief hochrot an. Himmel, was würde er jetzt bloß denken? Neugierig versuchte Kenma, einen Blick auf mein Smartphone zu erhaschen. „Das ist eine Freundin. Sie ist ein großer Fan von dir." Kenmas Blick blieb unleserlich. Ich drehte meinen Bildschirm leicht. „Rose, ich muss auflegen. Wir hören uns später." Rose schmollte. „Dann schick mir wenigstens ein Selfie von Kenma und dir. Bitteeee." Ich stöhnte leise. „Mal schauen."

Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, drehte ich mich zu Kenma. Er musterte mich. „Steht dir." Eine Sekunde lang war ich verwirrt, dann kapierte ich, dass er meine neue Haarfarbe meinte. Ein rosa Hauch trat auf meine Wangen. Ich fluchte innerlich. Warum hatte er so viel Einfluss auf meine Selbstbeherrschung. Schnell nuschle ich ein leises Danke. Kenma ließ sich mit seinem Essen neben mir nieder. „Ich mag keine Menschenansammlungen. Kann ich bei dir essen?" Wieder nur ein Nicken meinerseits. Abgelenkt knabberte ich an meinem Grillspieß. „Warum bist du in Japan, wenn du gar nicht hier sein willst? Du bist doch nicht freiwillig hier, habe ich recht?" Erschrocken schaute ich auf. Hatte er mich so schnell schon durchschaut? Was dachte dieser Typ eigentlich? Ich fühlte mich so, als ob er mich las wie ein offenes Buch. Sein Blick war stechend und ich wurde unter seiner Miene kleiner. Wer bist du, Kozume Kenma, und warum gibst du vor, mein Leben zu kennen?



~𝒟𝒶𝓇ℯ 𝓉ℴ 𝒟𝓇ℯ𝒶𝓂~ Kenma x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt