12. 𝕋𝕣ä𝕦𝕞𝕖

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Mein Herz raste. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und liefen mir in die Augen. Ich biss mir auf die Lippen. "Izumi!" Kairi spielte mir den Ball direkt in die Hände. Ich nahm ihn an. Innerhalb von Millisekunden ließ ich meinen Blick über meine Gegner wandern. Eine Sekunde verging, dann schlug Sumi-san den Ball übers Netz. Unser Coach jubelte. Der erlösende Piepton ertönte. Erschöpft schaute ich auf die Punktetafel. Es stand 25:19 für uns. Wir hatten gewonnen. Kairi klopfte mir auf die Schulter. "Nicht schlecht, Izumi." Ich lächelte. Auch mein Coach war begeistert über die Leistung, die wir vollbracht hatten. "Das war ein schöner Pass, Izumi. Du kannst deine Gegner gut lesen. Gut gemacht." Sie fing an, das gesamte Team in höchsten Tönen zu loben. Doch statt zuzuhören, ließ ich meinen Blick über die Tribüne schweifen. Mein Herz sank in meine Knie. Er war nicht gekommen.

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Betrübt ließ ich mich auf die Bank fallen, während ich mein Gesicht trocknete. Maru-chan ließ sich neben mir fallen. Gierig trank sie ihre Flasche leer. "Wo warst du die Woche über eigentlich? Lev hat schon nach dir gefragt. Du antwortest anscheinend nicht mehr auf seine Nachrichten." Schuldbewusst kniff ich die Augen zusammen. Ich hatte meine Freunde ziemlich vernachlässigt. Nach meinem Date mit Kenma hatte ich mich noch mehrere Male mit ihm getroffen. Außerdem war ich tief in meine Familiengeschichte eingetaucht. Ich wollte unbedingt verhindern, dass meine Mutter Zugriff auf das Erbe meines Vaters bekam. Bis jetzt war meine Suche allerdings nicht sehr erfolgreich gewesen. Niedergeschlagen ließ ich den Kopf hängen. "Tut mir leid. Ich habe momentan so viel um die Ohren." Maru-chan stellte ihre Flasche auf den Boden. "Ist wirklich alles okay bei dir?" Ich zuckte mit den Schultern. "Mehr oder weniger." Aufmunternd rieb sie mir über den Arm. "Wenn du reden möchtest, bin ich hier." Dankbar griff ich nach ihrer Hand. "Danke Maru-chan."

Wir verschwanden in der Kabine. Die meisten meiner Teamkameradinnen waren bereits fertig mit duschen. Ich schloss meinen Spind auf, um den Korb mit Pflegeartikeln herauszuholen. Maru-chan zog sich bereits um. "Ich habe heute einen Termin, deswegen muss ich jetzt nach Hause. Schönes Wochenende!" Ich winkte, ehe ich in den Duschräumen verschwand. Kairi kam mir entgegen. "Du hast Glück, der Rest ist schon fertig." Bingo. Ich hatte die Duschräume also für mich alleine. Erleichterung machte sich in mir breit. "Bis Montag." Ich grinste sie an. Kairi hob nur die Hand, dann verschwand sie. Ich stellte den Korb neben einen der Hocker, dann hängte ich das Handtuch an einen Haken. Hier drinne war es wohlig warm. Die Luft war mit heißem Wasserdampf durchtränkt, der die Sicht einschränkte. Erschöpft ließ ich mich auf einem der Hocker fallen und drehte das Wasser auf. Kochend heiß prasselte es auf meinen Körper nieder und hinterließ rote Stellen.

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Meine Gedanken drifteten ab. Kenma war wirklich nicht gekommen. Er hatte sein Versprechen nicht gehalten. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich hatte mich so darauf gefreut, ihm zu zeigen, was ich konnte. Gleichzeitig überkam mich das Gefühl von Eifersucht. Das heutige Spiel war eines der wichtigsten in dieser Saison gewesen. Jede meiner Teamkameradinnen hatte mindestens eine Person gehabt, die sie angefeuert hatte. Ich hatte niemanden. Mir wurde schwindelig. Ich vermisste die Zeit, in jener mein Vater kein einziges Spiel verpasst hatte. Jetzt war er nicht mehr da. Ich hatte niemanden. Enttäuscht schloss ich die Augen. Was wäre wohl passiert, wäre mein Vater nie gestorben...

"Izumi!" Die Stimme drang kaum zu mir vor. Träumte ich? Noch immer wurde ich von dieser wohligen Wärme eingehüllt. Ich wollte meine Augen nicht öffnen. Noch nicht. Ich wollte diese Wärme noch nicht loslassen. Jemand rüttelte an meiner Schulter, doch ich konnte mich nicht rühren. Mein Körper fühlte sich schlapp an. "...119..." Jemand hob mich hoch. Kurz darauf wurde mir etwas übergezogen. So langsam drangen die Ereignisse bis in mein Gehirn vor. Warum konnte ich mich nicht bewegen? Panik brach in mir aus. Hektisch versuchte ich, meine Augen zu öffnen, doch sie blieben fest verschlossen. Mein Körper begann, unkontrolliert zu zucken. Heilige Scheiße, was passierte mit mir? Ein vertrauter Geruch trat mir in die Nase. Vanille. Ruhe durchflutete meinen Körper. Jemand strich mir über die Stirn. "Sie glüht..."  Was war bloß passiert?

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Ich erwachte in einem hellen, geräumigen Raum. Mein Körper fühlte sich taub an und mein Kopf pochte. Blinzelnd schaute ich mich um. An meinem Arm erkannte ich eine Kanüle, an welcher ein Schlauch befestigt war, der zu einem Tropf führte. Verwirrt versuchte ich, mich daran zu erinnern, was passiert war, doch je mehr ich mich anstrengte, desto stärker wurde das Pochen in meinem Kopf. Stöhnend senkte ich die Lider. Das hatte mir gerade noch gefehlt. "Du bist wach." Der Vanillegeruch stieg erneut in meine Nase. Ich musste den Kopf nicht einmal in seine Richtung drehen, um zu wissen, wer er war. Kenma. Seine Hand berührte meine Stirn. "Das Fieber ist kaum heruntergegangen. Hast du starke Schmerzen?" Mein Mund war staubtrocken. "W-was ist... p-passiert?" Kenma griff nach dem Glas auf dem Nachttisch. Gierig fischte ich mit meinem Mund nach dem pinken Strohhalm. Das kühle Wasser erfrischte beinahe meine Seele. "Du bist beim Duschen zusammengebrochen. Kairi hat dich gefunden, als sie nach dir geschaut hat, weil du so lange gebraucht hast und hat der Trainerin Bescheid gesagt. Ich habe vor der Kabine auf dich gewartet und habe es dann mitbekommen." Er war also doch gekommen. Er hatte also doch zugeschaut!

Besorgt stellte er das Glas wieder auf den Nachttisch. "Isst du zuhause überhaupt etwas? Der Arzt war total schockiert, als du hier mit dem Krankenwagen eingeliefert worden bist. Er meinte, du seist für deine Größe unterernährt." Beschämt schaute ich weg. Das war Eigenverschulden. Ich wehrte mich buchstäblich dagegen, mit meiner Familie zu essen. Stattdessen ernährte ich mich von Ramen und Onigiri. Nicht unbedingt die gesündeste Ernährung der Welt. Kenma seufzte. "Ich mache mir Sorgen, Kätzchen. So kann das doch nicht weiter gehen. Familie hin oder her." Er hatte ja recht. Ich ließ den Kopf hängen. Kenma setzte sich auf den Rand des Krankenhausbettes. "Wenn du schon nicht mit deiner Familie essen möchtest, dann komm wenigstes zu mir. Ich esse eh immer alleine, über ein bisschen Gesellschaft freue ich mich." Er lächelte mir aufmunternd zu. Mein Herz begann zu flattern. Womit hatte ich einen guten Freund wie ihn bloß verdient?

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Es vergingen einige Stunden. Bis auf ein paar meiner Teamkameradinnen kam niemand zu Besuch, nicht einmal meine Mutter. Hikaru rief mich zwar an, jedoch nahm ich den Anruf nicht an. Ich fühlte mich nicht in der Lage, mit ihr zu sprechen. Kenma verbrachte den Nachmittag bei mir. Gegen Abend konnte man mich entlassen. Mein Körper bewegte sich noch immer schwerfällig und auch der pochende Schmerz in meiner Schläfe wollte einfach nicht weggehen. Aber es gab noch etwas, was mich beschäftigte. Ich wollte nicht nach Hause. Auf keinen Fall. Nicht in diesem Zustand. Kenma wusste das.

Nach zwanzig Minuten standen wir auf der Auffahrt zum Haus meiner Mutter. Ein schwarzer SUV parkte vor der Garage. Sie hatte also wieder Besuch von diesem mysteriösen Mann, mit welchem ich vor kurzem bereits zusammengestoßen war. Ein Grund mehr, nicht hier zu bleiben. Flehend drehte ich mich in Kenmas Richtung. Ich wollte nicht hier sein. Seufzend griff er nach meiner Hand. "Du solltest dich wirklich ausruhen, Kätzchen." Wer sagte, dass ich mich hier ausruhen könnte. "Bitte Kenma...Ich möchte wirklich nicht hier sein. Zumindestens nicht fürs Wochenende." Er holte tief Luft. "Na gut. Aber nur bis Morgen. Nicht länger." Ich nickte leicht. "Abgemacht." Ich fummelte den Haustürschlüssel aus meiner Tasche. "Ich hole schnell ein paar Sachen."

~𝒟𝒶𝓇ℯ 𝓉ℴ 𝒟𝓇ℯ𝒶𝓂~ Kenma x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt