~1~ 𝔽𝕠𝕝𝕘𝕖 𝕕𝕖𝕚𝕟𝕖𝕞 ℍ𝕖𝕣𝕫𝕖𝕟 𝕦𝕟𝕕 𝕃𝕖𝕓𝕖 𝕕𝕖𝕚𝕟𝕖𝕟 𝕋𝕣𝕒𝕦𝕞

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Ich bin so stolz auf dich, Izumi. Das Finale, wer hätte das geglaubt?! Ich bin in zirka 10 Minuten am Stadion, um dir zuzuschauen. Viel Erfolg Kleine.

Ich las mir die Nachricht zum gefühlt hundertsten Mal durch. Seine letzten Worte, die an mich gerichtet waren. Zehn Minuten vor seinem Tod. Noch bevor er das Stadion erreichen konnte, starb er. Einfach so. Und ließ mich zurück in der Höhle des Löwen. Ich war nun schon einen Monat in Tokyo, doch es hatte sich nichts verändert. Rein gar nichts. Seufzend schmiss ich das Smartphone auf mein Bett und ließ meinen Blick durch das leere Zimmer schweifen. Ich vermisste New York. Dort war mein Zimmer viel lebendiger, viel bunter. Nicht so trist wie dieses hier. „Izumi, kommst du bitte. Du kommst sonst zu spät zur Schule." Die Frau, die sich meine Mutter nannte, rief nach mir. Doch ich ignorierte sie. Das Schuljahr hatte vor knapp fünf Wochen begonnen, eine Woche, bevor ich herkam. Trotz der Umstände hatte mich meine Familie dazu gezwungen, bereits eine Woche nach meiner Ankunft am Unterricht teilzunehmen. Ehrlich gesagt wollte ich nicht mehr zur Schule gehen. Dort wurde ich ständig blöd angemacht oder angestarrt. Für sie war ich nur das Mädchen aus den USA. Wie sehr ich es hasste.

Ich griff nach meiner Sporttasche und meinem Rucksack. Hikaru stand an der Haustür und schlüpfte in ihre Schuhe. „Ich fahre dich." Obwohl wir uns noch nie gesehen hatten, waren wir uns von Anfang an vertraut. Hikaru war knapp zwei Jahre älter als ich und ging bereits zur Universität. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, viel Zeit mit mir zu verbringen. Ich mochte sie. Sie hatte viel von Papa geerbt. Zum Beispiel die kleinen Lachfältchen oder die ruhige Art, die ihn immer umgeben hat. Sie waren sich so ähnlich, und das beruhigte mich. „Izumi, beeile dich." Unsere Mutter schob mich zur Tür. Anders als bei Hikaru konnte ich mit ihr nicht so viel anfangen.

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„Ito-san, wie lautet die Antwort auf die letzte Frage?" Meine Lehrerin schaute streng über ihre Brille. Kein gutes Zeichen. Was für ein blöder Tag. „Der Hauptcharakter ist verzweifelt, deswegen schlägt er diesen Weg ein." An ihrem Blick konnte ich erkennen, dass ihr meine Antwort nicht passte. Sie gestikulierte wild mit ihren Armen herum, doch ich hörte nicht mehr zu. Mein Blick richtete sich auf die moderne Sporthalle, die ich vom Fenster aus beobachten konnte. Dort trainierte gerade das Jungen-Volleyballteam für das bevorstehende Frühlingstunier. Noch mussten sie sich qualifizieren, doch die Chancen standen gut. Ich hatte ihre Spiele beobachtet. Sie waren perfekt, was die Abwehr betraf. Auch ihre Angriffe konnten sich sehen lassen. Ganz anders war es allerdings im Mädchenteam. Man konnte von Glück reden, dass sie bis jetzt nur schwächere Gegner gehabt hatten. Ich trainierte zwar erst eine Woche mit ihnen, doch bereits jetzt konnte ich feststellen, dass ihnen etwas Wichtiges fehlte: Teamgeist. Jede von ihnen zog ihr eigenes Ding durch. Und ich als Außenseiterin wurde eh kaum beachtet.

Es klingelte. Die Stunde war vorbei. Leise griff ich nach meinem Bento. Ich würde mich wie immer in die alte Turnhalle zurückziehen. Dort hatte ich meine Ruhe. Unbemerkt flitzte ich durch die Gänge der Nekoma High School. Erst auf dem Schulhof wagte ich es, tief Luft zu holen. Ich kassierte dumme Blicke und etwas Getuschel, eine Normalität, die ich bereits kannte. Menschen waren überall gleich. In den USA hatte man über mich geredet, weil ich Japanerin war. In Japan tuschelte man über mich, weil ich aus den USA kam. Eine Identitätskrise war bereits vorprogrammiert. Doch momentan konnte ich die gerade noch so verdrängen beziehungsweise hinunterschlucken. Lange hielt ich es dennoch nicht mehr aus. Vorsichtig drückte ich die schwere Tür der alten Sporthalle auf. Hier verschlug es selten jemanden hin. Ich stellte meine Sachen ab und klappte die kleine Lunchbox auf: Onigiri und Okonomiyaki. Ich aß ein paar Bissen, dann stellte ich sie zur Seite und griff nach meinen Turnschuhen. Kurz darauf suchte ich nach einem Volleyball.

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Bang. Ich schlug den Ball gegen die Wand. Bang. Ich wiederholte den Schlag. Bang. Der Ball landete direkt in meinen Händen und ich schlug wieder zu. So lange, bis mein Frust einigermaßen erträglich geworden war. Dann fing ich den Ball und drehte ihn in meinen Händen. Eine Tür quietschte und ich zuckte zusammen. Ertappt schaute ich zu dem ungebetenen Gast. „Shibayama, hier ist jemand." Ein großer Junge  mit silberfarbenen Haaren schaute mich neugierig an. Ich erkannte ihn und ordnete ihn als den Mittelblocker des Jungenvolleyballteam ein. Lev Haiba. „Wer bist du denn?" Ein weiterer Drittklässler betrat die kleine alte Turnhalle. Das musste ihr Libero sein. „Ito Izumi", murmelte ich. Lev dachte nach. „Du bist doch die neuste Spielerin im Mädchenteam, für ihre Nummer fünf." Ich nickte. Er hüpfte aufgeregt auf und ab. „Spiel mir ein paar Bälle zu! Bitte!" Seine Motivation hob meine Laune. „Wenn du unbedingt willst."

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Shibayama und Lev waren cool. Die beiden bestanden darauf, die Pause mit mir zu verbringen. Immer wieder spielte ich ihnen Bälle zu. Währenddessen erzählten sie mir von der Schule und dem Volleyballclub. „Bis letztes Jahr hatten wir viele gute Stammspieler. Seither gibt es viel zu tun. Unsere Verteidigung ist nicht mehr so gut wie früher." Shibayama lächelte mir zu. „Deine Pässe sind sehr genau. Damit bist du sicherlich eine Bereicherung für den Club." Wohl eher andersherum. Ich durfte kaum spielen. Wann immer der Trainer nicht hinschaute, musste ich Aufgaben übernehmen, die sonst ein Manager übernahm. Es war zum Kotzen. Die Pausenglocke läutete erneut und beendete die Mittagspause. „Na dann, wir sehen uns, Izumi-chan." Lev winkte und die beiden Drittklässler verließen die Halle. Ich war wieder alleine.

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„Jetzt hol endlich den Ball, Izumi." Kairi's Stimme hallte durch die große Sporthalle und ich verzog genervt das Gesicht. Nicht schon wieder. „Jetzt mach schon", zischte Ayumi. Ich legte meinen Ball zur Seite und lief los. Für die war ich echt nicht viel mehr als eine Dienerin. Hoffentlich schaffte ich es in die Stammaufstellung, dann hätten sie nicht mehr so viel zu lachen. Aber dafür müsste ich besser sein als Mai-san, die Vize-Kapitänin des Teams. Und die spielte verdammt gut. Ich hob die restlichen Bälle auf. „Versammelt euch." Kapitänin Shiori rief uns zusammen. Unsere Trainerin musterte jeden einzelnen von uns. „Wir beginnen heute mit der Evaluation für die Stammaufstellung." Sie lächelte. „Gebt euer Bestes."


~𝒟𝒶𝓇ℯ 𝓉ℴ 𝒟𝓇ℯ𝒶𝓂~ Kenma x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt