35. ℕä𝕔𝕙𝕥𝕝𝕚𝕔𝕙𝕖 𝔾𝕖𝕤𝕥ä𝕟𝕕𝕟𝕚𝕤𝕤𝕖

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"Hast du deine Koffer schon abgegeben?" Osamu studierte aufmerksam die riesige Anzeigetafel. Meine Tante schaute gestresst in Richtung der Sicherheitskontrolle, vor der sich bereits eine lange Schlange gebildet hatte. Ich musste trotz meiner Anspannung schmunzeln. Bis zu unserem Flug waren es noch knapp zwei Stunden, wir hatten also noch reichlich Zeit. Um mich abzulenken öffnete ich mein iPad, um ein paar Sachen für die Schule zu erledigen. Ich war zwar beurlaubt, das bedeutete allerdings nicht, dass ich keine Aufgaben machen musste. Leider. "Und wo sind überhaupt Kuroo-san und Kenma?" Hilfe, wenn meine Tante so weitermachte, würde ich noch den Verstand verlieren. Ich setzte meine Kopfhörer auf, um das nervöse Gerede nicht mehr mit anhören zu müssen. Ich war schon nervös genug.

Zwei Arme schlangen sich um meine Taille und ich schaute von meinen Matheaufgaben auf. Kenma drückte mir einen unscheinbaren Kuss auf die Wange. Schnell nahm ich meine Kopfhörer ab. "Hi Kätzchen." Meine Mundwinkel zogen sich nach oben. "Hi! Seid ihr gut hergekommen? Ist mit deiner Uni alles geregelt?" Er nickte und legte sein Kinn auf meine Schulter. Die anderen bekamen es nicht mit, denn sie standen mit dem Rücken zu uns. "Alles gut. Ich kann die Kurse online mitverfolgen. Das dazugehörige Material habe ich mir bei meinen Professoren abgeholt. Mach dir keine Gedanken, ich werde wegen zwei Fehltagen nicht durchfallen." Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen. "Kätzchen, hör auf damit." Verwirrt schaute ich zu ihm. "Womit?" Er lachte leise. "Mit diesem Gesichtsausdruck." Ich legte den Kopf schief. "Was ist denn mit meinem Gesichtsausdruck?" Seine linke Hand strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Man sieht dir an, dass du trotzdem ein schlechtes Gewissen hast." Ertappt.

Langsam löste ich mich aus seiner Umarmung. "Ich kann nicht anders." Kenma lächelte mir zu. "Dann versuche an etwas Anderes zu denken." Er griff nach meiner Hand und wir schlossen uns den anderen an. "Kozume-san, schön dich wieder zu sehen." Meine Tante strahlte Kenma an. Er deutete eine kleine Verbeugung an. "Frau Miya, wie geht es Ihnen?" Während die beiden miteinander sprachen musterte ich Kuroo-san. Ich hatte mich immer noch nicht getraut, mit ihm zu sprechen. "Izumi-chan, hier ist dein Bordticket, ya!" Atsumu reichte mir das rechteckiges Ticket mit meiner Sitzplatznummer. Ich bedankte mich und erhaschte dann einen Blick auf Kenmas Ticket. Perfekt, er saß direkt neben mir. "Kommt endlich! Die Schlange vor der Sicherheitskontrolle wird immer länger." Da war sie wieder, meine gestresste Tante. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht. Kenma grinste, dann zog er mich mit sich in Richtung Ende der Schlange.

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Das Flugzeug glitt sanft durch den Himmel. Die Sonne stand bereits tief hinter den weißen Wolken und verfärbte diese in warme Rot- und Orangetöne. Während ich aus dem kleinen Fenster schaute hörte ich meinen Lieblingssong. Kaum merklich wippte ich passend zur Melodie mein Bein auf und ab. Auf meinem iPad warteten die Matheaufgaben darauf, von mir gelöst zu werden. Kenma neben mir arbeitete ebenfalls an seinen Aufgaben für die Uni. Der Flug würde lange dauern. In meiner Magengegend kribbelte es wie verrückt. "Konzentriere dich, Kätzchen." Kenma lenkte meine Aufmerksamkeit auf ihn. Ich verzog das Gesicht, folgte aber seiner Aufforderung. Missmutig machte ich mich an meine Aufgaben.

Nach zwei Stunden hatte ich alle Aufgaben für den heutigen Tag erledigt. Erschöpft lehnte ich mich zurück. Bis wir ankamen, dauerte es locker noch um die neun Stunden. Ich schielte zu Kenma, doch er war noch tief in seinen Aufgaben versunken. Also schloss ich die Augen. Ich hatte in der letzten Nacht nicht wirklich gut geschlafen und war dementsprechend Hundemüde. Doch Einschlafen war nun mal nicht so einfach, wenn man aufgeregt war. Zuerst fand ich keine gemütliche Position. Ich drehte mich auf meinem Sitz mindestens zehn Minuten hin und her, bis ich eine einigermaßen gemütliche Position fand. Danach konnte ich einfach nicht aufhören, über den bevorstehenden Prozess nachzudenken. Es war wie verhext. Egal, wie sehr ich versuchte, mich mit anderen Gedanken abzulenken, nach ein paar Minuten war ich wieder gedanklich bei den bevorstehenden Tagen.

Letztendlich beschloss ich, mich mithilfe eines Filmes abzulenken, in der Hoffnung, er würde mich schläfrig machen. Leider passierte genau das Gegenteil. Nachdem er zu Ende war, war ich wieder hellwach und dazu auch noch etwas hungrig. Leise fluchte ich. Das lief ja wirklich super. Als ob Kenma meine Gedanken lesen konnte streckte er seine Hand aus, um mir einen Schoko-Riegel zu geben. Er lächelte mich warm an. "Danke." Ohne zu zögern packte ich den Riegel aus und ließ dann die Schokolade auf meiner Zunge zergehen. "Bist du fertig?" Fragend schaute ich ihn an. "Ja, schon eine Weile. Ich wollte dich nicht bei deinem Film stören." Ich griff nach seiner Hand. Irgendwie brauchte ich gerade seine Nähe. "Kannst du nicht schlafen?" Er musste vorhin wohl bemerkt haben, dass ich mich lange Zeit unruhig hin- und hergedreht hatte. Stumm nickte ich. "Können wir einfach eine Weile miteinander reden?" Seine Gesichtszüge wurden weich. "Klar." Das Flugzeug war mittlerweile dunkel. Die Flugbegleiter hatten das Licht gedimmt, damit die Passagiere schlafen konnten. "Es ist dein erstes Mal in Amerika, oder?" Erschöpft legte ich meinen Kopf auf seine Schulter.

Kenma schüttelte den Kopf. "Ich war dieses Jahr schon mal dort." Erstaunt schaute ich auf. "Damit hast du nicht gerechnet, oder?" Das hatte ich wirklich nicht. "Warum hast du mir noch nie davon erzählt?" Seine Hand strich über mein frisch gefärbtes Haar. Ich hatte mir das Blond noch einmal nachfärben lassen, da man mittlerweile meine Ansätze hatte sehen können. "Du hast nicht danach gefragt." Jetzt war ich neugierig. "Warum warst du in Amerika und wo warst du?" Ich wollte alles wissen. "Mein damaliger Jahrgang ist für die Abschlussfahrt nach New York City geflogen." Ungläubig riss ich die Augen auf. "Du warst in New York?!" Er nickte. "Was habt ihr dort gemacht?" Aufgrund der Dunkelheit konnte ich seinen Gesichtsausdruck leider nicht erkennen. "Verschiedenes. Sightseeing und so. Und wir haben uns ein Volleyballspiel angeschaut..." Er zögerte. "Da habe ich dich das erste Mal gesehen." Mir stand der Mund offen. "Wir haben uns schon mal getroffen und du hast es mir nicht erzählt?!"

Kenma schwieg. "Kenma..." Irgendetwas verheimlichte er mir noch. Vorsichtig stupste ich ihn an. Er seufzte leise. "Wir haben uns danach noch einmal gesehen... Ich bin am selben Abend mit einem Freund und einem Lehrer im Krankenhaus gewesen, weil mein Freund sich den Arm gebrochen hatte. Dort sind wir zusammengestoßen, als du aus dem Zimmer deines Vaters rauskamst." Erinnerungsfetzen schwirrten durch mein Gehirn. "W-warte. Bist du etwa der Junge, der mich einfach umarmt hat und mir ins Ohr geflüstert hat, dass alles okay ist?" Mein Herz schlug schneller. Das konnte doch kein Zufall sein.

Ich spürte Kenmas Lippen auf meiner Stirn. "Es tut mir leid, dass ich es dir nicht früher erzählt habe. Ich wusste nur nicht wie. Der Tod deines Vaters ist noch nicht lange her und ich wollte keine Wunden aufreißen und danach gab es einfach keine passende..." Ich legte meine Lippen auf seine. In den Kuss legte ich all meine Gefühle, die er mit seinem Geständnis in mir ausgelöst hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie dankbar ich ihm war. "Danke... Danke, dass du mich an jenem Abend getröstet hast. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mir das geholfen hat." Meine Stimme war nur ein leises Flüstern, sodass nur er es hören konnte. Er nahm mein Kinn und zog mich erneut in einen Kuss. Als wir uns voneinander lösten, legte er seine Stirn an meine. "Ich habe nur das getan, was niemand für mich getan hat, als meine Mutter verstorben ist. Niemand sollte bei so einer Nachricht alleine da stehen..."

~𝒟𝒶𝓇ℯ 𝓉ℴ 𝒟𝓇ℯ𝒶𝓂~ Kenma x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt