25. ℤ𝕨𝕚𝕤𝕔𝕙𝕖𝕟 𝕋𝕣𝕒𝕦𝕖𝕣 𝕦𝕟𝕕 ℝ𝕖𝕒𝕝𝕚𝕥ä𝕥

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A/N: In diesem Chapter wird es viel um Tod und Trauer gehen. Bitte entscheide selbst, ob du dich dazu in der Lage fühlst, dich mit diesem sensiblen Thema auseinander zu setzen :)

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Am nächsten Morgen wachte ich mit einem mulmigen Gefühl auf. Müde rieb ich mir die Augen. Mein Herz klopfte wie verrückt. Schnell sprang ich aus dem Bett und griff nach meinen Klamotten. Dann schlüpfte ich ins Badezimmer und machte mich fertig.

Auf dem Weg nach unten traf ich auf Osamu. Er gähnte ausgiebig. "Guten Morgen Izy." Ich lächelte ihn an. "Morgen Samu. Gut geschlafen?" Er streckte sich und nickte dann. Zusammen setzten wir unseren Weg in die Küche fort. Tante Kazuko hatte bereits das Frühstück vorbereitet. "Guten Morgen ihr zwei! Fangt doch bitte schon mit dem Frühstück an, wir wollen noch beim Schrein vorbeischauen." Auch mein Onkel saß bereits am Esstisch. Er winkte uns zu und vertiefte sich dann wieder in seine Zeitung. Osamu und ich griffen nach einer kleinen Schale mit Reis und ließen uns dann nebeneinander auf der gemütlichen Bank nieder. Meine Tante lief in den Flur. "Miya Atsumu, beweg deinen Hintern zum Frühstück, aber schnell! Wir wollen bald zum Schrein aufbrechen!"

Atsumu gähnte laut, als er die Küche betrat. Ohne viele Worte setzte er sich zu uns und stopfte sich etwas Reis in den Mund. Er fiel definitiv unter die Kategorie der Morgenmuffel. "Warst du schon mal in einem Schrein, Izumi?" Tante Kazuko legte mir mit ihren Stäbchen ein Stück Seealge in meine Schale. "Ja, mein Vater hat viel Wert auf seine Religion und Traditionen gelegt. Ich habe ihn oft begleitet." Sie schaute mich mit einem mütterlichen Blick an. "Dann bist du mit den Traditionen vertraut, das ist gut."

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Wir gingen zu Fuß. Der Schrein lag etwas außerhalb der Ortschaft in einem kleinen Waldstück. Am Tor verbeugten wir uns, ehe wir zu dem kleinen Brunnen liefen, der am Ende des breiten Weges hinter dem Tor lag. Ich hatte meinem Vater unzählige Male zugeschaut, was sich jetzt auszahlte. Osamu reichte mir seine Kelle. Ich nahm sie an und ließ etwas Wasser hinein laufen, ehe ich mir es über die Hände goss und mir schlussendlich ein bisschen davon zum Mund führte. Mit dem restlichen Wasser reinigte ich die Kelle, dann reichte ich sie weiter an meine Tante.

Gemeinsam schritten wir bis zum Altar vor, wo wir etwas Geld in die kleine Truhe warfen und anschließend die Hände falteten und uns zweimal verbeugten. Dann klatschten wir zweimal und sprachen innerlich unser Gebet. Ich schloss meine Augen und dachte an meinen Vater, hoffte, dass er nach seinem Tod Frieden gefunden hatte. Wir verbeugten uns noch einmal und damit war unser Besuch im Schrein abgeschlossen. "Möchtest du dich noch etwas umschauen, Izumi?" Ich schüttelte den Kopf. Heute waren andere Dinge wichtiger. Vielleicht würde ich vor meiner Abreise noch einmal vorbeischauen und den Schrein genauer unter meine Lupe nehmen.

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Bis zum Friedhof war ist vom Schrein nicht mehr weit. Auf dem Weg kamen wir an einer Wiese vorbei, auf der noch einige herbstliche Blumen blühten. "Kann ich welche für Dad pflücken?" Fragend schaute ich meine Tante an. Sie nickte. "Das ist eine schöne Idee." Schnell pflückte ich einige bunte Blumen, dann gingen wir weiter. Atsumu und Osamu waren bereits ein Stück vorgegangen. Je näher wir der Grabstätte kamen, desto nervöser wurde ich. Angst machte sich in mir breit. Onkel Yuma hielt das kleine Tor für uns auf. Uns empfingen eine Reihe von Grabsteinen und Gewächsen. Anders als auf westlichen Friedhöfen war die Stimmung allerdings weniger bedrückend, sondern ruhig und friedlich. Von hier hatte man sogar eine recht schöne Aussicht.

"Kyos Grab ist dort drüben." Tante Kazuko deutete auf einen noch recht neuen Grabstein. "Lass dir Zeit und zögere nicht, nach uns zu rufen, wenn du etwas benötigst." Ich nickte, dann entfernte ich mich von ihnen. Je näher ich seinem Grab kam, desto größer wurde der Drang, laut aufzuschluchzen. Erinnerungen an seinen Todestag kamen zurück. Die Unwissenheit, die unüberwindbare Trauer, der Unglaube, die Wut. Mit zitternden Händen entfernte ich die trockenen Blumen aus der kleinen Vase und stellte die neuen hinein, ehe ich zu der Gießkanne griff, die in der Nähe stand. Sorfältig goss ich etwas Wasser in die Vase. "Hallo Papa."

Ich fiel vor seinem Grab auf die Knie. Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel. "Ich bin wieder da." Mit einem Tuch strich ich über die Schriftzeichen seines Namens, um sie von Schmutz zu befreien. Meine Emotionen wurden wild durcheinander geworfen. Mittlerweile strömten die Tränen nur so aus mir heraus. "Warum musstest du mich verlassen, Dad? Warum hast du mich in einer so gemeinen Welt alleine gelassen?" Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. All meine Fragen und Gedanken, die ich mir in den letzten Monaten gestellt hatte, verließen meinen Mund, ohne dass ich darüber nachdachte. Ein Erinnerungsfetzen raubte mir den Atem.

"Es tut uns leid. Wir konnten nichts mehr für ihn tun." Nein. Nein, das konnte nicht sein. Das war nicht real. "PAPA!" Meine Lungen schmerzten, meine Augen brannten. "PAPA, WO BIST DU?" Wild schlug ich um mich. "Miss Ito, beruhigen Sie sich." Beruhigen? Nein. Ich musste ihn finden. Mich vom Gegenteil überzeugen. Ihn lächeln sehen. Mich versichern, dass es ihm gut ging. Ihm von meinem Sieg erzählen. Die Tür vor mir öffnete sich. Ich machte mich los und rannte hinein. "PAPA!" Warum hatte man ihn abgedeckt? So bekam er doch keine Luft! "Miss Ito..." Nein... Nein. Das konnte nicht real sein. Papa war nicht tot. Er konnte nicht tot sein. Das ging nicht... Er hatte mich noch nicht siegen sehen. Er hatte noch nicht meinen Schulabschluss miterlebt... Er hatte mich noch nicht zum Altar geführt... Er hatte noch nicht seine Enkelkinder im Arm gehalten. "NEIN! ER KANN NICHT STERBEN! E-er..." Meine Stimme brach. Es war zu spät. Die einzig wichtige Person in meinem Leben war nicht mehr am leben...

Schmerzerfüllt krümmte ich mich. Mit zitternden Fingern öffnete ich in meine Tasche und griff nach dem Foto, welches ich schon seit Wochen mit mir rumtrug. Schluchzend befestigte ich es an seinem Grabstein. Es zeigte uns beide nach meinem ersten Volleyballspiel in der High School. Er grinste frech, während ich lachend in die Kamera schaute. Mein Körper zitterte vor Erschöpfung. "Izy..." Die Stimmen drangen kaum zu mir vor. Ich bemerkte nur verschwommen, wie Osamu nach meiner Schulter griff. "Ich glaube... reicht für heute." Jemand zog mich auf die Füße und führte mich fort. Alles, was blieb, war der schmerzhafte Stich in meiner Brust und die gähnende Leere in meinem Kopf. Auch wenn es jetzt noch nicht so wirkte, dieser Besuch war so unfassbar nötig gewesen. Er versetzte mich zurück in die Realität und versicherte mir, warum ich noch lebte. Ich lebte, um unsere Träume zu verwirklichen, die wir nicht gemeinsam verwirklichen konnten...

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Wie man in Japan einen Schrein besucht könnt ihr euch hier noch einmal ansehen :) Die Informationen in diesem Chapter habe ich aus diesem Video.

~𝒟𝒶𝓇ℯ 𝓉ℴ 𝒟𝓇ℯ𝒶𝓂~ Kenma x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt