Side Story 1

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A/N: Trigger-Warnung: Es geht wieder einmal um Tod und Trauer. Außerdem spielt die Side Story in einem Krankenhaus. Lese es also nur, wenn du dich dazu in der Lage fühlst!

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Kenmas POV

"Du hättest besser aufpassen müssen", schimpfte mein Klassenlehrer. Mein Freund Yamamoto Taketora ließ den Kopf hängen. "Es tut mir schrecklich leid, Sensei", murmelte er niedergeschlagen und ich kniff die Augen zusammen. Warum war ich nochmal mitgekommen? Sicherlich nicht, um mir diese Standpauke anzuhören. Eigentlich hatte ich auch gar keine Lust gehabt, mit auf Abschlussfahrt zu fahren. Nur leider hatte Kuroo-kun mir einen Strich durch meine Pläne gezogen und mich am Abreisetag zum Flughafen gezerrt. Und jetzt musste ich zusammen mit diesem Schwachkopf im Krankenhaus hocken, weil er sich den Arm verletzt hatte und ich die einzige Person im Jahrgang war, die einigermaßen Englisch sprach. Seufzend zog ich mein Smartphone aus meiner Tasche und klickte auf mein momentanes Lieblingsspiel. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht so lange dauern würde.

Die Türen der Notaufnahme wurden stürmisch aufgestoßen und eine Gruppe von Sanitätern, Ärzten und Krankenpflegern drängten sich in den großen Raum. Der Geruch von verbrannten Fleisch drang in meine Nase. Schnell wandte ich den Blick ab. Yamamoto-kun neben mir schluckte schwer. "Das sieht übel aus", flüsterte er zu mir herüber. Ich zuckte mit den Schultern während ich der Versuchung widerstand, aus dem Raum zu rennen. Ich kannte diesen Geruch. Wer auch immer dort in der Liege lag würde entweder schwere Verbrennungen davontragen oder an den Verletzungen erliegen. Ich hörte, wie sich zwei Ärzte in unserer Nähe unterhielten. "Es handelt sich um einen Mann Mitte Vierzig. Schwerer Autounfall. Ein LKW rammte seinen PKW und schleuderte den Wagen mehrere Meter durch die Luft. Durch den Aufprall entstand ein Feuer. Nur sehr schwacher Puls. Er muss sofort behandelt werden!" Eine Windböhe drang durch die geöffnete Eingangstür und entriss dem Patienten auf der Liege etwas aus der Hand. Das Foto landete direkt vor meinen Füßen. Es war an den Ecken leicht verbrannt.

"Entschuldigung!", rief ich laut und sprang auf. Mit der linken Hand griff ich nach dem Bild. Ein hübsches Mädchen grinste mich fröhlich an, in ihrer Hand hielt sie einen Volleyball. Schnell eilte ich zum Patienten hinüber. "Entschuldigung, der Patient hat das gerade verloren", sagte ich, doch niemand beachtete mich. Also sprang ich über meinen Schatten und trat an die Liege. Vorsichtig legte ich das Bild wieder in seine Hand. Als ich von der Liege wegtrat, öffnete der Patient seine Augen. Er schaute direkt in meine Richtung. Mit seinem Mund formte er schwache Worte. Pass... auf... meine... Kleine... auf... Kaum hatte ich mich umgedreht piepsten die Geräte um ihn herum in schrillen Tönen. "Herzstillstand! Sofort in Behandlungsraum 6! Reanimieren!" Ich schluckte schwer und ließ mich wieder neben Yamamoto-kun fallen. Er starrte mich an. Sofort griff ich wieder zu meinem Smartphone. Ich wollte die Szene so schnell wie möglich vergessen.

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Wir mussten lange warten. Die Notaufnahme war voll und immer wieder kamen neue Notfälle rein. Um zehn Uhr wurde Yamamoto-kun endlich aufgerufen. Nachdem ich dem Arzt geschildert hatte, was sich zugetragen hatte, ging ich auf den Flur, um mir am Automaten etwas zu trinken zu holen. Im Gang der Behandlungsräume war es unglaublich still geworden. Müde lehnte ich mich an die Wand und schloss für einen Moment die Augen. Auf einmal ertönte ein entsetzter Schrei: "NEIN! ER KANN NICHT STERBEN! E-er..." Kurz darauf wurde eine Tür aufgestoßen und ein sportlich gekleidetes Mädchen rannte auf den Flur. Tränen liefen über ihr Gesicht. "Izumi!", rief die Frau, die hinter ihr auf den Flur trat. Doch sie rannte weiter, direkt in meine Richtung. Jetzt erkannte ich sie. Sie war das Mädchen auf dem Foto. Ohne weiter darüber nachzudenken drückte ich mich von der Wand weg und trat auf sie zu. "Lass es raus", sagte ich ruhig, als sie bei mir ankam. Sie wurde langsamer, doch ihr Blick war noch immer auf den Boden gerichtet. "Weine, Schreie... Was auch immer du möchtest. Aber lass es raus", flüsterte ich noch einmal. Sie schluchzte laut auf.

"Alles wird gut", versprach ich leise. Mein Herz brannte. Ich wusste, was sie gerade durchmachte. Ich hatte es schon selbst durchmachen müssen. Und ich hatte niemanden gehabt, der mir gesagt hatte, dass alles gut wird. "E-es ist so unfair...", weinte sie. Ich nickte, dann öffnete ich die Arme. Sie nahm die Einladung an. Ich umarmte sie, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. "Kozume-kun", sagte eine Stimme. Ich drehte mich um. Yamamoto-kun stand einige Meter von mir entfernt. Sein Arm steckte in einem blauen Gipsverband. Es war wohl Zeit, aufzubrechen. Vorsichtig löste ich mich von dem Mädchen. "Du bist nicht alleine. Mit der Zeit wird es erträglicher. Halte durch", ermutigte ich sie, dann drehte ich mich um. "Danke", flüsterte sie leise in meine Richtung. Langsam ging ich auf meinen Freund zu, ohne mich noch einmal umzudrehen. Mein Herz schmerzte so sehr. All die Erinnerungen kamen zurück. Sie tat mir so unglaublich leid. "Alles okay, Kozume-kun?", wollte mein Lehrer wissen. Ich nickte, dann zog ich mein Smartphone aus meiner Hosentasche. Ein paar Games würden mir dabei helfen, die ganze Situation zu verarbeiten.


~𝒟𝒶𝓇ℯ 𝓉ℴ 𝒟𝓇ℯ𝒶𝓂~ Kenma x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt