Kapitel 2 - Jonathan

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Jonathan wusste eigentlich, dass Sheila ihn nicht verlassen würde, sollte er tatsächlich unfruchtbar sein. Trotzdem fühlte er sich schlecht und würde am liebsten einfach nur hier liegen bleiben und in Selbstmitleid zerfließen. Ihr Zögern im Auto war ihm keineswegs entgangen und es machte ihn verrückt. 

Sheila hatte sich direkt nach ihrer Rückkehr ihrer Reise die Spirale entnehmen lassen und seitdem hatten sie nicht mehr verhütet. Trotzdem hatte Sheila beinahe jeden Monat ihre Periode bekommen und wenn nicht hatten sie voller Spannung einen Test gemacht, der jedoch immer negativ war. 

Er vergrub das Gesicht in den weichen Kissen und kniff die Augen zusammen damit er nicht weinte. Er kam sich vor wie ein Versager, denn sie hatten es sich so schön vorgestellt. Nach ihrem Plan wäre Sheila jetzt zumindest schon schwanger, doch anscheinend wollte es einfach nicht klappen. 

Eine ganze Weile lag er einfach nur da, doch ihm war durchaus bewusst, dass er sich zusammenreißen musste. Ihr Leben musste immerhin weitergehen. 

Mühsam erhob er sich und lauschte, ob er Sheila oben hörte, doch es war still. Er beschloss, zu ihr nach oben zu gehen und mit ihr über seine Gefühle zu sprechen. Wenn er das in den etwas mehr als drei Jahren, die er sie nun kannte gelernt hatte, dann war es das: Über seine Gefühle zu sprechen half. Und es verhinderte, dass Missverständnisse entstanden. 

Zu Beginn ihrer Beziehung war es Sheila gewesen, die meist verschlossen war und nicht mit ihm geredet hatte, aber in den letzten Monaten war es andersherum. Mit jedem Monat, in dem sie nicht schwanger wurde, stieg seine Frustration. Er wollte es nicht an ihr auslassen, was ihm allerdings oft schwer fiel. 

Er hörte, wie die Dielen unter seinem Gewicht leise knarzten, als er durch den Flur und anschließend die Treppe nach oben ging. Gerade als er die letzte Stufe der Treppe betrat, kam sie aus dem kleinen Zimmer rechts neben der Treppe, den Wäschekorb mit ordentlich gefalteter Wäsche in den Händen und Kopfhörern in den Ohren. Als sie ihn sah zuckte sie zusammen, doch dann lächelte sie ihn an. Schnell stützte sie den Wäschekorb auf dem Knie ab und zog sich einen Kopfhörer aus dem Ohr. 

„Hey", sagte sie nur, doch er wusste, dass so viel mehr dahinter steckte. Sie wollte wissen, wie es ihm ging und er wusste, dass sie ihn aufmuntern wollte. Kurzentschlossen nahm er ihr den Wäschekorb aus der Hand und trug ihn ins Schlafzimmer, wo er ihn auf dem Bett abstellte. 

Sheila folgte ihm in einigem Abstand, doch als er sich umwandte, stand sie unerwartet nah bei ihm. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und suchte seinen Blick. Zum ersten Mal seit er die Arztpraxis verlassen hatte, sah er ihr in die wunderschönen, dunklen Augen. Sie lächelte zaghaft und er versuchte, es zu erwidern, aber es misslang ihm sichtlich. 

„Alles okay?", fragte er mit kratziger Stimme, woraufhin sie nickte. 

„Ja. Wie geht es dir?", wollte sie wissen und ihre Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen. Er schluckte, doch dann seufzte er und legte die Hände an ihre Hüften. 

„Ich fühle mich wie ein Versager", sprach er den Gedanken aus, der ihm die ganze Zeit durch den Kopf geisterte. Sheila legte den Kopf schief und schloss die Lücke zwischen ihnen. Ihre Umarmung fühlte sich tröstlich an und gierig sog er ihren vertrauten Duft ein. 

„Du weißt, dass du kein Versager bist. Ich liebe dich und für mich bist du der tollste Mensch auf der Welt", sagte sie vollkommen ernst und er konnte nicht verhindern, dass sich ein Grinsen auf seine Lippen schlich. Das Kompliment tat gut, doch es klang doch ein wenig übertrieben. 

„Und sollte ich...", setzte er an, doch sie brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen. 

„Warte erst einmal das Ergebnis ab. Und falls es so ist, dann ist es eben so", sagte sie dicht an seinem Ohr, wobei ihr Atem ihn sanft kitzelte. Beinahe kam er sich albern vor, doch er musste es einfach aus ihrem Mund hören. 

„Würdest du mich verlassen wollen, falls ich keine Kinder bekommen kann?", sprach er seine schlimmste Befürchtung aus, von der er eigentlich wusste, dass sie unbegründet und schwachsinnig war. Sie wollte sich von ihm lösen, zweifelsfrei um ihm in die Augen sehen zu können, doch er hielt sie fest. Er würde ihren vorwurfsvollen Blick nicht ertragen. Sie seufzte, dann legte sie ihre Lippen wieder an sein Ohr. 

„Die Frage kannst du dir selbst beantworten. Aber nein, ich würde dich nicht verlassen. Ich liebe dich", sagte sie sanft, woraufhin er seine Arme noch fester um sie schlang. Sie fuhr ihm mit den Fingern durch das braune Haar, anschließend löste sie sich von ihm. 

Nur widerwillig ließ er es zu, doch er fühlte sich ein wenig besser gelaunt. Er beobachtete, wie sie zum Kleiderschrank ging und ihn öffnete, um die frisch gebügelte Wäsche einzuräumen. Er ließ sich mit einem Seufzen auf der Bettkante neben dem Wäschekorb nieder und reichte ihr die Kleidungsstücke entgegen, die sie dann in den Schrank räumte. 

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