Kapitel 56 - Jonathan

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Jonathan ärgerte sich über sich selbst. Wie hatte er nur davon ausgehen können, dass Sheila sich nicht denken konnte, dass Karima ihm eine E-Mail geschrieben hatte? Er war noch immer ziemlich naiv zu glauben, dass er ihr Dinge verschweigen konnte, obwohl er es doch inzwischen besser wissen sollte. Er schaffte es nie, sich nicht verräterisch zu benehmen.

Angespannt wartete er auf der untersten Treppenstufe sitzend, dass sie nach Hause kam. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich ihren Wagen in die Einfahrt fahren hörte. Sofort sprang er auf und öffnete ihr die Tür. Krampfhaft versuchte er, ein Lächeln aufzusetzen, doch es gelang ihm nicht wirklich. 

Als Sheila ausstieg hob er die Hand zum Gruß und zu seiner Erleichterung winkte sie ebenfalls. Jonathan fiel ein Stein vom Herzen, denn offensichtlich war sie nicht unendlich wütend auf ihn wegen einer Sache, für die er gar nichts konnte. Schnell trat er einen Schritt beiseite, damit sie hereinkommen konnte. Unwillkürlich legte er ihr eine Hand an die Hüfte und zog sie zu sich, doch schnell löste sie sich wieder und knallte die Haustür hinter sich zu. 

Sie seufzte, dann kickte sie ihre Schuhe von den Füßen und ließ ihre Handtasche auf den Boden fallen. Jonathan musterte sie abschätzend, denn obwohl er ihre Wut verstehen konnte, wollte er nicht deswegen streiten. Nicht schon wieder. Er entschied sich, die Initiative zu ergreifen und schnell über alles zu sprechen, damit sie nicht allzu lange darüber nachdenken konnte. Denn so etwas endete nie gut. 

„Setzen wir uns kurz hin und reden über die Sache?", fragte er und hielt ihr die unverletzte Hand hin. Sheila schnaubte. 

„Die Sache?", wiederholte sie ungläubig, doch sie klang nicht angriffslustig, sondern eher frustriert. Jonathan griff nach ihrer Hand und zog sie wortlos ins Wohnzimmer, wo er sie mit sanfter Gewalt aufs Sofa drückte. Er ließ sich ebenfalls nieder, ließ dabei jedoch ihre Hand nicht los. Er atmete tief durch, wie um sich zu wappnen, dann suchte er ihren Blick. Er würde es einfach schnell aussprechen und damit wäre die Sache hoffentlich erledigt. 

„Sie hat mir eine E-Mail geschrieben und gebettelt, dass ich ihr eine Chance gebe, sie besser kennenzulernen. Sie hat vorgeschlagen, dass wir uns morgen Nachmittag im Kleeblättchen treffen. Das war alles. Ich habe ihre Nachricht gelöscht", sagte er dann in einem Rutsch und doch gleichzeitig ernst. Sheila schluckte schwer und ihre Augenbrauen zogen sich schmerzerfüllt zusammen. 

„Hat sie auch etwas über mich geschrieben?", hakte sie nach, doch Jonathan zögerte, es ihr zu sagen. Er glaubte nicht, dass sie es unbedingt wissen musste, denn es würde sie verletzen. 

„Hat sie?", fragte sie nach und ihm wurde bewusst, dass sie Bescheid wissen würde, wenn er länger schwieg. 

„Sheila, ich habe die Nachricht gelöscht. Sie ist unwichtig für mich", sagte er stattdessen, denn er brachte es nicht über sich, sie anzulügen. Sheila seufzte erneut, dann ließ sie sich zurück in die Kissen fallen und rieb sich mit den Händen durchs Gesicht. 

„Bitte sag mir genau, was sie geschrieben hat", forderte sie in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. Jonathan schloss für einen Moment die Augen. Wenn er eines in den Jahren mit Sheila gelernt hatte, dann war es das, dass es sinnlos war, mit ihr zu diskutieren, wenn sie sich auf etwas eingeschossen hatte. Was im Moment ganz offensichtlich der Fall war. 

„Ich erinnere mich nicht an den genauen Wortlaut, aber sie meinte, dass sie die ganze Zeit an mich denken muss und dass sie wegen dem Tod ihres Mannes ganz durcheinander ist. Sie will, dass ich ihr eine Chance gebe und dass wir uns treffen, zur Not auch hinter deinem Rücken", fing er an, doch bei Sheilas gequältem Gesichtsausdruck hielt er inne. Er rutschte noch ein Stück näher an sie heran und sah ihr direkt in die Augen. 

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