Kapitel 114 - Jonathan

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Nach dem Abendessen verabschiedete Jonathan sich von seinen Eltern. Seine Mutter schien ganz aufgeregt zu sein, dass er Sheila sein Geschenk vorbei bringen wollte. Doch er selbst wusste nicht, ob Sheila das auch so gut finden würde. Immerhin hatte sie ihm heute Nachmittag eine ziemlich eindeutige Nachricht geschickt. 

Er war gerade auf dem Rückweg von der Höhle gewesen, doch an einer roten Ampel hatte er kurz auf sein Handy geschaut. Beinahe war ihm das Herz in die Hose gerutscht und er musste sich mit aller Anstrengung darauf konzentrieren, nicht wieder zu heulen. Irgendwie hatte er es dann zu seinen Eltern nach Hause geschafft, doch er war erst einmal in sein Zimmer gegangen und hatte eine ganze Weile in das Kissen geschrien. 

Auf der einen Seite konnte er Sheila verstehen, andererseits tat es ihm weh, dass sie anscheinend ganz und gar nicht unter seiner Abwesenheit litt. Zwar hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn vermisste, doch sie wollte anscheinend ein paar Tage allein sein. 

Je länger er darüber nachdachte, desto lauter wurden die schlechten Gedanken. Jonathan kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, um sie zu vertreiben, doch dann riss er sie wieder auf und sah auf die Straße. Einen Unfall konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. 

Er zwang sich konzentriert bis zu ihnen nach Hause zu fahren und parkte seinen Wagen an seinem gewohnten Platz am Straßenrand. Sheilas Auto stand nicht in der Einfahrt und im Haus brannte kein Licht, also nahm er an, dass sie auf der Arbeit war. Es dämmerte schon und er beeilte sich, die Tür aufzuschließen und sie mit einem seiner Schuhe zu verkeilen, dann hievte er die Druse hinein. Er stellte sie auf der untersten Treppenstufe ab und schloss die Tür hinter sich. 

Für einen Moment blieb er einfach nur im Flur stehen und genoss das Gefühl von Zuhause sein. Er konnte es kaum erwarten, sie wieder zu sehen und sie in die Arme zu nehmen. Sein Blick wanderte zur Ablage auf der Garderobe, doch es sah alles aus wie immer. Kurz überlegte er, wo er sein Geschenk am besten platzierte, sodass sie es auch auf jeden Fall sah, wenn sie nach Hause kam. 

Er beschloss, dass oben ein guter Platz dafür war. Sie hatten im oberen Stockwerk einen recht großen Flur, in dem sie einen Schrank für Bettwäsche und Handtücher und zwei Lesesessel aufgestellt hatten. Sheila schrieb hier oft an ihren Geschichten und er wusste, dass sie die Druse auf jeden Fall sehen würde, wenn sie nach oben ging. 

Er hob die Druse wieder hoch und trug sie unter Ächzen nach oben. Das blöde Ding sah gar nicht so schwer aus wie es war. Er platzierte sie neben dem kleinen Beistelltischchen, sodass sie von ihrem Lieblingssessel einen guten Blick darauf werfen konnte. 

Recht zufrieden mit sich ließ er sich auf dem Sessel nieder und betrachtete das Gestein. Im Licht schien es zu funkeln und er wusste, dass ihr das gefallen würde. Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass sie vielleicht noch vor ein paar Stunden hier gesessen hatte.

Doch nach einem Moment stand er wieder auf und ging ins Schlafzimmer. Er grinste, denn sie hatte das Bett nicht gemacht. Normalerweise meckerte sie immer, wenn er die Decken und Kissen nicht aufschlug, aber nun hatte er den Beweis, dass sie es ebenso wenig tat, wenn sie allein war. Kurz kam ihm der Gedanke, davon ein Foto zu schießen, damit er sie ärgern konnte, doch schnell verwarf er den Gedanken wieder. 

Er ging hinüber zum Bett und strich über ihre Decke. Es kam ihm vor, als schossen blitzartige Erinnerungen auf ihn ein, wie sie hier gemeinsam im Bett lagen und sich stundenlang unterhalten hatten, bis sie vor Erschöpfung eingeschlafen waren. Er hörte ihre Stimme in seinem Ohr und genoss die Erinnerung, bis er von einem schrillenden Geräusch in die Realität zurückgeholt wurde. 

Es dauerte eine Weile bis er begriff, dass jemand geklingelt hatte. Verwirrt machte er sich auf den Weg nach unten, da klingelte es noch einmal. Stöhnend lief er schneller die Treppe nach unten, dann öffnete er die Tür einen Spalt und sah in Lisas wütendes Gesicht. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und funkelte ihn an. Er schluckte und senkte schuldbewusst den Blick. Wahrscheinlich hatte sie ihn an ihrem Haus vorbeifahren sehen und war direkt hierher gekommen. 

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