Kapitel 31 - Sheila

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Sheila versuchte, sich auf die Straße zu konzentrieren, doch sie war zu aufgewühlt. Jonathan hielt sich ein paar Mal panisch am Haltegriff fest, doch er sagte nichts. Sie war wütend, nicht auf Jonathan, denn er konnte wirklich nichts dafür, dass Karima ihn einfach geküsst hatte. Doch sollte er ruhig ein schlechtes Gewissen haben. Allerdings ärgerte sie es mehr, dass er nichts gesagt hatte. Er hätte irgendetwas zu ihr sagen sollen, denn nun glaubte sie womöglich noch, sie hätte eine Chance bei ihm. 

Sie spürte, wie Jonathan sie musterte, doch sie ignorierte ihn, bis sie ihren Wagen zu Hause in die Einfahrt lenkte. Sie bremste so abrupt, dass Jonathan in seinen Gurt gedrückt wurde und dann wieder nach hinten in den Sitz fiel. Er stieß ein überraschtes Geräusch aus, dann sah er sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an. 

„Du hast gesagt, du bist nicht wütend", erinnerte er sie, doch die Fahrt hatte ihre Gedanken ein wenig geklärt. Vorhin war sie noch ein wenig berauscht gewesen von der guten Stimmung auf der Party und als Jonathan sie gebeten hatte, ihm die Hose aufzuknöpfen, hätte sie sie ihm am liebsten von Leib gerissen. 

Nun wurde ihr bewusst, dass er eine andere geküsst hatte, beziehungsweise es zugelassen hatte, dass er von ihr geküsst wurde und außerdem hatte er ihr anscheinend irgendwie erzählt, dass sie vergeblich versuchten, ein Kind zu bekommen. 

„Ich bin nicht wütend", log sie und stieg schnell aus dem Auto. Sie knallte die Tür fester zu als nötig. Ohne auf Jonathan zu warten ging sie zur Haustür und schloss auf. Sie ließ sie offen stehen, damit er herein kommen konnte, doch auch als sie sich die Schuhe ausgezogen hatte, war er noch nicht zu ihr gekommen. Verwirrt beugte sie sich vor, um aus der Tür nach draußen zu sehen. 

Obwohl es dunkel war, reichte die Straßenbeleuchtung aus, damit sie sehen konnte, dass er noch immer im Auto saß, das Gesicht in seiner gesunden Hand vergraben. Ein paar Sekunden beobachtete sie ihn und sah, wie er sich mit der Hand über die Wangen wischte. Ihr Herz sank ihr in die Hose. Weinte er? Ja, sie war wütend auf ihn, doch sie wollte eigentlich nicht schon wieder mit ihm streiten. 

Auf Socken tapste sie zu ihm und öffnete die Beifahrertür. Er rührte sich nicht, auch nicht, als sie ihm die Hand auf den Arm legte. 

„Hey", sagte sie behutsam, doch er zuckte vor ihr zurück. Vielleicht hatte sie es ein bisschen übertrieben mit dem wütend sein, denn dass er weinte hatte sie nicht gewollt. 

„Tut mir leid. Ich bin nicht wirklich wütend auf dich. Zumindest nicht sehr", sagte sie leise und versuchte, seine Hand von seinem Gesicht zu schieben. 

„Lass mich", presste er hervor und wandte sich von ihr ab. Sheila schluckte. Langsam richtete sie sich auf, dann legte sie ihm ihren Haustürschlüssel in den Schoß, denn sie war sich nicht sicher, ob er seinen dabei hatte. Sie drückte noch einmal seien Arm, dann ging sie wieder zurück ins Haus und schloss leise die Tür. 

Kaum dass die Tür zu war, fing sie an zu zittern. Zwar hatten sie sich wieder vertragen und Jonathan hatte endlich ausgesprochen, was ihn so belastete, aber anscheinend war doch nicht alles in Ordnung. Allerdings wollte ihn nicht bedrängen. Sie wusste aus Erfahrung, dass es nichts Schlimmeres gab, als nicht in Ruhe gelassen zu werden, wenn man es doch schon zehn Mal gesagt hatte. 

Sie zwang sich, nach oben zu gehen, doch ohne lange darüber nachzudenken ging sie auf den Balkon über der Garage, sodass sie auf ihr Auto hinunterblicken konnte. Zu ihrer Überraschung stieg Jonathan aus, aber er schien sie nicht zu bemerken, denn er sah nicht zu ihr nach oben. Anstatt zur Tür zu gehen, marschierte er die Straße hinunter. 

„Wohin gehst du?", rief sie ihm nach und auf einmal war sie alarmiert. Es war mitten in der Nacht, wo wollte er hingehen? Kurz hielt er inne, doch er drehte sich nicht zu ihr um und ging weiter. Sheila wurde panisch. Sie wollte nicht, dass er wegging. Sie rannte die Treppe nach unten, stieg in ihre Turnschuhe und stürmte nach draußen, ihm hinterher. 

„Jonathan!", rief sie, doch er ging einfach weiter. Zum Glück rannte er nicht, sodass sie ihn schnell einholen würde. Sie lief die letzten Meter zu ihm und packte ihn an der Schulter. 

„Bitte komm zurück", flehte sie und endlich drehte er sich zu ihr und sah sie an. 

„Ich muss nachdenken", sagte er kalt, doch Sheila schüttelte den Kopf. 

„Nein, wir haben uns wieder vertragen", widersprach sie, denn auf einmal bekam sie Angst, dass er sie doch verlassen wollte. Er wandte den Blick von ihr ab, doch er blieb stehen. Immerhin etwas. 

„Bitte", flehte sie weiter und mit jeder Sekunde, die er weiter schwieg, wurden ihre Knie weicher. Würde er nicht bald etwas sagen, würde sie ohnmächtig werden. 

„Ich muss nachdenken", sagte er nur und Sheila glaubte, dass sie sich im Kreis drehten, denn er war schon wieder genau so abweisend wie vor ihrer Aussprache. 

„Worüber?", fragte sie und endlich sah er ihr wieder in die Augen. Auf einmal spürte sie, dass ihre Wangen nass waren. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie angefangen hatte, zu weinen. Jonathan schwieg. 

„Bitte sag mir nicht, dass du darüber nachdenken musst, ob das zwischen uns noch einen Sinn hat. Ich... ich will dich nicht verlieren. Sag mir, was dich stört und ich ändere es", bettelte sie und kam sich armselig vor. Jonathan war so sprunghaft und sie glaubte, dass er tun konnte, was er wollte, sie würde ihm doch alles verzeihen. Denn ein Leben ohne Jonathan konnte sie sich nicht vorstellen. Würde er sie verlassen, wüsste sie nicht, wie es weiter gehen sollte. 

Jonathan legte seine Hand an ihre Wange und sie erzitterte unter ihrer Berührung. Schnell griff sie nach seiner Hand, damit er sie nicht wieder wegnahm. 

„Sheila", sagte er leise, doch seine Stimme klang seltsam erstickt. Sie umklammerte seine Hand fester. 

„Ich liebe dich", sagte er und obwohl es genau das war, was sie hören wollte, knickten ihre Beine ein und sie fand sich auf einmal auf dem Boden wieder. Sie sah nach oben, doch Jonathan war nicht mehr bei ihr. Sie sah ihn, wie er sie hier liegen ließ und davonlief. 

Er liebte sie, immerhin etwas, doch warum ging er davon? Warum ließ er sie hier allein? Sie sah ihm nach, bis er um eine Ecke verschwand, dann versuchte sie aufzustehen, doch sie strauchelte noch ein paar Mal. Lange würde sie dieses Hin und Her mit ihm nicht mehr durchhalten. 

Irgendwie schaffte sie es, in ihr Bett zu kriechen. Sie streifte nur die Schuhe ab, ansonsten blieb sie angezogen und klammerte sich an sein Kissen. Ihr Handy hatte sie genau neben ihren Kopf gelegt, damit sie es sofort mitbekam, wenn er sie anrief.

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