Kapitel 69 - Sheila

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Sheila spürte, wie Jonathan schon nach ein paar Minuten nachdem sie den Film eingeschaltet hatten, einschlief. Sie hatten sich eng aneinander gekuschelt auf das Sofa gequetscht und es war schön, so nah bei ihm zu liegen. 

Immer wieder zuckte sie zusammen, wenn sie sich erschreckte, doch Jonathan schlummerte seelenruhig weiter. Wie er bei den Geräuschen eines gruseligen Filmes einschlafen konnte, war ihr noch immer ein Rätsel. Doch auch er hatte viel Stress gehabt und sie wusste, wie auslaugend das Leben sein konnte.

Nachdem der Film zu Ende war, hob sie vorsichtig seinen Arm an und stand auf. Er stöhnte kurz auf, dann drehte er sich auf die andere Seite und schlief weiter. Sheila griff nach einer Wolldecke, die am Fußende des Sofas lag und breitete sie über ihm aus, anschließend schnappte sie sich ihren Laptop und schlich ins Arbeitszimmer. 

Sie hatte in den letzten Tagen ein wenig geschrieben, doch es war absolut nichts, was er lesen sollte. Er würde es nicht verstehen, denn sie hatte all ihre Gedanken, die ihr am vergangenen Wochenende durch den Kopf gegeistert waren, aufgeschrieben. Es war Fiktion, doch es steckte durchaus ein wahrer Kern darin. Sie ließ ihre Hauptperson durch die Qualen gehen, die sie niemals erleben wollte und hoffte so, sich auf die schönen Dinge im richtigen Leben konzentrieren zu können. Doch obwohl ihrem fiktiven Alter Ego schlimme Dinge passiert waren, gab es bisher doch immer ein Happy End. 

Unwillkürlich musste sie daran denken, wie Jonathan sie nach und nach von Ville befreit hatte. Sie bereute nichts davon, weder dass sie sich so schnell auf ihn eingelassen hatte und dass sie nach gerade einmal elf Monaten Beziehung geheiratet hatten, doch manchmal fragte sie sich, wo sie nun stehen würde, wenn sie ihn nicht kennengelernt hätte. 

Wahrscheinlich wäre sie nun bei Ville, der sie schlecht behandelte und schlug aber doch irgendwie auf eine kranke Art und Weise liebte. Mit ziemlicher Sicherheit wäre sie psychisch ein vollkommenes Wrack, genau so wie Ville. 

Schnell schüttelte sie den Kopf, doch bevor sie den Laptop aufklappte, zog sie ihr Handy aus ihrer Hosentasche und wählte die Nummer ihres Bruders. Sie hatte ihn nun lange genug in Ruhe gelassen und sie brauchte dringend jemanden, mit dem sie über alles quatschen konnte und nicht Jonathan war. Sie hatte gespürt, dass er nicht über Karima reden wollte, obwohl sie selbst sich am liebsten stundenlang über sie aufgeregt hätte. 

Es tutete eine Ewigkeit, doch dann meldete er sich tatsächlich. Seine Stimme war rau und er klang, als wäre er gerade erst wachgeworden. Sheila warf schnell einen Blick auf die Uhr. Es war bereits halb sechs und vielleicht hatte er sich nach der Arbeit ein wenig hingelegt. 

„Was gibt's?", fragte er, doch Sheila bremste sich. Sie wollte ihn nicht direkt mit ihren Problemen belästigen, wo er im Moment selbst ziemlich viel Stress mit Jonas hatte. 

„Ich wollte nur mal Hallo sagen", erwiderte sie, was er mit einem Seufzen beantwortete. 

„Wie geht's dir?", fragte sie weiter, doch wieder bekam sie keine richtige Antwort von ihm. Sie schluckte, denn er hatte sich so verändert. 

„Ziemlich beschissen, aber ich habe ja genug Leute dir mir helfen wollen und mir auf die Nerven gehen", warf er ihr entgegen und im ersten Moment war sie zu verwirrt, um darauf zu reagieren. Meinte er damit auch sie? 

„Was willst du damit sagen?", hakte sie nach, doch er lachte leise und bitter. 

„Lass mich in Ruhe. Ich habe keine Lust mehr, dass du deine ganzen Probleme bei mir ablädst. Wahrscheinlich willst du dich darüber ausheulen, dass du immer noch nicht schwanger geworden bist. Hier mein Tipp: Lasst es bleiben, wenn es nicht klappt", giftete er. 

Sheila spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Zwar hatte sie mit ihm über etwas ganz anderes reden wollen, doch seine Botschaft war angekommen. 

„Na gut, dann lasse ich dich mal in Ruhe", sagte sie bemüht ruhig, doch anstatt noch etwas zu sagen legte Matthias einfach auf. Sheila presste sich noch eine Weile das Handy ans Ohr, doch er hatte tatsächlich einfach aufgelegt. Kopfschüttelnd legte sie ihr Handy auf den Schreibtisch vor ihr. Matthias und sie hatten schon oft Meinungsverschiedenheiten gehabt, doch so abweisend war er noch nie gewesen. 

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