Kapitel 9 - Sheila

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Sheila hatte gar kein gutes Gefühl dabei, Jonathan mit einer Flasche Whiskey bei Leonard zu lassen, wenn er so schlechte Laune hatte. Zwar bemerkte sie, dass er sich Mühe gab, wieder besser gelaunt zu sein, doch es klappte nicht wirklich. Hoffentlich legte sich das bald wieder. Spätestens wenn er sein Ergebnis vom Arzt haben würde, könnte es doch wieder so werden, wie vorher. 

Irgendwie spürte sie, dass bei ihm alles in Ordnung war. Obwohl sie in den fast zwei Jahren noch nicht schwanger geworden war, glaubte sie dennoch, dass es bald so weit sein würde. Vielleicht malte sie es sich einfach nur gerne aus, aber irgendwie hatte sie es im Gefühl, dass es bald klappen würde.

Sheila lenkte ihren Wagen auf den Parkplatz des Cirque de l'Amour, dem Varieté, in dem sie arbeitete. Wie meistens war sie einige Minuten zu früh und sie zog noch einmal ihr Handy aus ihrer Handtasche. Niemand hatte sich bei ihr gemeldet und sie beschloss, Jonathan eine Nachricht zu schreiben. 

„Ich bin gut bei der Arbeit angekommen. Viel Spaß bei Leonard und trink nicht zu viel. Ich liebe dich", schrieb sie, anschließend schob sie es ohne eine Antwort abzuwarten zurück in ihre Tasche und stieg aus. 

Sie ging über den roten Teppich, der vor dem Eingang unter einer Pergola ausgerollt war und noch immer fühlte sie sich wie ein Filmstar. Die Glastüren öffneten sich von allein und sie ging geradewegs in den kleinen Raum hinter der Bühne, wo jeder Mitarbeiter einen eigenen Spind hatte, um seine Sachen zu deponieren. 

Wie beinahe jedes Mal, wenn sie hier war, durchzuckte sie für eine Sekunde die Erinnerung an Marcel, einen ehemaligen Arbeitskollegen. Sie hatte ihn von Anfang an nicht gemocht und er hatte sie hier auf der Arbeit bedrängt und seine Hände an Stellen gelegt, die für ihn tabu waren. Obwohl es schlimm gewesen war, spürte sie keinen Schmerz mehr. Es war schon eine ganze Weile her und es machte ihr nichts mehr aus. Ihr war schon Schlimmeres passiert, doch auch daran wollte sie im Moment nicht denken. 

„Hey, wie geht's?", riss sie eine männliche Stimme aus ihren Gedanken. Erschrocken riss sie den Kopf herum und blickte in die dunklen Augen von Karim. Sofort breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie mochte ihn. Sie hatten sich vor fast drei Jahren besser kennengelernt, als sie gemeinsam an der alljährlichen Mitarbeiter-Vorführung gearbeitet hatten. Ihr Chef hatte sie gebeten, sich eine Choreo auszudenken. Karim war einer der Tänzer gewesen. Er war ziemlich gut gewesen und seit dem verstanden sie sich auch gut. Zwar arbeitete er als Kellner und nicht wie sie hinter der Bühne, doch wenn sie zusammen Schicht hatten, schafften sie es immer, zumindest ein paar Minuten miteinander zu reden. 

„Gut, und dir?", erwiderte sie, während sie ihre Tasche in den Spind stopfte. 

„Auch. Was meinst du, wann wir über die Mitarbeiter-Vorführung sprechen? Wir sind spät dran dieses Jahr", sagte er und Sheila schob sich ihren Spindschlüssel in die Hosentasche. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie es letztes Jahr gewesen war und tatsächlich hatte er recht. 

„Vielleicht frage ich André nachher mal", schlug sie vor und Karim nickte begeistert. 

„Ja, gute Idee", erwiderte er und sie sah, dass er grinste. Offensichtlich freute er sich auf die Vorführung. 

„Sag mal, hast du nicht Lust, am Samstag zu meinem Geburtstag zu kommen? Ich habe gesehen, dass du da genau wie ich nur bis fünf arbeiten musst. Dein Mann kann auch mitkommen", fragte Karim dann und ein wenig überrascht sah sie ihn an. Zwar verstanden sie sich gut, doch wenn sie ehrlich war, hatte sie gar nicht gewusst, wann er Geburtstag hatte. Kurz durchforstete sie ihr Hirn, ob sie am Samstag irgendetwas vorhatten, doch ihr fiel nichts ein. 

„Klar, gerne. Ich wusste gar nicht, dass du Geburtstag hast", sagte sie und lächelte ihn an. 

„Ich habe schon am Freitag, aber da habe ich Abenddienst und da dachte ich, dass ich vielleicht am Samstag ein wenig feiern kann, nur mit ein paar Freunden, nichts Wildes. Wir treffen uns bei mir zu Hause und wollten gemütlich was zusammen sitzen", erwiderte er schulterzuckend und lächelte er ein wenig verlegen, als wäre es ihm unangenehm, dass er sie eingeladen hatte. 

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