Kapitel 21 - Sheila

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Einen Moment lang blieb Sheila noch im Arbeitszimmer stehen, doch dann ging sie ihm hinterher. Sie wusste, dass er gerade zu besessen davon zu sein schien, alles was sie verletzen könnte, von ihr fernzuhalten, doch seine Reaktionen wenn es nicht klappte, waren ein wenig überzogen. 

Sie schüttelte den Kopf, dann betrat sie wieder das Wohnzimmer, wo Esra und Matthias auf dem Sofa saßen und sich anschwiegen. Jonathan hörte sie in der Küche herumhantieren. Als Matthias sie bemerkte sprang er auf und kam zu ihr. 

„Esra will ihn anrufen", sagte er dann und bedeutete ihr mit seinem Blick, dass sie sich zu ihr setzen sollte. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Jonathan sich mit verschränkten Armen in den Türrahmen lehnte und sie schon wieder so griesgrämig ansah. Doch sie ignorierte ihn, scheuchte ihren Bruder zu ihm und setzte sich neben Esra. Sie hielt schon ihr Handy in der Hand und starrte unschlüssig darauf. 

„Ich schaffe das nicht", murmelte sie leise, dann warf sie einen panischen Blick zu Sheila. 

„Soll ich ihn anrufen?", fragte sie und wieder nahm sie aus dem Augenwinkel wahr, wie Jonathan sich versteifte. Was zur Hölle war sein Problem? Esra schüttelte den Kopf. 

„Nein, ich brauche nur noch ein, zwei Minuten", sagte sie, dann warf sie einen Blick zu Matthias, der nickte. Er bedeutete Jonathan mit einer Handbewegung, ihm zu folgen und ging mit ihm auf die Terrasse. 

„Wenn ich das hinter mich gebracht habe erzählst du mir, warum er so angespannt ist, okay?", fragte sie und Sheila nickte. Sie würde Jonathan vielleicht überreden, zurück in sein Studio zu verschwinden, damit sie sich in Ruhe mit Esra unterhalten konnte. Es würde ihr guttun, mal über alles zu sprechen und sie wusste, dass Esra eine gute Zuhörerin war, die nicht alle drei Sekunden ihren Senf dazu gab, so wie Matthias es immer machte. 

„Okay", sagte sie, dann wandte Esra sich wieder ihrem Handy zu und klickte auf einen Namen in ihrer Kontaktliste. 

„Er heißt nicht im Ernst Erkan?", fragte Sheila und kicherte. 

„Sch", machte Esra, doch ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Sheila sah, dass sie auf Lautsprecher stellte und hörte das ewige Tuten. Gerade als sie glaubte, er würde nicht drangehen, meldete er sich. Er klang irgendwie außer Atem. 

„Was willst du?", fragte er patzig und Esra zuckte zusammen. 

„Ich muss mit dir reden", setzte sie an, doch er unterbrach sie mit einem Lachen. 

„Ach ja? Darüber, dass ich deiner kleinen Freundin eine geknallt habe? Hat sie sich bei dir ausgeheult?", höhnte er und Sheila griff nach Esras Hand um ihr zu zeigen, dass mit ihr alles in Ordnung war und sie das sagen sollte, was sie sich zurechtgelegt hatte. 

„Nein, darum geht es nicht. Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein. Ich will, dass du bis 18 Uhr aus meiner Wohnung verschwunden bist", sagte sie und Sheila spürte, dass sie zitterte. 

„Was?", fragte Erkan, obwohl er sie mit Sicherheit verstanden hatte. Trotzdem wiederholte sie es. 

„Du hattest letzte Nacht was mit diesem Versager, hab ich recht?", schrie er sie an, was Esra zusammnenzucken ließ. 

„Nein, das stimmt nicht. Es funktioniert einfach nicht mit uns. Bitte geh", forderte sie mit überraschend fester Stimme, doch anstatt eine Antwort von ihm abzuwarten, legte sie auf. Sie stöhnte, ließ ihr Handy neben sich auf das Sofa fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Sofort reagierte Sheila und drückte sie. 

„Das hast du gut gemacht. Sollte er nicht verschwunden sein, bringen die drei ihn schon zu Gehen", versicherte sie ihr und hoffte, dass er verschwunden sein würde, wenn Jonathan bei Esras Wohnung auftauchte. 

„Ich muss mal", sagte Esra, machte sich von ihr los und verschwand in Richtung Bad. Offensichtlich war sie aufgewühlter als es wirkte und Sheila konnte es ihr nicht verübeln, dass sie ein paar Minuten für sich sein wollte. 

Sie erhob sich ebenfalls und ging in die Küche, wo die Terrassentür lag. Matthias und Jonathan standen mitten im Garten und Jonathan zeigte ihm irgendetwas am Pool. Sie trat nach draußen und ging zu ihnen. Jonathan erzählte gerade, dass er vielleicht eine Hängematte kaufen wollte, als Sheila einen Arm um ihn legte und sich an ihn lehnte. Sofort unterbrach er sich und sah sie fragend an. 

„Sie hat ihm gesagt, dass er bis 18 Uhr verschwunden sein soll", berichtete sie und Matthias nickte. 

„Ich gehe mal nach den Kindern schauen", sagte er und verschwand. Sheila sah ihm eine Weile nach, doch dann wandte sie sich wieder Jonathan zu. 

„Gehst du noch etwas arbeiten?", fragte sie, doch er zuckte die Schultern. 

„Wollt ihr mich loswerden?", fragte er und für einen Moment wusste sie nicht, ob er es ernst meinte oder nicht. Unwillkürlich legte sie ihre Hand an seine Brust, denn sie wusste, dass er es mochte. 

„Warum bist du so komisch?", fragte sie und sah ihm tief in die Augen. Er schwieg einen Moment, so als würde er über eine passende Antwort nachdenken. 

„Ich bin nicht komisch", sagte er schließlich und zog die Augenbrauen zusammen. 

„Doch, bist du", widersprach sie und mit einem Ruck machte er sich von ihr los. 

„Dann gehe ich mal besser wieder arbeiten, damit du dich nicht mit mir herumärgern musst", sagte er und ließ sie zum zweiten Mal heute stehen. Doch dieses Mal reagierte sie schneller und hielt ihn am Handgelenk fest.

„Nein! Du bist so sprunghaft. In der einen Minute ist noch alles okay und dann bist du auf einmal bockig und schlecht gelaunt", sagte sie ernst, doch er erwiderte nur stumm ihren Blick. 

„Bitte rede doch mit mir", flehte sie und sie sah, wie seine harte Fassade bröckelte. 

„Nicht jetzt", sagte er leise, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und wollte sich schon wieder von ihr abwenden, doch sie verstärkte ihren Griff um sein Handgelenk. Auf einmal kam ihr ein Gedanke, der schrecklich und quälend war. Dachte er etwa darüber nach, sich von ihr zu trennen? Zwar hatte er ihr gesagt, dass er sie liebte, doch irgendetwas schien nicht in Ordnung zu sein. Da musste noch mehr sein als die Tatsache, dass er nervös wegen seinem Arzttermin war. 

„Wenn du mit mir Schluss machen willst, dann zieh es nicht unnötig in die Länge. Ich merke, dass du unglücklich bist und irgendetwas nicht stimmt", sagte sie, doch ihm schien alles aus dem Gesicht zu fallen. Ganz ähnliche Diskussionen hatten sie allein in der letzten Woche so oft geführt, wie in den restlichen Jahren ihrer Beziehung. 

„Nein, will ich nicht", rief er entsetzt aus und war mit einem Satz bei ihr und legte seine Arme um sie. Sheila nickte an seiner Schulter, doch dann löste sie sich von ihm. 

„Es kommt mir nur so vor. Du bist so abweisend zu mir", sagte sie, aber er zog die Augenbrauen hoch, als wäre er anderer Meinung. 

„Abweisend? Wann habe ich dich abgewiesen?", fragte er ungläubig und sofort schlich sich der Gedanke an die letzte Nacht in ihren Kopf. Doch das meinte sie nicht. 

„Ich meine emotional. Wann haben wir das letzte Mal richtig zusammen gelacht? Früher warst du viel lockerer und nicht so verbissen. Du hast dich verändert", sagte sie und suchte seinen Blick, dem er auswich. Er schwieg. Ein paar Mal öffnete er den Mund, wie um etwas zu sagen, doch er brachte keinen Ton heraus. 

„Wir müssen ja nicht jetzt sofort reden, aber ich habe Angst, dich zu verlieren", sagte sie und ihr Herz fing an, wie verrückt zu pochen. Denn davor hatte sie wirklich Angst. Wenn er sie allein lassen würde, wäre sie am Boden zerstört. 

„Ich will dich nicht verlassen", sagte er, allerdings klang es nicht sehr überzeugend. Sheila nickte, doch er machte sich von ihr los und verschwand durch das Gartentor in Richtung seines Studios. 

Eine Minute lang stand sie einfach nur da und starrte auf das Gartentor in der Hoffnung, er würde wieder zurückkommen. Doch es blieb unbarmherzig verschlossen. Hoffentlich würde er heute Abend, wenn sie von der Arbeit kam noch mit ihm reden oder spätestens morgen früh, denn sonst wurde ihr bei dem Gedanken daran, morgen mit ihm zu Karims Feier zu gehen, ganz schön mulmig zumute. 

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