Kapitel 6

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„Wieso sagst du mir nicht einfach wohin wir gehen?“ ungeduldig sah ich Isaac an. Wir sassen schon seit einer viertel Stunde in seinem Wagen und waren auf dem Weg keine Ahnung wohin. „Lass dich einfach überraschen.“ „Du weisst, dass ich Überraschungen hasse.“ stumm nickte er, setzte den Blinker und fuhr auf einen Schotterweg.

„Willst du mich irgendwo verscharren, oder was?“ „Elly, bitte! Sei jetzt einfach still.“ genervt verschränkte ich meine Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster. Ich hatte keine Ahnung was das sollte. Wir hatten die Stadt schon verlassen und hier draussen gab es nichts, wo wir etwas hätten machen können. Also wohin brachte er mich?

Irritiert runzelte ich meine Stirn, als wir einen Hügel nach oben fuhren. Da ich aber sowieso keine Antwort von Isaac bekommen würde, fragte ich überhaupt nicht erst nach. „Was ist eigentlich mit meiner Aussage gestern?“ „Darüber wollte ich noch mit dir reden.“ sagte er seufzend. „Wir haben uns die Überwachungsvideos angesehen. Der Mann, der dich angerempelt hat, war Rob Watkins.“ also hatte ich mich doch nicht geirrt. „Und was ist mit den zwei anderen Männern, die ihm hinterher sind?“ „Eigentlich darf ich mit dir gar nicht darüber reden.“ das war mir doch egal. Ich wollte wissen, was es mit allem auf sich hatte.

„Ich bin ein neugieriger Mensch und gebe keine Ruhe, bis du mir eine Antwort gegeben hast.“ das wusste Isaac so gut wie jeder andere. „Ich darf dir nicht viel sagen, ausser, dass sie im Verdacht stehen ihn umgebracht zu haben.“ „Wie bitte?“ ich hatte mich doch verhört. „Du wusstest das nicht? Die Nachrichten haben darüber berichtet.“ „Ich hatte heute anderes zu tun als mir die Nachrichten anzusehen. Du möchtest mir also gerade sagen, dass er tot ist?“ stumm nickte er. Das konnte doch nicht wahr sein.

„Wir haben ihn heute morgen in einer Seitengasse tot aufgefunden.“ in meinem Hirn ratterte es gerade ohne Ende. „Wenn du sagst, dass diese zwei Männer es getan haben könnten. Wann wurde er umgebracht?“ kurz sah mich Isaac an. „Laut Autopsie etwa um halb elf.“ „Das ist nicht wahr.“ fassungslos stiess ich die Luft aus.

Nicht nur, dass ich kurz davor zwei möglichen Mördern begegnet war, nein, ich hätte es vielleicht auch verhindern können. Wenn ich die Polizei angerufen und ihnen gesagt hätte, dass ein Mann gejagt wurde, dann hätte man diesen Mord verhindern können. Ich wusste, dass es überhaupt nicht meine Schuld war, aber trotzdem fühlte sich ein Teil in mir dafür verantwortlich.

Und genau dieser Teil erinnerte sich an das Ereignis von vor einem Jahr. Damals konnte ich es auch nicht verhindern, das ein Leben genommen wurde. Alles hatte ich versucht, meine ganze Kraft eingesetzt, aber ich war einfach zu schwach.

Bevor ich hier aber völlig durchdrehte und die Gefühle an mich ran liess, atmete ich tief durch und drehte meinen Kopf zur Seite. „Sieh mich nicht so an.“ sagte ich gleich, als ich Isaacs besorgten Blick sah. „Du konntest nicht wissen, dass so etwas passiert.“ „Ich weiss. Trotzdem hätte ich die Polizei rufen können.“ „Es hätte rein gar nichts geändert.“ fragend sah ich Isaac an. „Laut den Aufnahmen hat er dich drei Minuten vorher angerempelt. Selbst wenn du gleich die Polizei gerufen hättest, wären wir zu spät gewesen.“ jetzt machte es Sinn. „Und ich habe mich schon gefragt, wieso so viele Polizeiwagen vorbei fuhren.“ mir war klar, dass etwas passiert war, aber niemals hätte ich damit gerechnet, dass es ein Mord war.

„Ist jetzt alles wieder gut?“ „Ich denke schon, ja. Danke, dass du es mir gesagt hast.“ schwach lächelnd sah ich aus dem Fenster. Ich musste mir also kein Gewissen machen, weil ich die Polizei nicht gerufen hatte, weil sie sowieso nichts hätten ändern können. Trotzdem musste ich zugeben, dass es mich doch etwas beunruhigte, dass jemand  in der Nähe von meinem Arbeitsplatz umgebracht wurde.

„Da wären wir auch schon.“ misstrauisch sah ich mich um, ehe ich aus dem Wagen stieg. So wie es aussah, waren wir ganz oben auf dem Hügel. Okay, es war wohl eher ein kleiner Berg, wenn ich mir diese Höhe ansah. Zwei Meter vor dem Wagen verlief ein Holzzaun, der verhinderte, dass man den Abhang nach unten fallen konnte. Das war aber keineswegs das, was mich so erstaunte.

Eleanor - Gut und BöseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt