Wut

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Kapitel 11 - Wut


Wut

Substantiv, feminin [die]

Heftiger, unbeherrschter, durch Ärger o.Ä. hervorgerufener Gefühlsausbruch, der sich in Miene, Wort und Tat zeigt.



Zwei Tage war es nun her, dass Malfoy ihr diesen dämlichen Brief auf dem Nachttisch hinterlassen hatte und Hermine begann sich zu fragen, wo er sich wohl aufhielt. Zunächst war sie zwar recht erleichtert gewesen, dass seine Abwesenheit wohl bedeutete, ein wenig Abstand zu gewinnen, aber nun, mit eben diesem Abstand und einem Harry Potter, der ihr nach wie vor aus dem Weg ging und sie ihm, kam sie ins Grübeln. Er hatte weder irgendwann einmal erwähnt, dass er weg musste, aus welchen Grund auch immer, noch konnte sie an irgendetwas denken, was er zu erledigen hätte. Wie sie die Sache sah, hatte er nicht wirklich groß irgendwo Familie oder Freunde, wobei sie sich natürlich nicht zu hundert Prozent sicher sein konnte.

Ganz prinzipiell gesehen interessierte es sie auch überhaupt nicht, wo sich dieser Mistkerl rumtrieb, denn sie hatte ihm seine Aktion noch nicht ganz verziehen. Andererseits - und das war beinahe schon eine Katastrophe - machte sie sich Sorgen. Sie, Hermine Granger machte sich Sorgen um Draco Malfoy. Wenn das nicht ein Grund war, schleunigst das St. Mungos und die Abteilung für bedenkliche Hirnschäden aufzusuchen, dann wusste sie auch nicht. Aber so ganz abwegig waren ihre Gedanken auch wieder nicht, immerhin saß sie seit eben diesen zwei Tagen nun schon wieder hier in ihrer Isolation im Black'schen Wohnzimmer und versuchte krampfhaft, sich auf ihre Bücher zu konzentrieren, was ihr mehr schlecht als recht gelingen wollte.

Neben Malfoy war da nämlich auch noch diese Sache mit Harry, der sie bisher rigoros aus dem Weg gegangen war und wenn sie sich nicht irrte, dann hatte ihr bester Freund auch keinerlei Interesse daran, auf sie zu treffen. Es grenzte schon beinahe an ein Wunder, dass sie es schafften, sich seit fast einer Woche aus dem Weg zu gehen und nicht miteinander zu sprechen. Hermine wusste, dass sie das nicht mehr lange durchhalten würde können und sie womöglich spätestens morgen oder in den nächsten Tagen das Gespräch mit Harry suchen würde, sofern dieser ihr nicht zuvorkam.

Seufzend schlug Hermine ihr Buch zu, auf welches sie sich sowieso nicht mehr konzentrieren konnte und machte sich auf den Weg in die Küche, denn es war an der Zeit, sich einen neuen Kaffee zu holen. Ihr erster war bereits eine Weile her und irgendwie hatte sie im letzten halben Jahr eine Obsession für dieses Zeug entwickelt, obwohl sie früher nie gerne Kaffee getrunken hatte.
Doch kaum hatte Hermine die Küche erreicht, erschrak sie beinahe zu Tode, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass bereits jemand hier war. Am Tisch saß Harry, der sich über den Tagespropheten gebeugt und ebenfalls eine Tasse dampfenden Kaffee vor sich stehen hatte.

„Oh", sagte er leise, als er sie bemerkte und fuhr sich fahrig mit der freien Hand durch seine unordentlichen Haare. „Ja also, ich dachte... ich wusste nicht... ach egal, ich wollte sowieso wieder nach oben", murmelte er undeutlich und wich nun ihrem Blick aus. Er machte Anstalten aufzustehen und es tat Hermine im Herzen weh, zu sehen, wie ihre Freundschaft litt. Zu sehen wie vor allem Harry litt, unter so ziemlich allem und nun war sie auch noch Schuld daran, dass er sich schlecht fühlte wegen dem, was zwischen ihnen geschehen war. Obwohl sie es überhaupt nicht schlimm fand, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Nicht mehr. Sie hatten sich geküsst. Was war schon dabei? Stellte man das mal in Relation zu den Dingen, die sie mit Malfoy trieb, dann war eine Knutscherei mit Harry Potter wirklich nicht der Rede wert. Sie für ihren Teil zumindest, hatte sich die letzte Woche damit abgefunden, dass ihr Leben derzeit einer Achterbahnfahrt glich und um es genau zu nehmen, konnten sie sich glücklich schätzen, überhaupt noch am Leben zu sein. Warum sich daher Gedanken über solche Banalitäten machen? Sie seufzte.

„Harry. Bleib", sagte sie daher nur, als er schon fast dabei war, seine Tasse zu greifen um damit den Raum zu verlassen. Sie ging an ihm vorbei, ignorierte für den Moment seinen fragenden Blick als er sich wieder zurück auf die Bank sinken lies und füllte sich ebenfalls erneut einen Kaffee in ihre leere Tasse, ehe sie zurück kam und sich ihm nun gegenüber setzte. Er sagte nichts, sondern sah sie nur aus seinen verflucht grünen Augen an, als sei sie eine Erscheinung und Hermine wusste, dass sie die Sache würde ansprechen müssen. Harry war zwar mutig, aber sie sah ihm an, dass er überhaupt nicht wusste, wie er mit dieser Situation umgehen sollte.
„Um vorneweg schon mal eines klar zu stellen. Du bist mein bester Freund und warst es schon immer. Daran hat sich nichts geändert und es gibt nichts, das diesen Fakt jemals ändern könnte", sagte Hermine sanft und ihr Herz machte einen erleichterten Hüpfer, als sie sah, wie sich bei ihren Worten ein kleines Lächeln auf seine Lippen legte und er kaum wahrnehmbar die angehaltene Luft aus den Lungen ließ. „Aber...", fuhr Hermine fort und sofort weiteten sich seine Augen merklich.

„Ja ich weiß, das darf nicht wieder vorkommen und es tut mir wirklich Leid, dass ich dich so überrumpelt hab. Ich weiß nicht was mit mir los war und überhaupt...", unterbrach Harry sie nun, doch Hermine deutete ihm mit einem Grinsen und einem erhobenen Finger, sie aussprechen zu lassen.

„...ABER wir können nicht einfach totschweigen, was passiert ist. Dazu sind wir beide nicht gemacht, um so etwas einfach zu ignorieren und zur Tagesordnung über zu gehen."

Harry sackte auf ihre Worte hin ein klein wenig in sich zusammen und nahm einen Schluck aus seiner Tasse.

„Ich fühle mich miserabel, Hermine", gestand ihr bester Freund ihr nun kleinlaut, während er die Tasse wieder mit einem dumpfen Geräusch zurück auf den Tisch stellte und anfing, nervös seine Finger zu kneten. „Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los ist."

Hermine seufzte erneut und griff über den Tisch um seine Hände voneinander zu lösen und in ihre eigenen zu nehmen.

„Harry, hör mir zu. Ich weiß was los ist. Es ist ganz normal, dass alles, was im letzten Jahr passiert ist, Spuren hinterlassen hat und das, was mit dir los ist, nennt sich Heilung. Deine Seele versucht zu heilen und sucht Zerstreuung. Das ist nichts Verwerfliches, sondern ein Prozess."
Sie musste schmunzeln bei dem Blick, den er ihr nun zuwarf, ganz, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen.

„Hast du das in einem Buch gelesen?", wollte er nun seinerseits leicht grinsend wissen und Hermine schnaubte leise.

„So ähnlich."

Für einen kurzen Moment legte sich ein einvernehmliches Schweigen über die Küche und Harry löste nun seine Hände aus ihren um erneut etwas zu trinken und Hermine tat es ihm gleich. Sie haderte mit sich, ob sie die nächsten Worte tatsächlich aussprechen sollte oder nicht, denn das könnte alles zwischen ihnen ändern, auch, wenn sie klargestellt hatte, dass er immer ihr bester Freund bleiben würde, egal was zwischen ihnen passiert war. Sie hatte es ernst gemeint. Hermine konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendetwas gab, was ihre Freundschaft zerstören konnte. Darum wagte sie es einfach und sprach nun ihre nächsten Worte leise aus. „Und mir tut es nicht leid, dass wir uns geküsst haben. Ich dachte, das solltest du wissen."

Sie hatte keine Ahnung, womit sie gerechnet hatte, doch sie hatte auf jeden Fall nicht damit gerechnet, dass er nun die Augen aufriss und sie anstarrte, als hätte sie gerade etwas total abwegiges gesagt. Sie wollte ihn jedoch nicht anlügen und sie hielt auch nicht besonders viel davon, sich selbst zu belügen. Es tat ihr nicht leid. Es war jedoch seltsam, ihm hier gegenüber zu sitzen, nachdem sie vor nicht einmal einer halben Woche zusammen im Bett gelegen und rum geknutscht hatten. Sie musste zugeben, dass sie in Harry nicht mehr nur ihren besten Freund aus Kindertagen sehen konnte, der Zug war abgefahren. Sie hatte an diesem Abend seine Seele gesehen. Den schwarzen Schatten in seinen Augen, als er ihr gesagt hatte, dass es ihm immer noch egal sei... Allein wenn sie daran dachte, wie ungezügelt er sich nur bei einer Knutscherei verhielt, machte, dass sie ganz schwummrig wurde bei dem Gedanken daran, zu was er wohl sonst noch fähig wäre.
Sie gab jedoch ganz allein Draco Malfoy die Schuld daran, dass sie zwischenzeitlich solche Gedanken hatte, wenn sie Harry gegenüber saß, denn der hatte ihr diesen Floh überhaupt erst ins Ohr gesetzt.
Richtig sauer konnte sie auf den blonden Malfoy Spross jedoch auch nicht sein, schließlich war sie unterm Strich komplett selbst verantwortlich für ihre Handlungen.

Harry starrte sie zwischenzeitlich immer noch an und wusste offenbar nicht genau, was er dazu sagen sollte. „Und... was bedeutet das nun?", wollte er vorsichtig wissen und sah sie durchdringend an.

Ja, was bedeutete das nun? So genau wusste Hermine das leider auch nicht. „Ich weiß es nicht, Harry. Aber für den Moment wäre ich einfach nur sehr froh, wenn nichts mehr zwischen uns steht und wir uns nicht mehr weiter aus dem Weg gehen. Bekommen wir das hin?"

Das ehrliche und aufrichtige Lächeln, das er ihr darauf nun schenkte, war mehr, als sie sich erhofft hatte und für einen kleinen Moment schien die Achterbahnfahrt ihres Lebens an Geschwindigkeit zu verlieren.

***

Er war nun schon seit vier Tagen bei Blaise und Draco spürte, wie diese Auszeit von seinem derzeitigen Leben ihm gut tat. Seelisch. Körperlich konnte er nicht gerade sagen, dass er sich mit Ruhm bekleckerte, denn sein sich selbst auferlegtes Sportprogramm zog er nur selten durch und abends durch diverse Bars und Clubs zu ziehen und eindeutig zu viel zu trinken, um diese Abende zu überleben, war jetzt nicht etwas, dass ihm körperlich entgegen kam. Dennoch, die Tage fernab des Manors sowie fernab von Granger und dem ganzen Drama, das sie mit sich brachte, waren notwendig gewesen, um sich über einige Dinge klar zu werden.

Nachdem er Blaise in groben Zügen erzählt hatte was in seinem Leben derzeit so los war, war dieser aus allen Wolken gefallen. Zabini hatte es ihm einen kompletten Tag lang nicht geglaubt, was er ihm erzählt hatte, war zwischenzeitlich aber der Meinung, dass Draco eindeutig zu angetan war von der ehemaligen Gryffindor Streberin und er sich aus diesem Grund ganz schnell wieder Ent-Grangerfizieren musste. Aus diesem Grund hatte Blaise ihn auch, ohne auf seine Proteste zu achten, ins Nachtleben Cornwalls geschleift in der Hoffnung, Draco würde irgendwen aufreißen. Prinzipiell war dieser Plan durchaus nicht der schlechteste. Es gab nur zwei Haken bei der Sache: er hasste Diskotheken und er hatte kein Bedürfnis, sich eine andere außer Granger ins Bett zu holen. One night stands waren anstrengend und gerade bei seinen zweifelhaften Vorlieben musste man schon Glück haben, jemanden zu finden, der nicht ganz so zimperlich war. Er hatte keine Zeit für so einen Bullshit. Wobei Zeit vermutlich eher nicht das Problem war, wenn er genauer darüber nachdachte.

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