Teil 25

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Es gab schon immer verschiedene Arten mit dem Tod umzugehen. Früher, im alten Ägypten, hat man die Toten mumifiziert. Man hat die Toten erst mit wasser gesäubert, ihnen das Gehirn durch die Nase entnommen und die entstandene Leere mit Leinentüchern gefüllt... Man konservierte die Toten in dem Glauben, dass im Jenseits ein erhaltender Körper notwendig wäre. Die Verstorbenen mussten nach ihrem Glauben einen langen und gefährlichen weg bereisen, um in den "seligen Gefilden" sein nächstes Leben anzutreten.
Im antiken Griechenland und Rom hat man die Toten entweder in einem Steingrab mit Grabbeigaben beerdigt oder auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Damals glaubten sowohl die Griechen und Römer, dass nach dem Tod die Seele des Toten den Fluss Styx überqueren mussten, um in die Unterwelt zu gelangen.
Die Wikinger hingegen haben ihre Toten auf ein Boot ins Wasser gelegt, mit Werkzeugen die ihren Beruf oder Schmuck die ihren Stand widerspiegelten. Danach schoss ein Bogenschütze mit einem Brennenden Pfeil auf das Boot, welches dann auf dem Wasser verbrannte. Einige reiche Wikinger wurden sogar in einem Schiff begraben, dieses konnte ihren Glaubens nach noch im Jenseits verwendet wurde. Der nordischen Mythologie zur Folge glaubten die Wikinger an vier Arten des Jenseits. Walhalla, ein Reich in welches nur die toten Helden und Krieger gelangen. Es sei angeblich eine große Halle in Asgard, dem Reich der nordischen Götter, welche Odin, dem König der nordischen Götter gehörte. Die andere Reiche waren: Folkvangr, das Reich der nordischen Göttin Freya. Helheim, das Reich der nordischen Göttin Hel. Ran, das Reich der Riesin Ran und Helgafjell, ein Reich in dem die Toten ein Leben führten, das dem der Lebenden ziemlich ähnlich ist, vereint mit ihren Liebsten.

In der Geschichte gab und gibt es hunderte Mythen über das Reich der Toten und aberhunderte bestattungsarten. Jede Religion, jeder Glaube und jede Mythologie ist einzigartig, aber im Grunde hatten alle unteranderen den selben Zweck. Sie sollten den Menschen die Angst vor dem Tod nehmen.

Nach Lees Tod habe ich viel über den Tod und das Jenseits gelesen. Mir fiel es schon immer schwer an etwas zu glauben, was ich nicht sah oder was nicht eindeutig belegt wurde. Für mich war der Glaube immer etwas suspektes, etwas das nicht wahr sein konnte. Versteht mich nicht falsch, ich beneide Menschen die das können. Ich beneide Leute, die ohne einen Beweis an Gott glauben konnten. Und auch wenn es heuchlerisch ist, stellte ich mir gerne vor wie Lee an irgendeinem schönen Ort glücklich in der Sonne sitzt oder sich mit seinen Großeltern unterhält oder was auch immer.... Nach einem Jahr habe ich tausende von Szenarien dieser Art in meinem Kopf erstellt. Ich möchte daran glauben. Ich will es so sehr, aber ich weiß nicht wie. Manchmal ertappe ich mich dabei wie ich ihn mir in einer schwarzen Leere verschwinden sehe und erschrecke vor mir selbst. Ich kann es einfach nicht abstellen. Ich möchte daran glauben, weil ich nicht wahr haben will, dass Lee wirklich fort ist, dass ich ihn wirklich nie wieder sehen werde.

Vor einigen Monaten ist mir im Park mal eine Frau begegnet. Sie war nur ein paar Jahre älter als ich, aber sie glaubte an Gott. Sie war Muslimin, trug ein Kopftuch und betete fünf Mal am Tag. Sie war freundlich und unglaublich hilfsbereit. Ich weinte und sie setzte sich zu mich. Ich wusste nicht wie sie bermerkte, dass sie mich erst ausweinen lassen sollte, aber sie nahm mich in den Arm und gab mir Taschentücher, um meine Tränen zu trocknen. Doch sie sagte etwas, dass hängen geblieben war, sie sagte, dass der Glaube nur deshalb Sinn ergibt, weil es keinen Beweis für ihn gäbe. Gäbe es einen Beweis, würde es nicht Glaube heißen. Einen Glauben mit Beweisen gibt es nicht.

"ALISSON!" schrie eine altbekannte Stimme über den Flur der Schule.

Instinktiv zuckte ich zusammen und drehte mich mit zusammengepressten Augen zu meinen wütenden Bruder. Meine Freunde wieder in Alarmbereitschaft. Das hört wohl nie auf oder?

"Warum kann er es nie sein lassen?" fragte John durch zusammengebissenen Zähnen.

Mein Bruder blieb vor mir stehen und hob drohend seinen Finger: "Du kommst heute noch zurück! Mum und Dad kommen morgen zurück und wenn du bis dahin nicht wieder zuhause bist, werde ich dir persönlich die Hölle heiß machen!"

"Ich will aber nicht! warum sollte ich auch?" fragte ich gereizt, was James nur zum explodieren brachte.

"Mir ist scheißegal, ob du es willst oder nicht, es geht hier um meinen Arsch!" Brüllte er mich harsch an.

"Also sind deine Bedürfnisse wichtiger als meine?!"

"JA! Verdammte scheiße noch einmal, mir ist scheißegal, was du willst oder nicht, du kommst zurück!" fauchte er und stach mir damit direkt ins Herz. Ich habe es immer gewusst, aber er hat es nie ausgesprochen. Er hatte es immer geleugnet, deshalb hatte ich immer ein winziges Stück Hoffnung in mir. Hoffnung, dass er mich vielleicht doch liebte.

Ich stockte und wich vor ihm zurück: "Okay." flüsterte ich erstickt und nun verschwand das letzte Bisschen Hoffnung. Meine Liebe und Zuneigung für ihn schrumpfte plötzlich auf ein Minimum, welches ich kaum noch wahrnahm und das tat weh!

"Ali, ich-" begann er und kam auf mich zu.

"FASS MICH NICHT AN!" schrie ich, während Tränen meine Wangen runterrollten "Ich komme zurück, aber du solltest mich die nächsten Wochen besser nicht ansprechen!" spuckte ich ihm entgegen und verschwand dann auf die Mädchentoilette.

"Ali?" fragte Adi zaghaft und kam langsam auf mich zu, doch ich begann bloß zu schreien und mir die Ohren zu zuhalten.

"Nenn mich nicht so!" flehte ich verzweifelt "Bitte, nenn mich nicht so! Ich kann diesen Namen nicht mehr hören!" sagte ich unter Tränen.

"Okay, okay, ist gut!" versuchte Han mich zu beruhigen und hob beschwichtigend ihre Hände "Mel," begann sie und sprach mich wenigstens mit meinem Zweitnamen an "es wird alles gut! Wir stehen hinter dir, aber du musst dich jetzt beruhigen! Du kannst hier in der Schule keinen Ausraster bekommen, nicht wenn du noch immer deine Noten aufbessern willst. Das kommt nicht gut an!" erklärte sie mir im ruhigen Ton, vermutlich weil sie wusste, dass mir bei einem emotionalem Zusammenbruch oft die Logik als Halt oder Zuflucht diente.

Aufgebracht nickte ich und ging aufgebracht die Kabine runter und rauf, während ich mich auf meine Atmung konzentrierte. Dennoch brach ich schließlich in der Ecke zusammen und begann erneut zu weinen. Meine Freundinnen kamen direkt zu mir und nahmen mich von beiden Seiten in den Arm.

"Ich... ich verstehe es nicht... Was habe ich ihm nur getan?" schluchzte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

"Er ist ein Idiot und hat dich nicht verdient!" fauchte Han hart.

"Han!" zischte Adi sie von der Seite an "Aber Mel, sie hat recht. Er hat dich nicht verdient. Er hat dich mehr als einmal verletzt, er verdient keine einzige deiner Tränen!" sagte Adi sanfter.

Erst nach einer viertel Stunde hörte ich auf zu weinen, auch wenn ich weiterhin schluchzte und meine Augen geschwollen und rot waren, aber ich hatte etwas für mich beschlossen. Nie wieder. Nie wieder werde ich zu lassen, dass er mich verletzt. Weder er noch meine Eltern sollen die Macht haben mich je wieder zum weinen zu bringen!

Der rästliche Tag war komisch. Ich ging zwar zurück nachhause, aber es war als wären all meine Gefühle für James ... abgeschaltet. Aber nicht so, als wäre ich wütend, sondern als wäre es... er, mir egal. Zuhause schloss ich mich meist in mein Zimmer. Als meine Eltern schließlich kamen ändert sich daran auch nichts. Sie aßen eh lieber ohne mich im Wohnzimmer und ansonsten waren sie ja so gut wie nie da. Oft war ich schon am schlafen, wenn sie von der Arbeit zurückkamen.

Insgesamt ging es mir aber eher besser. Selbst im Unterricht konnte ich mich mehr konzentrieren. Im Augenwinkel sah ich wie Adi mich besorgt musterte, weshalb ich schnell meine Hände zu Fäusten ballte, um die Erinnerungen zu verdrängen. Sie hatten Recht. Mein Bruder war ein riesen Arsch! Er tat mir nicht gut, tut mir weh und er sieht es, aber macht trotzdem weiter. Ich musste Oliver schon zwei Mal zurückhalten ihm keine zu verpassen und das nur heute! Aber am liebsten würde ich ihm ja auch alles an dem Kopf werfen, allerdings ist er wohl oder übel noch immer mein Bruder. Außerdem würde er mir doch eh nicht glauben und mich deswegen nur bei unseren Eltern verpfeifen.

Die nächsten Tage ging ich ihm strikt aus dem Weg, lebte mein Leben ohne ihn, so gut es ging. Adi und Oliver holten mich fast jeden Morgen ab, um mich zur Schule zu fahren oder ich ging alleine. Das war inzwischen sogar der liebste Teil meines Tages. Mit Kopfhörern alleine die Straße entlang zu gehen. Um ehrlich zu sein vergingen zwei Wochen schon lange nicht mehr so schnell. meine Freunde und selbst Leslie halfen mir. Letztere hatte nun auch verstanden, dass ich nicht darüber reden will und dass mein Bruder ein Idiot war. Aber sie half mir nun wieder mehr zu lachen und war jetzt sogar eine gute Freundin. Meine erste normale Freundin. Kaum zu glauben oder?

Gebrochenes HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt