30 | Verzeih mir

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- LILLY -

Jetzt war auch ich baff. Und auch mein gesamtes Team. Mura und Kokuo sind die Eltern von Shinyo und diesem Hangyaku? 

"Nein... ihr seid unsere Eltern? Und warum hast du dich dann nie blicken lassen?!", Shinyo zeigte auf seine Mutter, "Und du? Du hast es nicht mal für wichtig gehalten, dass ich weiß, wer mein Bruder ist?!", nun zeigte er auf seinen Vater, "Ein paar schöne Eltern seid ihr. Eure Kinder einfach jahrelang hinter dem Baum stehen zu lassen und ihnen nichts zu erzählen."

"Shinyo, bitte. Wir können das erklären. Es ist nicht so einfach, wie du-"

"Ach, das kann doch mir egal sein, wer meine Eltern sind und was sie verbrochen haben, dass sie zwei Söhne und nur ein halbes Gehirn haben!"

Shinyo war unbeschreiblich wütend. Ich wäre es auch. Jahrelang mit Menschen zusammenleben, oder auch nicht, die sich aber dann als deine Verwandten entpuppen. Ich meine, meine Familiengeschichte war schon nicht rosig, aber das hier toppt nochmal alles. 

Niemals habe ich Shinyo zugetraut, so auszurasten. Der hingegen setzte sich jedoch nur auf die halbwegs verkokelte Erde und legte seine Arme um seine herangezogenen Knie.

"Du willst die Geschichte jetzt sicher nicht hören, aber ich erzähle sie dir trotzdem und zwar, weil ich sie dir schulde", sagte Kokuo dann.

"Vor etwa 18 Jahren haben Mura und ich uns kennengelernt. Damals waren wir noch keine Oberhäupter und haben uns viel zu frei auf der Insel bewegt. Zu dieser Zeit verstanden sich die Oberhäupter der Dämonen und Menschen wenigstens noch etwas, doch lange nicht so viel, dass man sich einfach mit der anderen Rasse hätte treffen können. Doch Mura und ich machten es trotzdem."

"Wohl ganz vom Typ pubertierender Rebell, was?", fragte Shinyo ironisch.

"Das beschreibt es wohl ganz gut. Während vieler neutraler Treffen zwischen den Oberhäuptern der beiden Reiche, wurden wir beide als zukünftige Stammesführer immer mitgenommen. Und so haben wir uns kennengelernt, angefreundet und letztlich in einander verliebt. Wir trafen uns heimlich, bis ich eines Tages merkte, dass ich schwanger geworden bin", fügte Mura hinzu.

"Uh, dramatische Wende", Shinyos Sarkasmus erinnerte mich fast ein wenig an Kais.

"Jedenfalls entschieden wir uns dazu, das Kind, im nachhinein betrachtet wohl eher die Kinder, auszutragen. Nur wenige Leute wussten von unserem Geheimnis. Als wir dann Stammesführer wurden, hatten wir ein Problem. Wenn das Volk herausfände, dass ihr Oberhaupt untreu gegenüber dem Reich war und illegal Kinder zeugte, würden wir abgewählt werden und die Insel wäre im Chaos versunken. Zumindest war das meine Sorge. Kokuo wollte offen zu seinem Volk sein und es diesem erklären, auch um euren Willen. Doch ich war dagegen. Und so kam es zum Streit zwischen uns", sagte Mura.

"Ich hab mich dann dazu entschieden, es so aussehen zu lassen, als hätte ich euch aufgenommen. Mit den Jahren, die verstrichen, und ihr immer älter wurdet, dachte ich, dass ich euch das niemals sagen könnte und müsste. Bis zum heutigen Tag", beendete Kokuo den Vortrag.

"Das mit deiner Offenheit hat ja klasse funktioniert, Vater. Und du hast dich mehr um deinen Ruf und dein Reich gesorgt als um deine eigenen Kinder?! Hättet ihr mir diese Story schon früher erzählt, hätte ich euch auch nicht zum Stammesführer gewählt", sagte Shinyo.

"Bitte verzeih uns-"

"Das kann ich erst, wenn es Yaku tut", unterbrach Shinyo seine Eltern und sah ihnen tief in die Augen. Seine Miene konnte ich nicht deuten.

Geschockt, wie wir alle waren, entging uns fast das plötzliche Gepolter am Fuße des Stützpunktes. Eine Tür wurde aufgebrochen. Als ich endlich erkennen konnte, wer es war, der diesem Radau veranstaltete, musste ich breit lächeln.

"Kai", sagte ich glücklich.

Dass neben ihm noch eine Person aus dem Gebäude hastete, bemerkte ich erst als Shinyo seinen Namen hauchte: "Yaku."

Die beiden Vermissten taumelten ein paar Schritte vorwärts und stützten sich auf ihre Knie, als sie heftig husteten. Mein Bruder stellte sich neben mich mit einem ebenfalls lächelndem Blick. Er rief den beiden von oben zu und symbolisierte ihnen, dass sie hier her kommen sollten. Hangyakus Kopf hob sich währenddessen. Er sah zu uns und dann zu Kai.

Die Beiden bewegten sich kurz darauf in unsere Richtung. Schon daran, wie sie sich bewegten, erkannte man, dass sie einen harten Kampf und viel Qualm hinter sich hatten. Vor allem Kai hatte es erwischt.

Auch Lloyd erkannte das, als er den kleinen Hügel, auf dem wir standen, herunterlief und seinen Kumpel stützte. Shinyo neben mir war erst erstarrt, doch dann schnellte auch er in diese Richtung und blieb vor Hangyaku stehen. Einen Augenblick später legte auch der Weißhaarige den Arm seines Bruder über seine Schultern und half ihm beim Gehen.

Nach wenigen Minuten erreichten die Vier uns. Ohne zu wissen, was ich tat, rannte ich zu Kai und zog ihn in eine feste Umarmung. Während er diese erwiderte, ließ uns Lloyd erstmal allein.

"Du hast überlebt. Ich bin so verdammt glücklich darüber", nuschelte ich in sein nach Rauch stinkendes Shirt.

"Es tut mir leid, Lilly."

Ich löste mich aus der Umarmung und sah in seine dunkelbraunen Augen. Sie sahen so erschöpft aus. Er sah so erschöpft aus. Seine Haare waren ein einziges Wirrwarr und nassgeschwitzt, seine Kleidung war zerrissen, Blut quoll an mehreren Stellen aus seinem Körper. Er roch nach Feuer, Glut, Asche, Zerstörung, Qualm.

"Ich war so ein Idiot. Ich hätte dich nach dem Kampf im Dorf nicht so angehen dürfen. Ich hätte dich nicht ignorieren sollen. Ich hätte dich nicht wegen der Kriegspläne anschreien sollen. Und schon gar nicht hätte ich dich allein lassen dürfen. Es tut mir so leid, Lilly. Ich wünschte-"

Da legte ich ihm meine Lippen auf seine. Meine Hand berührte seine blutige Wange. Ich schloss meine Augen und ließ mich einfach treiben. Diesen Moment habe ich so sehr vermisst. Diesen Moment, wenn wir uns einfach bedingungslos lieben. Diesen Moment, wenn es nur uns beide auf der Welt gibt. Diesem Moment, wenn ich nichts sehnsüchtiger spüren will als ihn.

Langsam löste ich mich von meinem Freund und öffnete die Augen. Kai war erstaunt, schien das, was gerade passierte, aber nicht zu bereuen. Sein Blick wurde sanfter und verzog sich zu einem Lächeln.

"Ich denke, wir waren beide Idioten. Lass uns das einfach vergessen und uns auf das Jetzt konzentrieren. Ganz ohne einen zerstörerischen Krieg, einen manipulativen Lord oder ein verfeindetes Miteinander. Einfach nur wir, wir alle", sagte ich glücklich mit einem Seitenblick auf all unsere Freunde.

"Wo auch immer du hingehst, ich werde dir folgen, Anführerin", sagte er noch, bevor er bewusstlos in meine Arme fiel.

...

𝗪𝗲𝗻𝗻 𝗱𝗶𝗰𝗵 𝗱𝗮𝘀 𝗦𝗰𝗵𝗶𝗰𝗸𝘀𝗮𝗹 𝗲𝗶𝗻𝗵𝗼𝗹𝘁 || ɴɪɴᴊᴀɢᴏ ғғWo Geschichten leben. Entdecke jetzt