27 | Seitenwechsel

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- KAI -

Der Kampf zwischen mir und Hangyaku zog sich schon einen ganzen Tag lang, bis uns die Puste ausging. 

Träge ließen wir uns an zwei gegenüberliegenden Felswänden nieder. Ich atmete hastig. Mir schien der Sauerstoff zu fehlen. Als würde mir gerade die Lunge abgeschnürt werden. 

Dieser Kampf war nicht vergleichbar mit denen, die wir normalerweise gegen Dämonen führten. Hier ging es viel mehr ums Prinzip. Darum, wer am längsten durchhalten würde. Darum, wer die größte Macht besäße. Darum, wer sich am Ende durchsetzen konnte.

Unentschieden.

Es gab keinen Gewinner. Nur zwei jämmerliche Kindern, die gegen ihren eigenen Körper verloren. All die Spiele darum, wer größer sei, waren sinnlos. Doch in einer Hinsicht nutzte mir dieser Kampf etwas: Ich konnte mehr über Hangyaku herausfinden.

"Hast du endlich genug?", fragte ich.

Mein Gegenüber keuchte nur heftig. Er war die Art von Person, die nicht genug von Streitereien bekommen konnte und sich immer weiter hineinsteigerte. Er war impulsiv, angriffslustig und ehrgeizig. Er wollte dieses Gefecht auf keinen Fall verlieren. Und es machte ihn noch wütender als er es doch tat.

Er glich der personifizierten Wut. Er wollte seine Prinzipien um jeden Preis durchsetzen. Er war so vulgär, so provokativ, so direkt in seinen Worten. Wie ein Teenager, der sich nicht unter Kontrolle hatte und einfach das sagt, was ihm als erstes in den Sinn kommt. Und das ohne Entschuldigung. 

Hangyaku schien alle zu verachten. Seine Feinde, seine Verbündeten und besonders seinen Befehlshaber. Der Hass brodelte förmlich in ihm, als ich Garmadon auch nur einmal erwähnte. Er wollte sich nicht unterwürfig fühlen. Er wollte groß und stark und unabhängig sein, so wie er es sich erträumte. Doch der jetzige Krieg macht ihm damit einen Strich durch die Rechnung.

"Noch lange nicht, du Flammenwerfer", antwortete Hangyaku schließlich auf meine Frage.

"Siehst ganz schön erledigt aus."

"Fass dir mal lieber an die eigene Nase."

"Warum unterwürfst du dich Garmadon?", fragte ich so plötzlich, dass sich die Augen meines Gegenübers kurz weiteten.

"Ich unterwerfe mich ihm nicht", brummte er.

"Ach ja? Warum stehst du dann auf seiner Seite?"

"Du nervst."

"Warum, Hangyaku?"

"Schnauze!"

"Sag schon!"

"In deinen Träumen-"

"Wenigstens habe ich noch welche im Gegensatz zu dir! Du hast dich doch komplett aufgegeben und lebst nur noch für den Hass. Ist es nicht so?"

Sein Blick landete auf mir. Wut und Verachtung waren ihm ins Gesicht geschrieben.

"Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du dein ganzes Leben lang vernachlässigt wirst? Und dann kommt jemand, der dir verspricht, dich aufzunehmen und zum höchsten Tier zu machen. Würde es dich nicht auch dazu hinreißen, dem zu vertrauen, egal, wie hoch der Preis sein mag?"

"Du hast Garmadon vertraut, weil er dir geben konnte, wovon du geträumt hattest."

"Nur leider ist der werte Lord kein Mann, der seine Versprechen hält. Statt mich beachtet und machtvoll zu fühlen, machte ich nur seine Drecksarbeit und nichts blieb für mich übrig. Seine Ziele? Am Arsch mit seinen ewigen Plänen und Reformen! Die werden uns alle ins Verderben stürzen. Da sterbe ich lieber als alleiniger Verräter."

"Du hast nicht nur deinem Vaterland den Rücken gekehrt, sondern auch deinem vermeintlichen Retter. Respekt. Doppelverrat."

"Schnauze!!"

"Und was ist mit Shinyo? Wie passt er in deine Geschichte?"

"Er war es, warum ich mich vernachlässigt gefühlt habe. Ich kenne dieses Weichei schon seitdem wir klein sind und immer wurde er in den Himmel gehoben. Als zukünftiger Stammesführer wurde immer er beachtet und ich als der kleine unbedeutende Narr wurde links liegen gelassen. Schon scheiße, wenn sich die ganze Welt um deinen Sandkastenfreund dreht."

"Du warst neidisch. Deswegen hast du dich Garmadon angeschlossen. Du wolltest eine bedeutende Zukunft haben."

"Wird das jetzt zum Verhör, Ninja?"

"Keine Ahnung, wie du das nennen willst. Fakt ist aber, dass du nicht zur bösen Seite gehörst."

"Denkst du ernsthaft, dass ich das nicht schon selbst rausgefunden hab?!"

"Schließ dich uns an! Nicht für Shinyo oder Kokuo oder mich, sondern einzig und allein für den Frieden. Dafür, dass du nicht alleine sterben musst, denn wenn ich eins gelernt habe, dann dass Alleinsein unglücklich macht."

"Was interessiert mich das schon?!"

"Du sehnst dich nach einer Familie, nach Geborgenheit. Danach, dass jemand nach dir sieht und dir beisteht. Du warst dein ganzes Leben lang allein, du hast es satt. Mach deine Augen endlich auf und triff die richtige Entscheidung, du Idiot! Hier geht es um viel mehr als dein Sterben!"

Hangyaku wurde still. Er senkte den Kopf und sah traurig aus. Ich meine sogar, ich habe eine Träne gesehen, die seine Wange hinabfloss. Jetzt war für ihn die Zeit, eine der wichtigsten Entscheidungen seines Lebens zu treffen. Schreckensherrschaft oder Weltfrieden.

"Nur damit du's weißt, ich hasse dich, Kai Smith."

"Ich hab nichts anderes erwartet."

Ein leichtes Lächeln überkam mein Gesicht. Langsam erhob ich mich und versuchte mich in Hangyakus Richtung zu schleppen. Zwei Schritte, drei Schritte, vier Schritte... ich fiel mit einer schmerzverzerrten Miene auf die Knie.

"Dich hat's wohl ganz schön mitgenommen", sagte der Schwarzhaarige vor mir.

Mein Körper fiel hart auf dem kalten Steinboden. Meine Sicht verschwamm langsam. Ich hörte, wie sich jemand erhob, fluchte und sich vor mich kniete.

"Wenn du jetzt schlapp machst, bring ich dich um, du Arsch!"

Ich spürte, wie warmes Blut meinen Körper verließ. Es war eine Wunde am Bauch, die wohl bei unserem Kampf von vorhin entstanden sein muss. Sie machte es mir schwerer, wach zu bleiben und zu atmen.

Ich sah, wie Hangyaku Panik bekam und unruhig wurde. Kurz darauf schloss ich meine Augen. Ich spürte, wie man mich auf den Rücken legte und mir etwas um den Bauch band.  Als diese Schlinge eher gezogen wurde, keuchte ich kurz auf, bevor ich merkte, dass der Blutverlust allmählich gestoppt wurde.

Nach einer Weile Bewusstlosigkeit, öffnete ich wieder meine Augen und richtete mich auf, so gut es ging. Hangyaku saß neben mir und schärfte seine Klinge. 

"Das bleibt unter uns", sagte er.

Ich wusste erst nicht, was er meinte, doch dann wurde es mir klar. Er hatte mir das Leben gerettet. Prinzessin Hangyaku war sich wohl zu fein von seinem hohen unerreichbaren Ross abzusteigen und zuzugeben, dass er einem Ninja geholfen hat.

"Danke."

"Jetzt werd' ja nicht sentimental. Dann bring ich dich wirklich um."

Hangyaku hatte wirklich die Seite gewechselt. Zwar war er immer noch launisch und impulsiv, doch das war mir egal. 

"Sag mal, warum hast du drauf bestanden, dass ich die Seite wechsle? Hattest du etwa Schiss, dass ich dich fertig machen könnte?"

Ich legte mich wieder auf den Boden zurück.

"Ich bin nun mal ein Ninja und will den Leuten helfen, also auch dir. Und fürs Protokoll: Du hättest mich nicht fertig gemacht."

"Ich glaube doch."

"Niemals."

...

𝗪𝗲𝗻𝗻 𝗱𝗶𝗰𝗵 𝗱𝗮𝘀 𝗦𝗰𝗵𝗶𝗰𝗸𝘀𝗮𝗹 𝗲𝗶𝗻𝗵𝗼𝗹𝘁 || ɴɪɴᴊᴀɢᴏ ғғWo Geschichten leben. Entdecke jetzt