Kapitel 34

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Ich stand eine Stunde in Kings Cross, bis ich beschloss, mit einer Kutsche nach Hause zu fahren.

Ich konnte einfach nicht glauben, dass meine Mutter mich hier alleine ließ, aber sie hatte es wirklich getan. Vielleicht hatte sie mich vergessen, vielleicht hatte sie zu viel zu tun, es war im Grunde egal.

Die Fahrt in der Kutsche war holprig, ich hatte eine von denen, die weniger kosteten und dementsprechend war auch der Komfort. Ich war bloß froh, dass ich mein Gepäck nicht zwei Stunden bis zum Cottage tragen musste. Da die Fahrt jedoch trotzdem fast eine Stunde dauerte, beschloss ich, ein Buch zu lesen.

Ich konnte mich kaum konzentrieren, so wie es ruckelte, doch ich schaffte es, ein paar Seiten weiter zu kommen bis die Kutsche stoppte.

Ich würde noch durch die kleine Gasse zum Cottage gehen müssen, weil dort keine Kutsche entlangkam, aber es war nicht so weit. Es war zwar bereits dunkel, aber ein einfaches "Lumos" reichte aus und die Gasse war erhellt. Ich trug meinen Koffer in der Hand und ließ den Rest vor mir herschweben, alles ganz einfach. Es war wundervoll einfach, zaubern zu können, ohne Angst vor Konsequenzen haben zu müssen.

Als ich am Zaun des Cottages ankam, überkam mich ein seltsames Gefühl, nicht zuletzt deswegen, weil trotz der fehlender Sonne am Himmel kein Licht im Haus brannte. Die Tür stand ebenfalls offen. Ich ließ mein Gepäck sinken und nahm meinen Beutel, in dem ich meine nötigsten Sachen hatte, in die linke Hand, meinen Zauberstab in die Rechte.

"Nox", hauchte ich und das Licht meines Zauberstab ging aus, wenn dort jemand drin war, der nicht eingeladen war, sollte er mich nicht sehen.

Ich machte vorsichtige, kleine Schritte, setzte einen Fuß vor den anderen und achtete auf jeden Zweig und jeden Stein, der auf dem Boden liegen könnte.

Die Tür war sperrangelweit geöffnet. Man konnte zwar nicht viel sehen, weil durch die Fenster natürlich kein Licht mehr schien, aber als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich das Chaos.

Der kleine Esstisch war zertrümmert und die Stühle lagen verteilt im Raum, einem von ihnen fehlte die Lehne, der andere war nur noch eine Sammlung zusammengewürfelter Holzscheite. Bestenfalls Feuerholz.

Das alte Sofa, das vor dem Kamin stand, sah aus, als wäre es abgebrannt und das Porzellan, das auf dem Kaffeetisch gestanden hatte, lag in Scherben verteilt auf dem Boden. Vor mir flitze eine Maus aus dem Gerümpel und ich wich erschrocken zurück.

Sogar die Bilder an den Wänden waren beschädigt worden, es sah aus, als hätte jemand einen Feuerzauber auf sie angewendet.

Confringo, es sieht aus wie Confringo

Ich machte vorsichtig weitere Schritte, im hinteren Teil des Hauses war der Waschraum und auch hier war nichts mehr zu gebrauchen. Das Waschbecken lag zur Hälfte auf dem Boden, ebenso wie die Badewanne. Auf dem Boden war eine Pfütze und ich war mir nicht sicher, ob sie nur aus Wasser bestand, dem Geruch nach zu urteilen jedenfalls nicht.

Ich wagte kein Wort zu sagen, was war hier passiert?

Wo ist Mama?

Ich wollte sie rufen, aber wenn jemand hier war, dann wartete er nur darauf, dass ich einen Ton machte. Also langsam weiter. Mein Zimmer war das letzte vor dem, meiner Mutter. Zu meiner Überraschung waren die Möbel hier noch intakt, allerdings lagen meine Bücher verteilt auf dem Boden. Die Staffelei, die ich hier hatte, war umgekippt, aber noch ganz und die restliche Kleidung lag ebenfalls achtlos herum. So hatte ich das hier nicht hinterlassen.

Ich fing an zu zittern, ich hatte Angst, Panik, die schlimmsten Horrorgedanken fuhren durch mein Gehirn wie Messerstiche. Ich wagte nicht weiter zu gehen, aus Angst, was ich entdecken würde. Ich hoffte so sehr, dass ich falsch lag.

Ich musste mich zusammenreißen, vielleicht war nichts passiert, jemand war eingebrochen und hatte nach Schmuck gesucht, nach Wertsachen, die er verkaufen konnte.

Bitte, bitte, bitte.

Ich schlich mich an der Wand entlang zum Schlafzimmer meiner Mutter, die Tür war nur einen Spalt geöffnet, meine Angst drohte mich zu übermannen.

Du hast Hogwarts gerettet, komm schon

Doch nichts konnte mich darauf vorbereiten, was ich sah, als ich die Tür öffnete. Meine Kehle schnürte sich zu, alles drehte sich.

Ich wollte mich übergeben, ich wollte alles, was ich im Hogwarts Express zu mir genommen hatte, ausspucken.

Nein, nein, nein. Bitte!

Ich fiel auf die Knie, krabbelte auf die schmale, leblose Gestalt zu, die vor dem zertrümmerten Bett lag. Sie war eiskalt.

"Nein, nein bitte wach auf, tuh das nicht", meine Stimme war nichts als ein von Tränen getränktes Flüstern, ein Keuchen, ein Flehen.

Ich zog sie in meine Arme, versuchte verzweifelt, ein Lebenszeichen zu entdecken, eine Chance.

"Bitte", keuchte ich, doch es war vergeblich. Da war nichts.

Ich legte meine Hand an ihre leblose Wange, strich mit meinem Daumen darüber.

"Mama", hauchte ich und legte meine Stirn an ihre, "Bitte nicht, lass das einen Albtraum sein, bitte wach auf, bitte wach auf!", mein Gesicht war von Tränen überrannt, ich bekam kaum Luft. Sie durfte nicht tot sein, das konnte einfach nicht sein. Wieso? Warum sie?

Ich weiß nicht, wie lange genau ich so dasaß und sie im Arm hielt, über ihr Haar strich und sie wiegte, doch ich weiß das ich erst von ihr abließ, als das Licht bereits durch die Fenster schien.

Ich musste Antworten finden, ich durchsuchte jeden Schrank, jede verdammte Schublade, selbst das Gerümpel und die zerstörten Möbel drehte ich drei Mal um. Nichts.

Nach Stunden langem Suchen ging ich zurück zu ihr, versuchte Spuren an ihrem Körper zu finden, was sie getötet haben konnte, auch hier nichts, was nur eines bedeuten konnte.

"Der Todesfluch", hauchte ich. Das hier waren Zauberer gewesen, anders konnte ich es mir nicht erklären.

Ich sah zu dem, was sie von meiner Mutter übrig gelassen hatte. Ich konnte sie nicht so hier liegen lassen.

Meine Mutter war eine gläubige Frau gewesen und so hatte sie mich auch immer erzogen, doch im Gegensatz zu ihr hatte ich mir nie etwas daraus gemacht.

Jetzt musste ich ihr die letzte Ruhe so ermöglichen, so wie sie es sich gewünscht hätte.

Ich grub im Garten ein großes Loch, in das sie reinpassen würde, es war makaber sie einfach so dort hinein zu hieven, aber zu mehr war ich nicht in der Lage. Mit ein paar Zaubern, die ich im vergangenen Schuljahr gelernt hatte, entfernte ich den Schmutz von ihrem Kleid und dann ließ ich sie vorsichtig hinein schweben.

Mit den letzten Worten des Abschieds schüttete ich vorsichtig die Erde über ihren Körper, ich sang noch ein Lied für sie, das ihr gefallen hätte.

Ich würde gerne sagen, dass ich eine angemessene Zeit dort gestanden hatte, aber es waren wieder Stunden. Stunden, in denen ich weder aß, noch schlief, noch sonst irgendwelche Lebensnotwendigen Dinge tat. Ich war einfach nur da und wartete.

Ich wusste selbst nicht worauf ich wartete, ich hoffte noch immer, dass das hier ein übler Traum war, aus dem ich bald aufwachen würde. Ich wachte nicht auf, denn das hier war kein Traum.

Meine Mutter war tot.

Ich konnte nicht weiter hier bleiben, ich musste hier weg, bevor die, die sie getötet hatten, zurückkamen und dasselbe mit mir machten. Ich musste weg. Einen sicheren Unterschlupf finden und dann musste ich sie finden, musste die Leute finden, die meine Mutter auf dem Gewissen hatte.

Ich überlegte nicht lange, ich holte ein paar Sachen aus meinem Koffer und stopfte sie achtlos in meinen Beutel. Ein paar Zutaten für Tränke die ich noch dabei hatte. Meinen Schulumhang.

"Reparo", sprach ich und richtete meinen Zauberstab auf das Haus. Falls hier jemand vorbei kam, würde es so aussehen, als wären die Besitzer nicht da, den Rest meiner Sachen stellte ich samt Koffer ins Haus.

Mit einem letzten Blick kehrte ich dem Cottage den Rücken. Ich würde nicht mehr hierher zurückkommen.

Against the dark Hearts - German/DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt