GOODBYE MY FRIEND ( ONESHOT )

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Bis zu dem entscheidenden Tag, an dem Eddie und ich tatsächlich ein für alle Mal aus Hawkins verschwanden, vergingen tatsächlich noch dreieinhalb Wochen. Zuerst hatte der Tag unserer Abreise nicht schnell genug kommen können — doch in den vergangenen Tagen war das flaue Gefühl in meinem Magen zu einem Knäuel aus undefinierbarer Angst gewachsen. Angst vor der ungewissen Zukunft, die uns hinter dem Horizont erwarten würde. Angst davor, die Vergangenheit aus den Augen zu verlieren.
Doch was könnte ich schon anderes tun, als auch das nächste Abenteuer auf mich zukommen zu lassen?

"Kommst du, Mave?", brüllte eine mir nur zu bekannte Stimme durch den Trailer.
Aus meinen Gedanken gerissen blinzelte ich in das freundliche Sonnenlicht, dass zu meinem Fenster hereinschien.

"Mave, du hast Besuch!", rief mein Vater nur zwei Sekunden später und ich grinste in mich hinein. Robins lautes Organ war schwer zu überhören.
Ich erhob mich von meinem Bett und humpelte durch mein Zimmer bis in das Wohnzimmer des Trailers. Robin stand mit dem Rücken zu mir und wippte ungeduldig auf und ab.

"Hey", begrüßte ich meine Freundin mit einem Tippen auf ihre Schulter. Obwohl ich mich bemüht hatte, sie nicht zu erschrecken, zuckte sie kaum merklich zusammen.
Uns allen saß dieser letzte Kampf noch sehr in den Knochen. Bei Robin äußerte sich das in extremer Schreckhaftigkeit, bei Dustin in Fressattacken und bei mir... in dem Vertiefen in meine Hobbies.

"Erschreck' mich doch nicht so!", grummelte Robin und wandte sich zu mir um.
Dann wurde ihr Blick traurig. "Das ist unser letzter Tag zusammen."

"Unser vorerst letzter Tag", verbesserte ich Robin. Gespielt nachdenklich legte ich einen Finger an mein Kinn: "Spätestens zu meinem Geburtstag, deinem Geburtstag, Eddies Geburtstag, Steves Geburtstag, Dustins Geb—"

"—Es reicht, schon verstanden", nörgelte Robin, "Ich weiß, dass wir uns wiedersehen werden. Es fühlt sich nur so endgültig an."

"Oder wenn uns das Geld ausgeht", fuhr ich mit meiner Aufzählung fort, "Oder an Weihnachten. Oder—"

"Mave!", unterbrach Robin mich scharf, "Das ist nicht so witzig wie du denkst."

Grinsend warf ich mir meine Jeansjacke über die Schultern und schlüpfte in meine ausgelatschten Chucks. Mittlerweile musste ich nur noch einen dünnen Verband an meinem Knöchel tragen, weswegen ich wenigstens wieder ein vollständiges Paar Schuhe anziehen konnte.
"Also ich finde mich ziemlich lustig", widersprach ich ihr amüsiert.

Robin verdrehte die Augen. Dann öffnete sie die Tür und gleißend helles Sonnenlicht fiel in den Trailer.

"Wenn du auch nur halb so lustig wärst, wie du denkst...", seufzte sie gespielt dramatisch und warf mir einen belustigten Blick zu.
Ich rümpfte die Nase, aber akzeptierte, dass sie meinen Humor nicht ganz so witzig fand wie ich.

Als ich ihr nach draußen folgte, fiel mein Blick auf Eddies Trailer gegenüber. Seine Vorhänge waren noch zugezogen, was zweifellos an der intensiven D&D Session gestern Abend lag. Dann landete mein Blick automatisch auf der Schmiererei, die in blutroten Lettern unter Eddie's Fenster auf sich aufmerksam machte. Mörder stand dort in so schmuddeliger Handschrift, dass man
es kaum entziffern konnte. Daneben hatte der Vandale noch dekorative Teufelshörner hingemalt. Die waren ihm im Gegensatz zu dem Schriftzug außergewöhnlich gut gelungen. Der Anblick war nichts Neues. Es war immerhin eine gute Woche her, seitdem die neue Schmierei aufgetaucht war. Trotzdem verursachte sie ein dumpfes Gefühl in meiner Brust.
Ich wusste, dass besonders Wayne unter der Situation litt. Er war eigentlich ein recht beliebter Mann in Hawkins — doch seit den Ereignissen rund um Chrissy Cunninghams Tod wurde auch er gemieden wie die Pest. Dabei hatte er immer gerne seine Zeit in der Autowerkstatt um die Ecke verbracht.
Aber ab morgen würde das hoffentlich für Wayne und meinen Vater aufhören. Mit der Zeit würden die Menschen vergessen, dass sie uns für den Tod dreier Jugendlicher verantwortlich gemacht hatten.

(Die Tatsache, dass wir ganz offiziell von allen Anklagepunkten freigesprochen worden waren, zählte für sie ganz offensichtlich nicht.)

Aber all' das würden wir nun hinter uns lassen.

Morgen würden Eddie und ich losfahren. Ohne ein Ziel vor Augen. Ohne einen richtigen Job. Einfach nur wir zwei und die große, weite Welt.

"Hast du Angst?", fragte Robin unvermittelt und blieb stehen. Ihr Blick war nicht wie meiner an der Schmiererei hängen geblieben, sondern an dem Van.

"Angst", wiederholte ich, "Nein. Das nicht. Eher Respekt."

Robin schluckte. "Du weißt, du kannst jederzeit wiederkommen."

"Klar", lächelte ich, "Bevor wir auf der Straße leben, weil uns das Geld ausgeht, kommen wir zurück."

"Zur Not verstecke ich dich im Keller, so wie Elfie von den Kids versteckt wurde", plapperte sie, "Ich kann dir zwar nicht garantieren, dass mein Dad dich nicht total nerven würde weil er im Keller nämlich seine Modelleisenbahn stehen hat. Er liebt seine Modelleisenbahn wahrscheinlich mehr als mich. Aber dafür kocht meine Mum richtig gut. Apropos — hast du Hunger? Ich habe irgendwie Hunger! Sollen wir zu—"

"—Hey, Robin!", unterbrach ich sie schmunzelnd, "Kein Grund hysterisch zu werden."

"Sorry", sagte sie etwas atemlos, "Ich werde dich nur so vermissen."

"Und ich dich erst", erwiderte ich ernst.
Die Tatsache, dass wir in weniger als 24 Stunden Hawkins den Rücken kehren würden, war nun realer als je zuvor.

Robin warf mir einen traurigen Blick zu. "Ich hab' mich nie besonders gut mit anderen Mädchen in meinem Alter verstanden. Eigentlich auch nicht mit Jungs — du warst meine erste richtige  Freundin hier in Hawkins. Ich kanns' nicht fassen, dass du morgen einfach weg sein wirst."

Auf einmal hatte ich einen dicken Kloß im Hals.
So furchtbar die Dinge, die wir erlebt hatten, auch gewesen waren... Sie hatten uns zusammengebracht. Eine Gruppe von Chaoten, Außenseitern, Nerds und Freaks.
Wir waren zu einer großen, seltsamen Familie geworden. Zu einer Familie, in der die Mutter ein planloser 20-Jähriger war, der in einer Videothek arbeitete, weil er keine Ahnung hatte was er mit seinem Leben anstellen wollte. In der die Kinder Superkräfte hatten und Monster bekämpften, als hätten sie nie etwas anderes getan. In der es einen Haufen Tanten und Onkel gab, die nicht unbedingt mit ihren Fähigkeiten als Babysitter bestachen... 

Ein trauriges Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit. Ich würde sie vermissen, meine verrückte, große Familie. So sehr.

"Ich hab dich so lieb, Robin", sagte ich mit erstickter Stimme und merkte kaum, dass in meinen Augen Tränen schwammen.

Robin erwiderte nichts — das konnte sie in dieser Situation nicht mehr. Stattdessen fiel sie mir in die Arme.
Ich drückte Robin so fest ich nur konnte an mich. Das letzte Mal für eine lange Zeit.

RAINBOW IN THE DARK ( eddie munson / steve harrington )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt