Kapitel 10

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Owen

Emilia zitterte noch immer am ganzen Leib. Ihr Bruder hatte also definitiv recht gehabt, dass sie fremden Männern bis aufs äußerste misstraute. Das Misstrauen hatte ich ihr von Anfang an angesehen. Ihr Verhalten letztens im »the terror of evil« war demnach nur eine Ausnahme gewesen und hatte wohl mit ihrem alkoholisierten Zustand zu tun. Deswegen hatte ich ihr auch, ohne darüber nachzudenken mein Handy mitsamt dem Pin gegeben, falls sie die Polizei rufen wollte, wovon ich allerdings nicht ausging. Und wenn doch hatte sie wirklich einen ganz schönen Knacks weg.

Ich hielt ausreichend Abstand als ich ihr die Tür öffnete. Sie kletterte in den Wagen und schnallte sich eilig an. Dann umrundete ich das Auto, glitt auf den Fahrersitz und beobachtete im Augenwinkel, wie ihre Knöchel schon weiß hervortraten, so sehr klammerte sie sich an mein Telefon. Ich fuhr im Stillen Richtung ihrer Wohnung bis Emilia anfing zu sprechen. »Wie soll ich Sie eigentlich nennen?«, gefiel mir der Klang ihrer weichen, etwas unsicheren Stimme. »Owen reicht völlig«, warf ich ihr einen Seitenblick zu. Emilia allerdings sah starr aus dem Fenster und machte keine Anstalten sich mir zuzuwenden. »Okay«, nickte sie schwach, bevor sie abermals in Stille verfiel.

Ich gönnte ihr diese Ruhe, bis wir vor ihrem Wohnblock hielten. »Worüber wollten Sie eigentlich mit mir sprechen?«, drehte Emilia ihren Kopf schließlich doch in meine Richtung, sodass ich ihre braunen Augen, die noch leicht von Tränen glänzten, sehen konnte. »Kann ich nochmal kurz mit hoch kommen? Dann erkläre ich es dir dort«, ließ ich ihr augenscheinlich die Wahl, obwohl ich es trotzdem tun würde, auch ohne ihre Zustimmung. Ich sah, wie sie verschreckt zurück zuckte und ihre Augen unruhig die Umgebung abscannten. Sie zweifelte daran, ob sie mir wirklich vertrauen und zulassen konnte mich mit in ihre Wohnung zu nehmen.

Klugerweise stimmte sie meiner Idee zu, wenn es ihr auch nur wenig behagte. »Meinetwegen. Aber nur weil meine Schwester da ist«, öffnete Emilia bereits ihre Tür und war schon fast ausgestiegen, während ich ihr etwas verdattert nachsah. Sie ließ mich also nur mit hochkommen, weil sie wusste, dass ihre Schwester da war und sie somit nicht mit mir allein wäre. Das würde lustig werden. Ich löste mich aus meiner Starre, schüttelte meine unangebrachten Gedanken ab, beeilte mich ebenfalls auszusteigen und ihr zu folgen. Ich konnte das Paket, was vor Emilias Tür stand, schon von Weitem sehen. Sie tat es mit den Worten »Meine Bestellung ist endlich angekommen« ab.

Allerdings war sie schlecht darin ihre Angst zu verstecken. Dafür war ihr gesamter Körper zu angespannt. Zu verkrampft. Und ihre Stimme klang ziemlich dünn. Zudem würde man nicht einfach ohne Grund einem Fremden erzählen, dass es nur eine Bestellung war. Ihre Hände zitterten merklich, sodass man beinah fürchten musste, dass ihr der kleine Karton im nächsten Moment aus den Händen fiel. Ich ging jedoch nicht darauf ein, sondern ließ sie vorerst noch in dem Glauben, dass ich nicht wusste, was sich wirklich dahinter verbarg. »Oh hallo«, begrüßte Yara uns, sichtlich verwundert mich hier zu sehen. »Alles in Ordnung?«, machte sie sich Sorgen um ihre große Schwester.

»Alles gut. Mein Auto ist nicht angesprungen und Owen war so nett und hat mich nachhause gebracht«, fiel es ihr sichtlich schwer, ihre unbekümmerte Fassade aufrecht-
zuerhalten. »Das ist wirklich freundlich von ihm«, musterte Yara mich eingehend. »Ich wollte noch kurz ein Gespräch mit deiner Schwester unter vier Augen führen, wenn das in Ordnung ist?«, wandte ich mich an Yara und Emilia neben mir erstarrte. Dachte sie wirklich, ich würde ihre Schwester bei unserem Gespräch dulden. Dann hatte sie sich aber geirrt. Yara machte keine große Sache daraus, verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und meinte bloß. »Kein Problem. Ich wollte eh gerade los, noch ein bisschen was einkaufen, weil Sam und Helen nachher noch vorbeikommen. Möchtest du vielleicht zum Essen bleiben?«, lud Yara mich sofort ein.

»Das klingt wirklich verlockend. Aber heute wird das leider nichts. Ein andermal vielleicht«, sah ich, wie Emilia erleichtert aufatmete, sobald ich meine Worte beendet hatte. »Na gut«, ließ Yara sich von meiner Absage nicht beirren. Sie nahm das alles locker hin, schlüpfte in Schuhe und verließ, mit einem letzten Wangenkuss für Emilia, die Wohnung. Diese trat nervös von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, was sie machen sollte, jetzt wo ihre Schwester weg war. Deshalb nahm ich ihr die Entscheidung ab, streifte mir schnell die Schuhe von den Füßen und lief ungefragt ins Wohnzimmer, wo ich mich gleich auf dem höllisch unbequemen Zweisitzer niederließ. Stocksteif folgte sie mir und bedachte mich mit prüfenden Blicken. Als würde ich jeden Moment über sie herfallen und mich an ihr vergreifen.

Chicago Bastard - How you saved meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt