Kapitel 65

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Owen

»Owen warte. Du kannst da nicht einfach rein. Warte wenigstens, bis Verstärkung da ist«, hielt mein Bruder mich am Arm zurück. Doch ich riss mich sofort wieder los. »Ich werde nicht warten und Däumchen drehen. Ich hab keine Ahnung, was sie Emilia da drin antun. Aber ich werde nicht riskieren, dass sie stirbt, weil ich gekniffen habe. Auf keinen Fall«, knurrte ich wütend. Wütend auf mich und auf diesen Wichser da drin. Dieser Morris Baker konnte sich auf etwas gefasst machen. Das war so sicher, wie das Amen in der Kirche. »Ich bin dabei«, trat Sam an uns heran. »Auf keinen Fall. Du hast keine Ahnung, wie man mit einer Waffe umgeht. Du wartest hier, bis die Polizei kommt«, klopfte ich ihm auf die Schulter.

»Das ist nicht fair«, protestierte er. »Wann ist das Leben schonmal fair?«, stellte ich ihm eine rhetorische Frage, die er nicht beantwortete. Denn ehrlich gesagt war das Leben niemals fair. Niemals. »Ich geh da jetzt rein«, sah ich Greer auffordernd an. Er musste sich entscheiden. Entweder er kam mit mir mit. Oder er blieb hier und ich ging allein. Das war mir dann auch egal. Alles, was im Moment wichtig war, dass ich zu Emilia kam. »Na schön«, gab Greer nach. Wenn er auch nicht einverstanden mit meiner Entscheidung war, hielt er trotzdem zu mir. »Warte im Auto«, beauftragte ich Sam, bevor ich mich umwandte und auf den Eingang der Halle zusteuerte.

Im Gehen zog ich meine Glock aus meinem Hosenbund. Greer tat es mir gleich. Ich drückte mich an die Wand neben der Tür und stieß sie mit Schwung auf. Sofort flogen uns Kugeln entgegen und wir gingen in Deckung. »Mist!«, fluchte jemand. Scheinbar war da jemandes Waffe leer. Ich nutzte die Chance gab drei gezielte Schüsse ins Innere ab und hörte, wie ein Körper auf den Boden sackte. »Los weiter«, trat ich ins Innere der alten Lagerhalle. Sam hatte das Logo am Rand des Bildes sofort wiedererkannt und uns direkt hierher gebracht. Ansonsten hätten wir noch einige Zeit investieren müssen, den Ort erstmal ausfindig zu machen. Wertvolle Zeit, die wir nicht hatten.

Im Näherkommen sah ich, wen ich niedergeschossen hatte. Es war Jacob Cohen. Der rothaarige Teufel von der Konfirmation. Ich hatte ihn in den Kopf getroffen, weshalb er sofort tot gewesen war. »Wer ist das?«, sah Greer fragend drein. »Dieser Volltrottel von der Konfirmation ihrer Schwester. Mit ihm bin ich letztens schonmal aneinander-
geraten«, knurrte ich ungehalten. »Was?«, fragte mein Bruder verwundert. »Corey hat mir letztens erzählt, dass Emilia schon seit der Schulzeit einen Verehrer hat. Allerdings hat sie ihn immer wieder abblitzen lassen. Nur hat er das nicht verstanden«, erklärte ich knapp. Den so viel Zeit hatten wir nicht. Ich wollte nämlich weiter. Zu Emilia.

Im nächsten Moment ertönte ein gequälter Schrei, der nur zu Emilia gehören konnte. Und ihr Schrei ging mir durch Mark und Bein. »Los komm«, forderte ich Greer auf mir zu folgen. Wir durchkämmten die Halle. Es dauerte jedoch eine ganze Weile, bevor wir eine Tür fanden, hinter der sich Emilia aufhalten musste. »Owen warte«, hielt Greer mich erneut zurück. »Was?«, pampte ich ihn an. »Auch wenn es schwer ist. Lass deine Gefühle für sie außen vor. Denk rational. Und lass dich nicht von deinen Gefühlen leiten. Denn das könnte mächtig nach hinten losgehen«, löste er seinen Griff um meinen Oberarm. Und auch wenn ich wusste, dass Greer recht hatte, konnte ich es ihm nicht versprechen.

Ich wusste nicht, was sich uns für ein Bild da drin bot. Deshalb lehnte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster und gab ihm ein Versprechen, was ich nicht halten konnte. Und vor allem würde. Ich würde ihm kein Versprechen geben. Nicht wenn es um Emilia ging. Das konnte ich einfach nicht. Trotzdem nickte ich knapp, um ihn zufriedenzustellen. Er musste auch nicht immer alles wissen. Ich atmete nochmal tief durch und wappnete mich innerlich für alles Mögliche. Doch der Anblick, der sich mir schlussendlich bot, ließ bei mir alle Sicherungen durchbrennen. Dieser alte Sack lag auf Emilia. Meinem Mädchen. Seine Hände glitten über ihren fast vollständig nackten Körper. Berührten und streichelten jede Stelle ihrer Haut.

Chicago Bastard - How you saved meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt