Kapitel 1

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Foto: „Fox Warren" 

Teil 1

Der vertraute Geruch, ihres Parfüms lag in der Luft und ich wusste sofort, dass sie bei uns war. Ich folgte ihrer Spur und fand sie in meinem Zimmer. Sie lag auf dem Bett, zusammen geknüllt wie ein Stück Papier und hatte die Augen geschlossen. Ihre dunklen Haare lagen wie ein Fächer um ihren Kopf herum und ihr Brustkorb hob und senkte sich. Meine Eltern waren noch nicht da. Normalerweise wäre meine Mutter schon zu Hause gewesen, aber die Tatsache, dass Sam in meinem Bett lag, ließ mich ahnen, wo sie war. Meine Mom spielte die Seelsorge und ich würde den verständnisvollen Cousin spielen.

Sam und ich waren die erste Generation von Kindern, die zusammen aufgewachsen waren. Es war nicht immer einfach, da sie die meiste Zeit meines Lebens dazu bestimmt war, mich zu nerven und ich ihr das durchgehen ließe, weil ich sie liebte. Ich liebte Sam, als sei sie meine Schwester, aber es war nicht nur das. Sam und ich waren nicht nur verwandt, nein wir waren Freunde. Ich war der Erste, dem sie von ihrem ersten Kuss erzählt hatte. Ich war der Erste, dem sie von ihrem ersten Freund erzählt hatte und ich war der Erste, der genau diesem Freund eine reingehauen hatte, weil er sie verarscht hatte. Wir waren unzertrennlich, besaßen dennoch einen unterschiedlichen Freundeskreis.

Sie hatte einen. Ich hatte keinen. 

Es war nicht so, dass ich ein Außenseiter war, der nicht beachtet wurde. Nein, es war das ganze Gegenteil. Irgendwie schien es, als wollte jeder mit mir befreundet sein, doch ich mochte die Stille, die Einsamkeit. Die Aufmerksamkeit, die mir durch meinen Sport zuteilwurde, wurde mir manchmal zu viel und dann verkroch ich mich genau wie Sam. Sie wusste davon, denn mit ihr konnte ich darüber genauso gut reden wie sie mit mir.

Absichtlich laut ließ ich meine Tasche auf den Boden fallen und räusperte mich. Dieses kleine leblose Etwas auf meinem Bett rührte sich nicht. Dennoch sah ich, dass sie geweint hatte und ich wollte wissen, was jetzt schon wieder los war.

Ein schokobraunes Auge betrachtete mich kurz und wurde dann wieder geschlossen. »Geht das auch leiser?«

Die Tatsache, dass das mein Zimmer und mein Bett waren, störte sie nicht im Geringsten. »Was ist los?«

Sam war jemand, wenn sie einmal anfing zu reden, dann sprudelte es aus ihr heraus. Doch sie erst einmal dazuzubekommen, gestaltete sich schwierig. Sie öffnete nochmal dasselbe Auge. »Hast du Brausebonbons?«

Hätte ich es mir ja denken können, sie und ihre Brausebonbons. »Hast du auch noch deine Tage?«, fragte ich. Sie schloss das Auge wieder. »Geh weg!«

Nein, das konnte sie vergessen! Ich bewegte mich auf mein Bett zu und ließ mich auf die andere Seite neben ihr plumpsen. Mit verschränkten Armen hinter meinem Kopf, sah ich zu ihr rüber. Sam lag mir den Rücken zugewandt. Sie war so klein und dürr, dass ich sie hätte mühelos umdrehen können, aber ich ließ es. Es ging ihr nicht gut und wenn es ihr nicht gut ging, dann war ich niemand, der noch Salz in die Wunde streute. Dennoch hatten Sam und ich ein gemeinsames Ding, bei dem wir uns auch ohne Worte verstanden.

Es dauerte eine Weile, bis sie sich umdrehte und sich mit dem Kopf auf meine Brust legte. Ihr Parfüm stieg mir wieder in die Nase.

Ein tiefer Seufzer entfuhr ihrer Kehle. »Dad hat Mom wieder einmal betrogen und jetzt will sie ihn endgültig verlassen. Kannst du das glauben?«

Nein, das konnte ich nicht glauben, denn die Sache war die; Onkel Malcolm hatte das schon unzählige Male getan und Tante Amy sagte immer, dass sie ihn verließe, tat es aber nicht. Sie stritten, zofften und beschimpften sich, hinterher lagen sie sich wieder in den Armen. Dann ging es eine Zeit gut und wenn man sich gerade daran gewöhnt hatte, ging es schon wieder von vorne los. Mein Dad hatte ihm schon unzählige Male gesagt, dass es besser sei, wenn sie sich trennten. Meine Mom ging da etwas aggressiver vor. Sie hatte Malcolm sogar mal eine geschmiert.

Ja, so was tat sie. Sie packte für ihn die Koffer und sie war auch diejenige, die für Amy brüllte: »Kriegt endlich euren Scheiß in den Griff«, hatte ich sie mal brüllen gehört.

Laut meines Dads war es schon in jungen Jahren oft so gewesen, dass sie mal zusammen waren und dann wieder nicht. Womöglich wäre es besser gewesen, wenn sie nie geheiratet hätten, doch das hatten sie und sie hatten zwei Kinder gezeugt, die unter ihrem Scheiß litten. Von Sam wusste ich, dass sie litt. Bei meinem kleinen Cousin Taylor war ich mir da nicht ganz so sicher. Ich wusste nicht, ob er mit irgendjemanden über die Probleme von zu Hause sprach.

Ich wusste nur, dass unser Haus zu einer Auffangstation der Kinder meiner Onkel mutiert war. Meine Eltern waren nicht die perfekten Eltern. Jeder von ihnen hatte so seine Macken, doch sie waren immer für uns Kinder da! Mein Dad auf seine coole, eher unkomplizierte und sehr geduldige Art. Meine Mom auf ihre überfürsorgliche, aufbrausende, dennoch sehr liebevolle Art.

»Ich kaufe dir morgen eine ganze Tüte voller Brausebonbons.« Um ihr Trost zu spenden, würde ich ihr nicht nur eine holen. Ihr Kopf bewegte sich und ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.

»Welche Sorte?«

Das war 'ne Fangfrage. Sie hatte wohl vergessen, dass wir als Kinder zusammen gebadet hatten. »Erdbeere!«

Sie seufzte und schlang einen Arm um meine Taille, dabei drückte sie sich noch enger an mich. »Du bist mir der liebste Mensch.«

Ebenfalls legte ich meinen Arm um ihre schlanke Gestalt und gab ihr einen flüchtigen Kuss aufs Haar. »Und du meiner.«

Und so war es. Sam war diejenige, der ich am Ende des Tages alles erzählte. Sie war es, die ich bei jedem Kampf dabei haben musste und sie war es, mit der ich zusammen still, aber auch laut sein konnte. Und sie war es, mit der ich diese eine gemeinsame Sache hatte...

Deepest Fight - The Fox Story (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt