„Draco, jetzt entspann dich endlich und genieß den Abend.“
Ich werfe Blaise einen ärgerlichen Blick zu und nippe schweigend an meinem Butterbier.
Wir sind im Gryffindor-Gemeinschaftsraum.
Verrückt, früher wäre es undenkbar gewesen, dass wir ihn betreten dürfen.
Aber in diesem Wiederholungsjahr ist alles anders.
Wir wechseln uns alle paar Wochen mit Partys in den Gemeinschaftsräumen ab. Das letzte Mal waren wir an der Reihe gewesen, nun hatten die Gryffindors wieder einmal eingeladen.
Der Raum ist brechend voll.
Zwar gibt es unter uns Schülern klare Regeln, wer an den Partys, von denen das Lehrpersonal selbstredend nichts weiß, teilnehmen darf, trotzdem sind es natürlich immer noch jede Menge Menschen.
Vom jeweiligen Haus, in dem die Veranstaltung statt findet, dürfen alle ab Jahrgang vier teilnehmen. Als Gäste der anderen Häuser sind immer nur die Sechst- und Siebtklässler erlaubt. Alles andere würde einfach den Rahmen, oder eben im wahrsten Sinne des Wortes den Raum sprengen.
Es gibt auch ein paar wenige, die gar keine Lust auf solche Partys haben, aber das ist eine verschwindend geringe Anzahl. Dementsprechend voll und laut ist es.
Aber sie ist noch nicht da.
Immer wieder schweift mein Blick zur Treppe, in Erwartung, dass sie kommen würde.
Ihr toller Freund und Potter mit seiner Freundin sind doch auch da – warum kommt sie nicht?
„Draco, hast du gehört, was ich gesagt habe?“
„Ja“, gebe ich knapp zurück, und um Blaise zu beschwichtigen, wende ich mich von der Treppe ab und versuche, mich an den Gesprächen der anderen zu beteiligen.
Kurz denke ich darüber nach, zu ihrem Zimmer zu gehen und nach ihr zu sehen – den Abwehrzauber, der es Jungen nicht ermöglicht, die Schlafsäle zu betreten, können wir schon seit einer gefühlten Ewigkeit umgehen. Soll ich das tun? Schließlich sind wir ja „Freunde“, und die machen sowas doch, oder? Sich um den anderen sorgen?
Ich verwerfe den Gedanken wieder.
Die Vorstellung, mit Hermine Granger alleine in ihrem Schlafsaal zu sitzen während alle anderen bei einer Party sind und sie zu fragen, was los ist und warum sie nicht zur ebenjener Party kommt, ist für mich mit dem unguten Gefühl verknüpft, dass meine Gedanken außer Rand und Band geraten werden und meine Fantasie mit mir durchgehen würde, während ich mit ihr rede.
Es kann auch ein verdammter Fluch sein, achtzehn und komplett untervögelt zu sein.
Ich stelle fest, dass ich nur noch mit Theo und Blaise sowie mit zwei anderen Slytherin-Jungs – reguläre Siebtklässler – zusammen stehe und schaue mich suchend nach Greg um.
Man muss Gregory auf Partys immer ein wenig im Blick behalten, er trinkt gerne viel zu viel – was wir alle tun, allerdings haben wir anderen uns dann noch besser im Griff – und wird schnell übermütig.
Ich verdrehe die Augen, als ich sehe, dass er dabei ist, eine niedliche Ravenclaw aus der Sechsten anzubaggern – die eindeutig nicht interessiert ist und ein wenig verstört wirkt.
Merlin weiß, was er schon wieder für einen Mist vom Stapel gelassen hat, mit dem er sie abschreckt.
Aber ich sehe momentan noch keinen Grund, einzugreifen, ich bin schließlich nicht seine Mutter.
„Potters Kleine ist aber auch ein ganz schön heißer Feger geworden“, höre ich Malcolm, einen regulären Siebtklässler aus meinem Haus, sagen. „Ob Potter es bringt oder meint ihr, sie braucht mal ein bisschen Abwechslung?“
Leises Gelächter folgt der Aussage.
Apropos Mütter. Ich bin mir sicher, dass alle unsere Mütter uns gehörig die Ohren langziehen würden, wenn sie unser Vokabular und unsere Ausdrucksweise hören würden. Bei Merlin, was wird bei diesen Reinblut-Veranstaltungen in den Ferien immer auf eine akkurate Redensweise und Wortwahl geachtet!
Und wenn unsere Mütter wüssten, wie wir über Mädchen reden, würden sie einer Hauselfe den Auftrag geben, unsere Münder mit Seife auszuschrubben und uns zusätzlich vermutlich irgendetwas Fieses auf den Leib hexen. Eine temporäre Erektionsstörung oder so.
Aber, was solls, sie sind ja zum Glück nicht hier.
Ich folge Ginny Weasley mit dem Blick, wie sie die Treppe zum Mädchenschlafsaal hoch hastet.
Mein Herzschlag beschleunigt sich, denn ich bin mir sicher, dass sie nach Hermine sehen will und vielleicht kann sie sie ja überreden, endlich runter zu kommen.
Keine Ahnung, was ich mir davon verspreche, wenn sie kommt.
Im schlimmsten Fall sehe ich sie wieder mit Weasley knutschen.
Ich schüttle mich leicht.
In diesem Fall hexe ich mir selber lieber einen Konjunktivitis-Fluch in meine Augen als das wieder einmal sehen zu müssen.
„Keine Ahnung“, knüpfe ich ans Gespräch an. „Aber ich wage mal zu behaupten, dass zumindest Potters bester Freund es nicht bei seiner Freundin bringt.“
Natürlich schwingt bei uns noch der alte Neid mit.
Ständig heißt es auch heute noch: Potter hier, Weasley da...
Klar, im Grunde genommen bin ich ihnen dankbar. Ohne sie, und natürlich Hermine, wären wir alle echt am Arsch gewesen. Eigentlich müsste ich Rosenblätter streuen, wo sie gehen, denn sie haben auch mich und meine Familie von dem Schlangengesicht befreit und uns vor Askaban bewahrt. Genau genommen bin ich Potter und Hermine tatsächlich dankbar. Und sicher hat das rothaarige Wiesel auch eine Menge zum Sieg über den, dessen Name immer noch nicht über meine Lippen kommen mag, beigetragen.
Aber, Merlin steh mir bei, ich hasse Weasley einfach dafür, dass er Hermine hat.
Dass er weiß, wie sie sich anfühlt. Wie sie küsst. Wie sie schmeckt. Wie sie sich anhört, wenn-
„Dem ist nichts hinzuzufügen“, grinst Malcolm und die anderen lachen, selbst Theo kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Nur Blaise guckt tadelnd.
Ich weiß, es geht ihm nicht um Weasley, sondern um mich.
Er meint, ich verrenne mich da in irgendetwas.
Und scheiße, vermutlich hat er verdammt Recht damit.
Etwa eine halbe Stunde später bringt das Weasley-Mädchen sie tatsächlich mit runter.
Hermine hat sich nicht besonders zurecht gemacht – sie trägt Jeans und ein schlichtes T-Shirt, die Locken hat sie zu einem hohen Zopf gebunden, sie ist dezent geschminkt.
Sie sieht aus wie im Alltag, aber das macht sie nicht weniger hübsch und anziehend.
„Du starrst schon wieder“, flüstert Theo mir zu und ich beeile mich, etwas unauffälliger zu gucken.
Das Wiesel hat sie entdeckt und geht zu ihr.
Sie wendet den Blick ab und ihre Freundin will sie weiterziehen, aber Hermine bleibt stehen und lässt zu, dass Weasley ihr sanft die Hand auf den Rücken legt und leise etwas zu ihr sagt.
Sie zuckt mit den Schultern, erwidert dann zaghaft sein Lächeln und nickt dann leicht, ehe sie etwas zu ihm sagt.
Er nickt und sie wendet sich ab, um sich mit Ginny Weasley etwas zu trinken zu holen.
Ich sehe, wie das Wiesel hinter ihrem Rücken leicht die Augen verdreht.
Volltrottel.
„Sie haben sich schon wieder gestritten“, sage ich leise zu Theo.
Dieser nickt.
„Offensichtlich“, bestätigt er.
Auch, wenn Theodore mir ständig von Hermine abrät und mir andere Mädchen aufschwatzen will, weiß ich, dass er nicht abgeneigt ist, mir zu helfen, mich mit ihr zu verkuppeln.
„Du solltest zu ihr gehen“, bestätigt Theo da schon meine Gedanken.
Blaise, der vermutlich nicht verstanden hat, was wir reden, beobachtet uns skeptisch.
Er ist vollkommen dagegen, dass ich mich Hermine annähere, das weiß ich.
Ich weiß, er macht sich Sorgen.
Er ist der Meinung, dass ich damit nur auf die Schnauze fallen kann und vermutlich hat er leider Recht.
Aber gerade Blaise müsste mich eigentlich verstehen.
Ihm lagen die Mädchen schon immer zu Füßen, aber er ist außerordentlich wählerisch und wenn er sich dann für eine interessiert, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um sie zu bekommen.
Gut, er war aber auch noch nie so größenwahnsinnig, sich in den Gedanken zu verrennen, Hermine Granger zu bekommen.
Gerade überlege ich ernsthaft, zu Hermine und dem Weasley-Mädchen zu gehen, als ich beobachte, dass die Rothaarige mit einem anderen Mädchen auf die provisorische Tanzfläche verschwindet.
Mein Blick huscht blitzschnell zu Weasley und Potter, die aber in ein intensives Gespräch mit Dean Thomas und Seamus Finnigan vertieft sind.
„Scheiße, Draco, mach das nicht!“
Blaise kennt mich einfach zu gut. Er muss genau gesehen haben, wie ich die Situation sondiert habe.
Ich will etwas erwidern, aber der Satz bleibt mir im Halse stecken, als ich sehe, wie irgendein Ravenclaw, ein regulärer Siebtklässler, sich zu Hermine stellt und sie anquatscht.
Natürlich lächelt sie ihn freundlich an und geht sofort auf die Unterhaltung ein.
Wenn ich etwas über Hermine Granger gelernt habe, dann, dass sie sich ihrer Wirkung nicht bewusst ist – und es vermutlich erst dann rafft, dass jemand sie anbaggern will, wenn derjenige es in Leuchtbuchstaben auf ein Plakat zaubert und ihr unter die Nase hält. Oder wenn sich jemand so plump und widerlich verhält wie McLaggen damals. Der war so anzüglich, da hat selbst sie in ihrer grenzenlosen Unschuld begriffen, was er von ihr will.
Ich werfe einen raschen Blick auf Weasley, der aber mit dem Rücken zu Hermine und dem Ravenclaw sowie fast auf der anderen Seite des Raumes steht.
Nun, da bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als einzugreifen und Hermine zu retten.
Nicht, dass sie sich nicht selbst verteidigen kann.

Friendship and other Disasters (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt