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Ich sitze in der Umkleidekabine und starre ins Leere.
Vorhin bin ich viel zu hart und ruckartig auf dem Rasen des Quidditch-Spielfelds gelandet und konnte gerade noch so das Bedürfnis unterdrücken, meinen Besen wütend zu Boden zu schleudern.
Statt dessen bin ich herumgefahren und bin, meinen Besen fest umklammernd, zu der Umkleidekabine gestürmt, während ich meinen Kiefer so fest zusammen presste, dass ich fast das Gefühl hatte, er würde brechen.
Meine Mannschaft eilte mir hinterher.
Während alle anderen aber nun bereits in der Gemeinschaftsdusche geduscht haben und nach und nach in frischer Kleidung die Umkleidekabine verlassen, trage ich immer noch meine komplette Quidditch-Montur und rühre keinen Finger.
„Gut gespielt, Draco.“
„War verdammt knapp.“
„Mach dir nichts draus.“
„Schade, aber es lässt sich nicht ändern.“
Jeder sagt irgendeinen aufmunternden Satz zu mir, ehe er den Raum verlässt, manche klopfen mir dabei auch flüchtig auf die Schulter.
Ich reagiere nicht.
Ja, sie wollen mich aufmuntern, aber ich höre die Enttäuschung heraus, ich bekomme natürlich mit, wie gedrückt die Stimmung ist.
Es hat uns alle schwer getroffen.
„Draco, zieh das Zeug aus und geh duschen.“
Blaise ist der einzige, der geblieben ist.
Er trägt lockere Kleidung: Eine Jogginghose und ein schlichtes T-Shirt, beides schwarz. Sein Haar, das er schon lange nicht mehr so kurz trägt wie in der Sechsten und das sich leicht kräuselt, ist noch nass vom Duschen.
Ich reagiere nicht.
„Draco“, fährt Blaise fort. „Steh endlich auf und vergiss, was passiert ist.“
In diesem Moment öffnet sich die Tür.
„Wer zur Hölle stört-“, faucht Blaise, bricht aber abrupt ab. „Ach, komm rein, Theo.“
Kurz schwappt das laute Brüllen und Grölen und Singen von draußen noch lauter zu uns hinein, bis Theo die Tür hinter sich wieder schließt.
„Hey Draco“, begrüßt er mich, aber ich reagiere auch auf ihn nicht.
Theo seufzt.
„Hör zu, das ist richtig scheiße gelaufen, aber es ist nicht deine Schuld.“
Ich reiße mich ein wenig zusammen und fokussiere Theodore.
„Hmpf“, mache ich.
„Er hat Recht“, bestätigt Blaise. „Wir haben großartig gespielt.“
„Nein“, knurre ich leise. „Ihr habt großartig gespielt. Ich habe versagt.“
„Das ist nicht wahr“, widerspricht Blaise. „Potter hatte einfach mal wieder unverschämtes Glück, wie immer. Kennen wir doch schon.“
Ich schnaube.
„Draco, komm schon...“
Es bricht plötzlich und ohne Vorwarnung aus mir heraus.
Ich springe auf und trete mit aller Kraft gegen eine der Sitzbänke, ehe ich einen Moment unkontrolliert zu fluchen beginne.
„Draco, hör auf.“
„Nein!“, entfährt es mir laut. „Ich habe die Schnauze einfach gestrichen voll! Es kotzt mich an. Alles kotzt mich einfach an. Es wird sich niemals etwas ändern, versteht ihr? Niemals!“
Blaise und Theo stehen ruhig da, schauen mich an.
Es ist lange her, dass ich so einen Wutausbruch hatte, aber sie kennen es von mir.
„Hört auf euch alles schön zu reden und seht endlich der Wahrheit ins Auge!“
„Welcher Wahrheit?“, fragt Theo.
„Welcher Wahrheit? Wir sind die Arschlöcher der Zauberwelt, und daran wird sich auch niemals etwas ändern! Wir können uns bemühen, abstrampeln und verändern, so viel wir wollen, für uns wird es nie ein gutes Ende geben.“
„Schwachsinn, Draco“, kommt es von Blaise. „Es hat sich ganz viel geändert.“
„Ach ja?“
Wütend stapfe ich zur Tür und reiße sie auf, ehe ich wieder zu den beiden anderen zurückkehre.
„Hört ihr das?“, brülle ich sie an und deute Richtung Tür.
Immer noch ist die ganze Schule außer Rand und Band, es wird gebrüllt, geklatscht und eindeutig gefeiert. Immer wieder hört man laute „Gryffindor! Gryffindor!“ und „Potter!“ Rufe, zwischendurch stimmen kleine Gruppen „Weasley ist unser King“ an.
„Wisst ihr wer das ist? Die ganze Schule! Die verdammte ganze Schule! Das sind nicht nur die Gryffindors, die ihr da hört. Das sind alle. Was meint ihr, wer von denen würde da jetzt grölen und singen, wenn wir gewonnen hätten?“
Meine beiden Freunde schweigen betreten.
„Ihr wisst, dass es die Wahrheit ist. Nichts hat sich geändert. Es war Augenwischerei, das ganze Schuljahr über. Wir alle haben nur jede Menge Glitzerstaub über einen riesigen Haufen Scheiße verteilt, damit wir uns der Illusion hingeben können, dass alle Häuser gleich sind. Das waren sie nie und sie werden es nie sein.“
Ich mache schwer atmend eine Pause.
Es kotzt mich wirklich alles an.
Potter. Die Gryffindors. Pansy mit ihrer dämlichen Aktion. Mein scheiß Herzschmerz.
Und am meisten kotze ich mich selber an.
„Versteht ihr das alles langsam endlich mal? Wir werden niemals die Guten sein, wir werden niemals die Netten sein, und wir werden niemals das bekommen, was wir wirklich wollen. Weder so einen scheiß Pokal noch das Mädchen, was wir uns wünschen! Denn die Guten bekommen Pokale und Auszeichnungen und Lobeshymnen, und natürlich bekommt auch der gute Kerl das Mädchen, kapiert?“
Oh Merlin, genau so wird es kommen.

Der Wieselkönig wird Hermine zurück erobern. Sie wird sich auf ihn einlassen, denn er ist nett, er ist ein Kriegsheld, er gibt ihr Sicherheit und Stabilität.
Und eines Tages wird sie am Bahnhof stehen und eine Horde rothaariger Kinder verabschieden, die nach Hogwarts reisen. Ich kann es förmlich vor meinem inneren Auge sehen. Es ist, als hätte es jemand aufgeschrieben, wie eine Prophezeiung. Es kann gar nicht anders kommen.
In diesem Moment nehme ich mir fest vor, niemals Kinder zu zeugen.
Ich könnte es nicht ertragen, mein Kind zum Gleis 9 ¾ zu bringen und dort Hermine mit ihrer Familie zu sehen.
Und ich darf auch niemals heiraten.
Wie könnte ich nicht jede andere täglich mit ihr vergleichen?
„Für uns ist anderes bestimmt“, fahre ich fort, ich habe mich wunderbar in Rage geredet. „Wie sollen wir auch ein normales Leben führen? Es wird immer wieder Vertreter in unserem Haus geben, die den Ruf aller zerstören, und das muss gar kein größenwahnsinniges Schlangengesicht sein. Nein, bekloppte Aktionen einer Pansy Parkinson genügen! Hat sich aber schon mal jemand Gedanken gemacht, dass nicht jeder von uns damit in Verbindung gebracht werden will? Nein, genauso wenig wie jemals jemand darüber nachgedacht hat, dass der Kerker kein geeigneter Wohnort ist! Hat noch keiner sich Gedanken gemacht, dass das gesundheitsschädigend sein kann und vielleicht sogar aufs Gemüt schlägt?“
Blaise zieht die Stirn kraus und legt den Kopf schräg, während Theo die Nase kräuselt, wie er es immer tut, wenn er im Unterricht etwas nicht versteht – was äußerst selten vorkommt – und regelmäßig etliche Mädchen in Kichern und Tuscheln verfallen lässt, weil sie es, warum auch immer, irgendwie süß finden oder so.
„Was?“, entfährt es ihnen vollkommen verwirrt gleichzeitig.
„Was ich damit sagen will“, erkläre ich hitzig. „ist, dass wir uns nicht abstrampeln müssen. Ich werde es jedenfalls nicht mehr tun. Es reicht. Sie wollen unbedingt einen Bösen hier an der Schule – bitte, dann sollen sie ihn bekommen.“
„Draco“, sagt Theo, plötzlich alarmiert. „Tu das nicht.“
„Und ob ich das tue“, knurre ich. „Es ist ganz einfach. Ich hasse die Gryffindors gerade aktuell wieder so sehr, dass es ganz leicht wird, sie zu beleidigen und sie zu provozieren.“
„Draco, das ist der falsche Weg“, kommt es eindringlich von Theo.
„Du kapierst es immer noch nicht. Es gibt kein richtig oder falsch. Es gibt nur vorgefertigte Rollen, und entweder man fügt sich in seine oder man kann sich auf lebenslangen Schmerz einstellen. Ich füge mich nur wieder in die Rolle, die mir zugedacht war.“
„Und Hermine?“
Ich starre Blaise nach diesen Worten an.
Nur die Erwähnung ihres Namens erzeugt ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Brust.
Ich fahre herum und schlage mit beiden Fäusten gegen die Metalltür eines Spinds.
Ich atme ein paar mal ein und aus, meine geballten Fäuste liegen immer noch auf dem kühlen Metall.
„Was ist mit Granger?“, frage ich und speie ihren Nachnamen wie etwas Ungenießbares aus.
„Draco, du belügst dich selbst“, behauptet Blaise. „Gib sie noch nicht auf.“
„Hör auf, Blaise“, knurre ich, schließe meine Augen und drücke meine Fäuste fester gegen das Metall. „Wir sind Slytherins. Wir sind perfekt darin, Beziehungen zu zerstören. Bei uns kann nichts wachsen und gedeihen wie bei den Hufflepuffs. Wir retten auch niemanden, so wie die Gryffindors. Und aus uns entstehen auch keine neuen Ideen, das übernehmen die Ravenclaws. Wir sind Zerstörer, versteht ihr? Wir zerstören Leben, und wir zerstören Herzen. Es gibt also nichts, was ich aufgeben kann, da nie etwas da war, was eine Chance gehabt hätte, kapiert das endlich!“
Nichts fühlen. Es ist ganz einfach. Früher ging es auch. Ich kriege das wieder hin. Nichts fühlen...
Scheiß Emotionen, die braucht doch kein Mensch. Und erst Recht braucht kein Mensch so etwas wie Liebe.
„Und was ist mit Hermine? Denkst du auch mal an sie?“
„Es ist egal, was mit ihr ist“, höre ich mich sagen. „Habt ihr vergessen, was sie ist? Sie ist nur ein-“
„Draco, nicht...“, höre ich Blaise' Stimme hinter mir.
Aber das Wort, das früher so selbstverständlich über meine Lippen kam, bleibt mir sowieso im Halse stecken und ich habe das Gefühl, daran zu ersticken.
Nein, ich kann sie nicht mehr so nennen. Ich kann nicht mal mehr so über sie denken.
Aber ich kann mir ihre Schwächen ins Gedächtnis rufen.
Diese grauenhaften Haare, vollkommen wirr!
Nur leider umrahmen sie perfekt ihr hübsches Gesicht und ich weiß, wie weich sie sich anfühlen, wie gut sie riechen.
Aber irgendetwas muss es doch geben, womit ich sie schlecht machen kann!
Nein, sie ist verdammt noch mal perfekt.
Ich atme leicht abgehackt und habe plötzlich einen schmerzhaften Kloß im Hals.
Hinter meinen geschlossenen Augenlider brennt es und meine Schultern beginnen leicht zu beben.
Merlin, ich fange jetzt bitte nicht an zu heulen!
„Draco-“, höre ich in tröstendem Ton Blaise' Stimme.
Und in der nächsten Sekunde erklingt aus Richtung der Tür eine andere Stimme.
Natürlich, ich habe die Tür vorhin aufgerissen und nicht wieder geschlossen.
Wie unachtsam von mir.
„Entschuldigung“, höre ich. „Ich möchte nicht stören. Aber ich wollte gerne Draco sprechen.“

Friendship and other Disasters (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt