„Herein.“
Ich stehe am Fenster und schaue auf unser Grundstück.
Hinter mir öffnet sich die Tür leise und ich höre, wie Mutter eintritt.
Ich wusste, dass sie es gewesen ist, ich erkenne sie an der Art, wie sie klopft.
„Draco, möchtest du noch ein wenig zu uns kommen oder bist du müde?“
Es ist noch verhältnismäßig früh, trotzdem antworte ich, während ich mich umdrehe: „Ich bleibe hier und werde früh schlafen gehen, denke ich.“
Meine Mutter steht mitten in meinem Zimmer, schön, elegant und stolz wie eh und je.
„Möchtest du mir kurz dein Zeugnis zeigen?“
Ich habe einen kleinen Teil meiner Sachen bereits ausgepackt, unter anderem auch das Zeugnis, das nun auf meinem Nachttisch liegt. Ich gehe dorthin, hebe es auf und halte es meiner Mutter entgegen.
Während sie es begutachtet, lasse ich mich auf die Bettkante sinken.
„Das Ergebnis ist großartig, Liebling“, lobt sie und ich kann nicht verhindern, dass ich ziemlich starken, albernen Stolz empfinde nach ihren Worten.
„Vater möchte es sicher auch sehen“, sage ich. „Du kannst es mitnehmen.“
„Nein“, lächelt Mutter und legt das Pergament wieder auf meinem Nachttisch ab. „Zeig es ihm morgen selbst.“
„Was hat euer Gespräch ergeben?“, frage ich und versuche, gelassen und kein bisschen beunruhigt zu klingen.
„Lass deinem Vater etwas Zeit“, weicht Mutter aus. „Er hat es auch nicht leicht.“
„Ja, mir kommen gleich die Tränen.“
Mutter seufzt und tritt näher an mich heran.
Sie legt sanft die Hand an meine Wange, aber ich lasse den Blick gesenkt.
„Dein Vater liebt dich, Draco.“
Ohne es zu wollen, bemerke ich, wie ich mich unbewusst in ihre Berührung hinein lehne.
„Wir sind beide sehr stolz auf dich. Du hast dich großartig entwickelt. Trotz der schlimmen Dinge, die passiert sind, ist aus dir ein wundervoller junger Mann geworden.“
Ich frage mich, woher sie das wissen will, schließlich hat sie mich seit einem Jahr kaum zu Gesicht bekommen. Aber als ihr Daumen kurz über meine Wange streicht, muss ich schlucken und verdränge den Gedanken.
Es ist merkwürdig, aber als sie ihre Hand wegzieht, vermisse ich die Berührung irgendwie.
„Mutter?“
„Ja?“
„Ich brauche morgen eine der Eulen, um Hermine eine Nachricht zu senden“, sage ich. „Und wenn Vater mir keine dafür leihen möchte, appariere ich in die Winkelgasse und nehme eine der Posteulen.“
„Sei nicht albern, Liebling, natürlich kannst du eine unserer Eulen nehmen.“
Ich schaue sie misstrauisch an.
„Sicher, dass Vater das auch so sieht?“
„Draco, mach dir darüber keine Gedanken.“
„Und noch etwas“, sage ich und zwinge mich, sie während der nächsten Worte anzusehen. „Ich werde wirklich nicht lange hier bleiben. Ich habe Hermine versprochen, sie bald in das Haus einzuladen und ich möchte mein Versprechen halten. Und ich hoffe, du nimmst die ganze Sache etwas ernster als Vater.“
„Natürlich“, sagt Mutter und ich kenne sie mittlerweile so gut, dass ich weiß, dass sie es nur sagt, weil ich es hören will.
„Dich stört es auch, habe ich Recht?“, frage ich bitter.
Meine Mutter seufzt.
„Draco, ich möchte nur, dass du glücklich bist.“
„Sicher“, sage ich. „Aber wenn du die Wahl hättest, wäre es dir lieber, ich wäre glücklich mit einem reinblütigen Mädchen, richtig?“
Sie öffnet den Mund und ich setze hinzu: „Eine ehrliche Antwort, bitte.“
„Ja“, sagt sie und die Antwort tut mir mehr weh, als ich gedacht habe. „Wenn ich die Wahl hätte, wäre es mir lieber. Aber ich habe keine Wahl. Du hast dich bereits entschieden.“
Sie macht eine kurze Pause.
„Für den Moment.“
„Für den Moment?“, wiederhole ich fassungslos.
„Liebling, du bist neunzehn. Das Leben wird noch eine Menge für dich bereit halten. Das habe ich auch deinem Vater gesagt. Und ich habe ihn gebeten, zu akzeptieren, dass du dich im Moment für ein muggelstämmiges Mädchen entschieden hast. Auch dein Vater hat in dem vergangenen Jahr versucht, sich etwas anzupassen. Gib ihm etwas Zeit.“
Ich starre sie mit fest zusammengepresstem Kiefer an und merke, dass mir das Atmen etwas schwerer fällt. Trotzdem nicke ich.
„Dann... Gute Nacht, Draco.“Vater lässt sich am nächsten Tag, als ich ihm das Zeugnis zeige, tatsächlich mit einem hochgezogenen Mundwinkel zu einem Schulterklopfen herab. Über das Gespräch vom Vortag verliert er kein Wort, und ich frage mich, was genau er und Mutter besprochen haben, als ich auf meinem Zimmer gewesen bin.
Nach dem Frühstück verkündet Mutter, dass sie gerne mit mir in die Winkelgasse apparieren würde, um einen Anzug für die geplante Feierlichkeit auszusuchen.
Ich habe ganz vergessen, was für ein Krampf unsere Veranstaltungen immer waren und stimme ihr widerwillig zu.
Ich nehme mir vor, die Jungs darauf festzunageln, dass wir demnächst irgendwo zusammen ausgehen und uns so richtig gehen lassen, einfach zum Ausgleich. Ich weiß, Vater würde sich die Haare ausreißen und Mutter würde vermutlich ohnmächtig werden, wenn sie wüssten, wie wir uns auf gewissen Partys manchmal verhalten. Und dabei sind wir gar nicht so schlimm. Aber in der Welt meiner Eltern wäre es ein absolutes No-Go.
Aber ich appariere ohne zu murren mit Mutter in die Winkelgasse, wo wir uns als erstes zu Twilfitt und Tatting aufmachen, der direkten Konkurrenz zu Madam Malkins'.
Ich finde ziemlich schnell etwas, was mir zusagt, und ich bin froh, dass meine Mutter mir nicht wie früher hereinredet und schweigend meine Entscheidung akzeptiert. Entweder sieht sie endlich ein, dass ich erwachsen bin, oder ich habe zufällig mal auf Anhieb etwas gefunden, was ihr auch zusagt. Ich tippe auf zweites.
Leider kommt nun der Teil, den ich schon immer gehasst habe, nämlich das Anpassen.
Ich mache mich gerade auf den Weg in Richtung Ankleidebereich, während Mutter sich Halstücher ansieht, weil sie natürlich bestimmt ganz dringend welche braucht und ihr Ankleidezimmer ja auch nicht schon aus allen Nähten platzt, als mein Blick wie magisch von grünem Stoff angezogen wird.
Ich zögere nur einen Sekundenbruchteil, ehe ich mich darauf zubewege.
Warum ich mir Hermine sofort darin vorstellen kann, weiß ich nicht, aber ich habe es so bildlich vor Augen, dass ich abrupt die Sehnsucht in meiner Brust brennen spüre.
Das Kleid ist sündhaft teuer, ich bin mir sicher.
Es ist bodenlang, was für die geplante Feier angemessen wäre, und der seitliche Schlitz geht auch nicht so hoch, dass es unanständig wirken könnte. Die dünnen Träger sind mit kleinen Steinen besetzt und ich meine, darin grüne Diamanten und schwarze Opale zu erkennen.
Ganz abgesehen davon, dass ich mir sicher bin, dass Hermine mich auslachen würde, wenn ich sie bitten würde, ein solches Kleid zu tragen (zumindest, wenn sie wüsste, was es wert ist), finde ich es unangebracht, über ihren Kopf hinweg zu entscheiden, was sie anziehen soll. Und erst da wird mir bewusst, dass ich überhaupt darüber nachgedacht habe, das Kleid einfach zu kaufen.
„Lass es für sie zurücklegen.“
Ich unterdrücke das Bedürfnis, zusammen zu zucken und schaue meine Mutter an, die lautlos hinter mich getreten ist.
„Mutter-“
„Bitte diskutier jetzt nicht. Das Kleid ist traumhaft. Du hast einen unfassbar guten Geschmack entwickelt, Liebling.“
Ich schaue wieder das Kleid an und leider juckt es mir tatsächlich in den Fingern, es zu kaufen.
„Es ist grün.“
„Und?“, fragt Mutter verständnislos.
„Grün ist nicht ihre Farbe. Nicht wegen der Häuser“, setze ich hinzu, als Mutter den Mund öffnet. „Sie trägt für gewöhnlich andere Farben.“
„Liebling, sie ist brünett. Brünette Frauen sind gesegnet, sie können jede Farbe tragen.“
Ich öffne den Mund, aber sie redet einfach weiter: „Wirklich. Ich habe es da schwerer, mit meinem hellen Haar. Ich muss viel mehr auf die Farbwahl achten. Ich habe meine Schwester Andromeda immer um ihre Haarfarbe beneidet. Sie sah hinreißend aus in allem, auch in Grün. Lass es zurück legen. Es muss ja sowieso angepasst werden. Du musst also mit ihr hierher kommen. Wenn es ihr partout nicht gefällt, musst du es ja nicht kaufen.“
Im ersten Moment bin ich so perplex, dass sie meine Tante angesprochen hat, die jahrelang totgeschwiegen wurde, dass ich ihre Worte gar nicht verarbeiten kann.
Und ich begreife, dass meine Eltern tatsächlich versuchen, ein anderes Bild von sich zu zeichnen. Dass eine Blutsverräterin so selbstverständlich genannt wird, wäre früher undenkbar gewesen.
Und erst in der nächsten Sekunde erreicht mich die Botschaft ihrer Worte komplett.
Ich weiß, es ist kein nettes Angebot, kein Entgegenkommen, keine Akzeptanz ihrerseits.
Wie immer verfolgt meine Mutter Hintergedanken. Sie möchte, dass Hermine an meiner Seite angebracht aussieht, wenn wir zusammen auf der Feier zu sehen sind.
Und ich habe die Befürchtung, dass es genau so bei Hermine rüberkommen könnte. Dass sie es nur so wert ist, an meiner Seite zu erscheinen.
Ich verschiebe die Problematik auf später und lasse das Kleid tatsächlich zurücklegen, ehe ich meinen Anzug anpassen lasse.Nach dem Besuch bei Twilfitt und Tatting trennen sich Mutters und mein Weg kurz.
Ich weiß nicht, was sie erledigt, während ich bei Qualität für Quidditch Zubehör und Pflegeprodukte erwerbe. Da ich relativ schnell fertig bin, habe ich noch kurz Zeit, ehe ich mich wieder mit Mutter treffe, also mache ich einen Abstecher zu Flourish & Blotts, und auch, wenn ich es mir nicht richtig eingestehen will, hoffe ich, dass Hermine zufällig dort ist – was sie aber leider nicht ist. Also schmökere ich eine Weile lustlos in ein paar Büchern und kaufe dann tatsächlich zwei, da sie mir überraschenderweise zusagen.
Trotzdem bin ich immer noch etwas früher am vereinbarten Treffpunkt.
Als Mutter schließlich kommt, schlägt sie vor, da wir ja sowieso gerade hier sind, kurz zum Postamt zu gehen, bevor wir nach Hause apparieren, damit ich Hermine schreiben kann. Unwillkürlich frage ich mich, ob sie es tatsächlich einfach praktischerweise hier erledigen möchte oder ob Vater doch getobt hat, weil ich ihr schreiben möchte oder ob Mutter es sogar vor ihm verheimlichen will.
Und irgendwie bedrückt es mich, dass ich mich solche Dinge überhaupt fragen muss.
Da wir in einem öffentlichen Postamt stehen und Mutter wartet, weiß ich nicht so genau, was ich auf die Schnelle schreiben soll.
Nachdem ich fast eine Minute sinnlos das leere Stück Pergament vor mir angestarrt habe, entschließe ich mich, mich auf das Wesentliche zu beschränken, auch wenn es nicht das ist, was ich möchte.
Nach der Anrede notiere ich lediglich Ort – nämlich das Haus an der See - und Datum für ein Treffen, außerdem gebe ich den Hinweis, dass sie per Flohnetzwerk anreisen kann, ehe ich schlicht mit „Draco“ unterzeichne.
Mir ist klar, dass es noch eine Woche dauern wird, bis ich sie sehe, und ich hoffe, dass die Knappheit meines Briefs sie nicht irritiert.
In meinem Kopf ist so viel, was ich ihr eigentlich noch gerne schreiben würde, aber ich falte den Brief trotzdem und überreiche ihm einen Postangestellten, der sich um eine Eule kümmert.
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Friendship and other Disasters (Dramione)
FanficFreundschaft ist immer etwas Wunderbares - denkt man. Aber es gibt auch die Freundschaften, die nur in einer Katastrophe enden können. Oder in etwas anderem. // Dramione // Scharf gewürzt - und mit einer Prise Humor...