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Fast ein wenig zögerlich betrete ich unseren Schlafsaal und schließe die Tür hinter mir.
Greg liegt auf seinem Bett, aber ich bin mir absolut sicher, dass er sich genau in dem Moment darauf geworfen hat, als ich die Tür geöffnet habe.
Mehrere Dinge verraten mir das.
Erstens sehe ich deutlich, dass sich seine Schultern und sein Brustkorb ungewöhnlich schnell heben und senken. Ich bin mir sicher, dass er gerade eben noch getobt hat.
Das sehe ich auch an einem zweiten Detail: Sein Nachttisch ist verrückt, und ich könnte schwören, dass er kräftig dagegen getreten hat. Dass fast alles, was auf seinem Nachttisch stand oder lag, jetzt auf dem Boden liegt, spricht auch dafür.
Und drittens starrt Greg konzentriert in ein Buch – und freiwillig würde er normalerweise nie lesen.
„Hey, Greg.“
Keine Reaktion.
Ich seufze und gehe zu ihm herüber.
Dabei frage ich mich, wie ich so blind sein konnte.
Aber auch jetzt kommt es mir noch so unwahrscheinlich vor.
Greg war noch nie in ein Mädchen verknallt. Er war andauernd scharf auf irgendwelche Mädchen, klar. Und er war dabei sogar ziemlich wahllos. Wobei wir uns nach wie vor sicher sind, dass er noch nie bei einem Mädchen landen konnte. Mädchen würdigen ihn ja nicht einmal eines Blickes. Theo, Blaise und ich waren alle schon mal der Meinung gewesen, verknallt gewesen zu sein. Letztendlich haben wir alle drei aber irgendwann bemerkt, dass wir es bisher nicht wirklich gewesen sind. Also, mal die Sache mit mir und Hermine ausgenommen. Wenn ich nicht richtig arg doll in Hermine verliebt bin, dann weiß ich echt nicht, was Verliebtsein sonst sein soll. Ich war auch bei ein paar meiner ersten Freundinnen der Meinung, in sie verliebt zu sein, habe aber ziemlich schnell gemerkt, dass es nicht stimmt. Auch Theo und Blaise haben ziemlich schnell begriffen, dass einem Mädchen näherkommen zu wollen nicht unbedingt heißt, auch in sie verknallt zu sein. Anfänglich haben wir das ziemlich durcheinander gebracht.
Aber Greg... Nein, ich bin mir sehr sicher, dass er bisher weder verknallt war noch dass er dachte, verknallt zu sein.
Aber dass er sich nun offensichtlich in Astoria verliebt hat, ist eigentlich kein Wunder. Ich meine, sie ist intelligent, sie ist wahnsinnig hübsch, und sie ist unfassbar freundlich zu Greg. Genau genommen ist sie das erste Mädchen, was ihm Beachtung schenkt. Sie verbringt auch ihre Freizeit mit ihm. Wie soll er sich da nicht verlieben?
Trotzdem hätte ich es niemals gedacht. Aber ich habe wohl vergessen, dass auch Greg ein Slytherin ist. Auch er kann perfekt eine Maske tragen.
Ich lasse mich auf die Bettkante sinken.
„Greg, tut mir leid Mann“, sage ich.
Wieder keine Reaktion.
„Gregory, komm schon. Ich habs kapiert, ok? Ich werde mit Theo und Blaise reden.“
Greg starrt weiter in das Buch.
„Merlin noch mal, jetzt leg das dämliche Buch weg, ich weiß, dass du nicht wirklich liest!“
„Woher willst du das wissen?“, knurrt Greg.
„Es ist ein Buch für Fortgeschritte über komplizierte Heilzauber, und es gehört Theo“, erkläre ich genervt.
Vermutlich hat er es sich schnell von Theos Nachttisch geschnappt, als ich reinkam.
„Na und?“, faucht Greg. „Und deshalb lese ich es angeblich nicht?“
Ich verdrehe die Augen.
„Greg, du hältst es falsch herum.“
Peinlich berührt lässt Gregory das Buch sinken und pfeffert es neben sich auf die Matratze.
„Was willst du?“
In diesem Moment öffnet sich die Tür und Theo und Blaise kommen herein.
„Was zur Hölle ist eigentlich los?“, fragt Theo.
Gregs Körperhaltung verändert sich sofort. Wütend verschränkt er die Arme vor dem Oberkörper und senkt den Blick.
Theo und Blaise, die immer noch nichtsahnend sind, kommen zu uns.
Theo setzt sich ans Fußende des Bettes und rutscht dann beiseite, damit Blaise sich neben ihn setzen kann.
„Greg, du hättest etwas sagen sollen“, wende ich mich wieder an Gregory. „Warum hast du nicht gesagt, dass du etwas für Astoria empfindest?“
„Tu ich doch gar nicht“, knurrt Greg.
„Was?“, entfährt es Theo und er schaut irritiert zwischen mir und Greg hin und her.
„Erzähl keinen Eulendreck. Du bist verknallt in das Mädchen und sagst keinen Ton? Statt dessen siehst du dabei zu, wie zwei deiner Freunde versuchen, sie rumzukriegen?“
„Ich bin nicht verknallt“, brummelt Greg.
„Ach, jetzt wird mir einiges klar“, kommt es perplex von Blaise.
„Ich bin nicht in Astoria verknallt“, verteidigt sich Greg noch einmal.
„Du brauchst dir wegen mir keine Sorgen machen“, sagt Blaise. „Ich habe kein Interesse an Astoria.“
Endlich sieht Greg auf. Er starrt Blaise finster an.
„Ist klar.“
„Ernsthaft!“ Blaise hebt abwehrend die Hände. „Kein Witz. Mein Interesse gilt Daphne.“
„Ausschließlich?“, frage Theo nun überrascht.
„Definitiv. Keine Ahnung, Leute, aber das Mädchen hat was. Sie macht es mir zwar gerade nicht leicht, aber das wird schon noch. Ehrlich, sie hats mir gerade echt angetan. Ich verstehe gar nicht, warum sie mir die ganzen Jahre nie aufgefallen ist.“
„Es spielt keine Rolle“, kommt es finster von Greg.
„Wieso spielt das keine Rolle?“, fragt Blaise irritiert.
„Weil es keine Rolle spielt. Du bist ja nicht der einzige.“
Theo versteht sofort.
„Mensch Greg, ich hatte doch keine Ahnung. Ich habe mich doch auch die ganze Zeit wegen Draco zurückgehalten, weil ich dachte, dass das mit ihm und Astoria vielleicht was werden könnte... Hätte ich gewusst, dass du ernsthaftes Interesse an ihr hast, hätte ich diese ganzen Sachen doch niemals gesagt.“
„Was Theo damit sagen will“, ergänze ich. „ist, dass er bestimmt nicht das Mädchen angraben wird, auf das du stehst, Greg.“
„Theo kann machen was er will.“
Ich blinzle.
„Was?“
„Theo kann machen, was er will. Es spielt keine Rolle.“
Ich tausche einen raschen Blick mit Theo.
„Was zur Hölle meinst du damit, Greg?“
„Das, was ich gesagt habe. Es spielt keine Rolle. Was bringt es denn? Es macht die Sache doch nicht besser. Astoria mag mich. Glaube ich. Aber als guten Freund oder wie einen großen Bruder oder so. Ich werde damit leben müssen, dass da irgendwann jemand ist, der...“
Er bricht ab und schweigt.
„Du weißt doch gar nicht, ob sie nicht Interesse hat oder noch Interesse entwickelt“, wundert sich Blaise.
Greg lacht hohl auf.
„Na sicher doch“, sagt er mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
„Probier es doch einfach“, sage ich.
„Nein. Ich werde ein guter Freund für sie sein. Das wars.“
Oh nein, bitte nicht. Nicht noch eine Freunschaft zwischen einem von uns und einem Mädchen, auf das derjenige steht. Ich habe erlebt, wie sehr einen das quält und in was für ein Gefühlschaos und in was für einer Katastrophe sowas mündet.
„Greg, versuch wenigstens dein Glück“, sage ich. „Sieh mal, es ist ganz einfach-“
„Es ist nicht einfach“, sagt Greg überraschend laut. „Zumindest für mich nicht. Vielleicht für euch. Ihr habt vielleicht leichtes Spiel. Aber ich bin nicht wie ihr, falls euch das noch nicht aufgefallen ist.“
Wir schweigen unsicher, denn wir verstehen, was Greg meint.
Er ist optisch nicht das, was die meisten Mädchen anspricht. Klar, da kann er was dran ändern. Er sagt ja selbst, dass er abnehmen will. Aber das dauert. Ich kann mir Greg auch gar nicht schlank vorstellen. Ich kenne ihn nur übergewichtig. Von klein auf. Als wir damals in der Dritten intensiv mit Sport begonnen haben, hat Greg sich etwas ausgeklinkt, während Theo und Blaise so ehrgeizig wie ich waren, wollten wir doch schon damals Mädchen beeindrucken. Ich hatte es sogar anfänglich am schwersten, da ich am Schmalsten von uns dreien gebaut war und intensiver trainieren musste, um Muskeln aufzubauen. Aber trotzdem hatte ich weit bessere Voraussetzungen als Greg.
Außerdem ist er etwas plump, was das Denken angeht. Er kann also ein Mädchen auch nicht mit einer klugen Konversation oder so beeindrucken. Und zu guter Letzt hat er wirklich absolut keine Ahnung, wie man mit Mädchen umgeht.
„Greg, vielleicht können wir dir Tipps geben“, schlage ich vor.
„Klar“, lautet die finstere Antwort. „Dann gebt mal dem einzigen Typen aus unserem Jahrgang, der noch nie ein Date hatte, Tipps. Viel Spaß.“
„Du bist nicht der einzige“, versuche ich ihn zu trösten. „Ich kann mich nicht erinnern, Dave jemals mit einem Mädchen gesehen zu haben.“
Greg schaut mich finster an.
„Witzig, Draco, ehrlich.“
Neben mir fangen Blaise und Theo an zu kichern.
„Hä? Was denn?“, frage ich, was die beiden dazu bringt, in schallendes Gelächter auszubrechen, während Greg mich immer noch regelrecht beleidigt anguckt.
„Ok, könnt ihr mir verraten, warum ihr mich auslacht?“, frage ich ärgerlich.
Blaise und Theo kriegen sich jetzt gar nicht mehr ein und lachen noch lauter.
„Oh, das ist so typisch Draco“, japst Theo. „Da ist das Fettnäpfchen – und er tritt nicht rein, er geht darin gleich eine Runde schwimmen.“
Blaise fängt daraufhin an, so stark zu lachen, dass er tatsächlich vom Bett plumpst, wo er liegen bleibt und weiter lacht, während Theo sich den Bauch hält vor lachen.
„Was zur Hölle ist mit euch los?“, fauche ich, wütend darüber, dass ich gerade zum Gespött werde.
„Oh Draco, du bist herrlich“, seufzt Theo und wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. „Du hast echt keine Ahnung, oder?“
„Wovon habe ich keine Ahnung?“, gifte ich.
Blaise richtet sich auf und schaut über den Rand des Bettes zu mir.
„Draco, Dave ist schwul.“
Einen Moment starre ich Blaise perplex an.
„Oh“, entkommt es mir dann.
Ich schaue Greg entschuldigend an.
Ok, ihn mit einem Jungen zu vergleichen, der noch nie ein Date mit einem Mädchen hatte, weil er gar nicht auf Mädchen steht, war wohl tatsächlich ein ungünstiger Vergleich.
„Woher sollte ich das wissen, bitteschön?“, frage ich verärgert.
Das bringt Blaise und Theo noch mehr zum Lachen.
„Oh, woher sollte er das wissen?“, spöttelt Theo. „Keine Ahnung, du gehst ja nur schon seit Jahren mit ihm zur Schule. Aber das ist mal wieder typisch für dich. Der große Draco Malfoy schaut nicht links und nicht rechts, er ist nur mit sich beschäftigt.“
„Das stimmt nicht“, grummle ich, aber vermutlich steckt da schon ein Körnchen Wahrheit drin.
„Außerdem“, ergänzt Theo. „spielst du sogar mit ihm in einer Quidditch-Mannschaft. Aber es wäre natürlich unter deinem Niveau, dich mit den Menschen in deinem Umfeld auseinander zu setzen, was?“
„Na und, dann spiele ich eben mit ihm Quidditch“, sage ich beleidigt. „Da interessiert mich doch, wie er spielt, nicht mit wem er vögelt.“
Theo und Blaise brechen erneut in Gelächter aus, und tatsächlich heben sich auch flüchtig Gregs Mundwinkel.
Ich versuche, seine bessere Laune auszunutzen.
„Das wird schon, Greg“, sage ich zu ihm.
Leider hat es nicht den gewünschten Effekt. Er schaut wieder finster.
„Wird es nicht. Und jetzt verpisst euch“, sagt er.
Ich schaue Blaise und Theo an und mache eine leichte Kopfbewegung Richtung Tür.
Die beiden werden wieder einigermaßen ernst und nicken, ehe sie aufstehen und leise den Raum verlassen.
„Als ich gesagt habe, dass ihr euch verpissen sollt, warst auch du gemeint, Draco.“
„Ach, rück mal ein Stück“, sage ich und rutsche neben Greg, der zwar mit den Augen rollt, aber tatsächlich beiseite rutscht, so dass ich mich neben ihn setzen und mich ebenfalls anlehnen kann.
„Tut mir leid, Großer.“
„Nenn mich nicht so.“
Ich bin erstaunt, wie zornig er klingt.
„Ok“, sage ich beschwichtigend. „Es tut mir leid. Ich hätte eher was merken müssen. Wir alle hätten es eher merken müssen.“
„Schon ok“, sagt Greg bitter. „Ihr habt eben euch und lebt in eurer eigenen Welt. So war das schon immer.“
„Was? Greg, red keinen Scheiß, du bist auch unser Freund.“
„Draco, du weißt selbst, dass es nicht das gleiche ist. Ich meine, Theo, Blaise und du, ihr seid wie füreinander gemacht. Ihr schaut euch nur an und es ist, als hättet ihr ausführlich miteinander gesprochen. Ich verstehe manchmal nicht mal alles, wenn ihr tatsächlich sprecht.“
„Greg...“
„Es ist manchmal nicht einfach. Auch, dass ihr es bis jetzt nicht gemerkt habt... Das mit Tori meine ich...“
„Es tut mir leid. Aber das mit uns dreien... das hat dich doch früher auch nicht so sehr gestört.“
„Nein“, sagt Greg fast ein wenig zornig. „Da hatte ich aber auch noch Vincent!“
Ich schweige betreten nach seinen Worten.
Ja, Greg und Vincent.
Ich habe viel Zeit mit den beiden verbracht – und irgendwann dann fast nur noch Zeit mit Theo und Blaise. Und es stimmt. Wir haben häufig was zu fünft gemacht, aber wenn ich mit Theo und Blaise was unternommen habe, hatte Greg immer Vincent. Und die beiden haben einfach sehr gut harmoniert.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll und bin ein wenig mit der Situation überfordert.
„Es war nie das gleiche“, sagt Greg. „Weißt du, was ich immer war und immer sein werde? Draco Malfoys dummes Anhängsel.“
„Hör auf Greg. Das ist nicht wahr. Du bist gerade frustriert wegen Astoria, und das verstehe ich. Aber lass uns dir helfen. Versuch es wenigstens.“
„Draco, hast du dir dieses Mädchen mal angesehen?“, fragt Greg gequält. „Sie ist optisch einfach eine Wucht. Und sie ist unfassbar klug. Ich traue mich kaum, was zu sagen, aus Angst, dass nur was Dummes aus mir rauskommt. Außerdem ist sie sowas von lieb, das habe ich echt noch nie erlebt.“
„Ja und? Und deshalb soll sie dich nicht mögen? Bist du vielleicht schon mal auf die Idee gekommen, dass ihr das Aussehen-“
„Oh nein, sag es nicht! Sag nicht, dass ihr das Aussehen vielleicht total egal ist. Du bist der Letzte, der mir erzählen kann, dass es ja immer nur auf den Charakter ankommt. Womit hast du die ganzen Mädchen immer beeindruckt? Mit deinem tollen Charakter? Weil du ja auch immer so nett zu ihnen warst, richtig? Sie haben dich gesehen und waren hin und weg und dann konntest du im Prinzip mit ihnen machen, was du wolltest.“
„Hmpf“, mache ich und bin nicht sicher, ob ich Greg zustimmen oder beleidigt sein soll.
„Bei Granger ist es natürlich was anderes“, sagt Greg etwas beschwichtigend. „Bei ihr wärst du nur mit deinem Aussehen vermutlich nicht weiter gekommen.“
Kurz schweigen wir.
„Greg, versprich mir, dass du es wenigstens versuchst. Mit unserer Hilfe.“
Greg seufzt.
„Komm schon Gregory Goyle! Bist du eine Schlange oder ein beschissener Regenwurm?“
Ich habe bewusst die Worte gewählt, die er mir gegenüber auch einmal in Bezug auf Hermine verwendet hat.
Es dauert einen Moment, dann zucken seine Mundwinkel leicht.
„Eine Schlange“, sagt er augenrollend und schmunzelt.
Und ich grinse zufrieden.






Friendship and other Disasters (Dramione) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt