Kapitel 10

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Georges PoV

Als ich meine Augen am Morgen öffnete und zu Clay herüberschaute war er natürlich nicht dort, denn es war bereits 10:34 Uhr. Vor einer halben Stunde kamen die Eltern und würden nun bis 12 Uhr bleiben. Normalerweise schloss ich mich selbst diese zwei Stunden lang irgendwo abgekapselt von all den Leuten ab, doch diesmal war mir nicht danach. Ich war es satt mich wie ein Haufen elend durch meinen Vater zu fühlen.

Seufzend streckte ich mich und stand auf, machte mich fertig und lief in die Halle nach unten zum Getränkeautomaten. Diesmal war es mir egal, dass sich wirklich alle dort befanden und ich seitlich wie ein Einzelgänger alleine stehen würde. Wie ein totaler Versager und Außenseiter.

Ehe ich die Halle betrat konnte ich schon durch den großen Eingang der Türe haufenweise Eltern mit ihren Söhnen sehen. Ich schluckte und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie es mich fühlen ließ. In meinen Augen besaß ich sowieso keinen Vater. Nur einen Mann, der sich ab und zu um die verursachte Scheiße eines Jungen kümmerte, um sein Gesicht zu bewahren und meins nicht sehen zu müssen.

Ich steckte die ein Euro Münze in den Automaten und wartete darauf, dass die Sprite Dose hinunterfallen würde. Ich nahm sie heraus und öffnete sie, während ich mich an einer der angebauten Säulen des alten Gebäudes anlehnte und durch die Menge schaute. Ich hörte erst auf zu suchen als meine Augen auf Clay trafen.

Seine Haaren waren nach hinten gestylt, er trug ein weißes Hemd und eine hellgraue Hose. Wollte er zum Vorstellungsgespräch oder wieso der Aufwand? Er trug ein beinahe schon Dauergrinsen in seinem Gesicht, was mehr als verstellt aussah. Bemerkten seine Eltern das etwa nicht? So wie sie aussahen vermutlich nicht? Oder fiel es nur mir auf, weil ich wusste, wie sein echtes Grinsen aussah?

Ich wusste zugegeben nicht viel über ihn und seine Eltern. Er hatte nur mal angedeutet, dass er sich so geben musste und keine andere Wahl hatte. Ich schätzte, dass wir beide wohl Probleme mit unseren Eltern hatten. Immerhin eine Sache, die uns miteinander verband, huh?

Aus dem Augenwinkel sah ich eine der Fachkräfte auf mich zukommen.
,,Es tut uns leid, aber dein Vater - ''
,, - ist nicht da, ich weiß'' unterbrach ich sie. Sie setzte ein mitfühlendes Lächeln auf und legte ihre Hand auf meine Schulter, ehe sie sich anderen Sachen wieder widmete. Ihr Mitgefühl brauchte ich nicht, von niemanden.

,,Seit wann lungerst du an diesem Tag hier herum?'' ertönte eine mir nur zu bekannte Stimme.
,,Seit wann kapseln sich deine Mutter so schnell von dir ab?'' entgegnete ich ihm. Nick war ein totales Muttersöhnchen. Wenn seine Mutter herkam hatte er nur noch Augen für sie.
,,Sie kann nicht so lange bleiben, sie muss mit Lily noch zu einem Arzttermin'' antwortete er, Lily war seine achtjährige kleine Schwester.

,,Wie geht es ihr?'' fragte ich.
,,Sie erzählt anscheinend bis heute noch stolz von dem Tag an dem sie sich durch dein Skateboard den Ellenbogen gebrochen hatte'' lachte er.
,,Das ist die Lily, die ich kenne!'' lachte ich. Nick und ich waren seit einem Jahr auf dem Internat und seit einem Jahr hatte ich Lily schon nicht mehr gesehen.

Nick kam auf das Internat nicht einmal, weil er etwas verbrochen hatte, sondern er kam freiwillig her - meinetwegen. Wir waren schon beste Freunde seit der Grundschulzeiten, er ließ mich nie im Stich. Zugegeben aber auch, weil er es hier wesentlich entspannter fand. Auch er hatte nicht das beste Verhältnis zu seinem Vater. Seine Eltern waren getrennt, doch sein Vater lebte noch bei ihnen.

,,Wie ich sehe hast du ihn noch nicht weg geekelt'' scherzte er, nachdem er meinem Blick zu Clay gefolgt war.
,,Das muss ich wahrscheinlich auch nicht.'' Irritiert schaute er mich an.
,,Er meinte, dass er nicht lange bleiben würde'' klärte ich auf.
,,Dann solltest du den ersten Schritt wagen, solange du noch kannst'' zwinkerte er mir zu.
,,Was?'' entfuhr es mir verwirrt.
,,Komm schon, George. Für deinen besten Freund ist es offensichtlich, dass er dir gefällt'' grinste er. Ich wusste, dass es nichts bringen würde es zu bestreiten.

,,Wir sind so verschieden wie Tag und Nacht'' entgegnete ich ihm.
,,Das hast du über uns auch mal behauptet'' lachte er.
,,Zudem du ihm auch gefällst'' sagte er.
,,Wie kommst du jetzt darauf?'' fragte ich verwundert.
,,Weil er jedes Mal herschaut, sobald du deinen Blick von ihm abwendest.''
Unglaubwürdig drehte ich mein Gesicht wieder zu Clay und erwischte ihn tatsächlich dabei, wie er mich anschaute, denn unsere Augen trafen direkt aufeinander. Trotz der weiten Entfernung fühlte es sich so verdammt nah an.


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Langsam aber sicher werden die Flügel entfaltet 🦋

All My SinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt