Kapitel 13

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Georges PoV

Ich hatte meine Zweifel, dass er wirklich kommen würde, doch das war er. Mir war bewusst, dass das Dach gefährlich war, doch gerade dieser Adrenalinkick ließ mich wissen, dass ich etwas fühlte. Ich war so in mich gekehrt, dass ich manchmal vergaß, wie sich Gefühle anfühlten, da ich sie verschlossen hatte. Es hatte mir nie etwas gebracht Gefühle zu zeigen.

Ich beobachtete ihn dabei, wie er sich auf den Ausblick fokussierte. So hatte ich auch geschaut als ich mich das erste Mal hier aufgehalten hatte. Meine Hand kribbelte noch immer von seiner. Ich fragte mich, was er dabei gefühlt und gedacht hatte. Normalerweise machte ich mir nie solche Gedanken, doch bei ihm wollte ich es wirklich wissen.

Als er hergekommen war konnte ich ihn nicht leiden. Gerade weil er jemand vorgab zu sein, der er nicht war. Inzwischen wusste ich mehr über ihn, doch nicht genug. Ich hatte das Gefühl ihn zu kennen, dabei wusste ich kaum etwas über ihn. Er neigte seinen Kopf zur Seite, seine Augen trafen direkt in meine.

,,Wie bist du auf die Idee gekommen aufs Dach zu klettern?'' fragte er mich.
Ich senkte meinen Blick, ehe ich ins Weite schaute.
,,Der Tag an dem mein Vater herkam'' fing ich an.
,,Ich wollte ihn weder sehen noch in seiner Nähe sein. Ich habe einen Ort gesucht, an dem mich niemand finden würde und der vierte Stock hat sich perfekt angeboten.''

Er musterte mich.
,,Was hat es mit deinem Vater auf sich?''
Automatisch seufzte ich, denn ich sprach nie gerne darüber.
,,Er hat sich noch nie wirklich für mich interessiert und nach dem Tod meiner Mutter sowieso nicht mehr.''

,,Und deine Eltern?'' fragte ich ihn nun.
,,Für sie zählt es einzig und alleine ein makelloses Verhalten dazulegen, um es im Leben weit zu bringen. Andernfalls ist das Leben eine reine Verschwendung'' erzählte er.
,,Deshalb verstellst du dich?'' Er nickte.
,,So wie ich wirklich bin, würden sie mich niemals akzeptieren. Dabei bin ich einfach nur ich und nicht diese perfekt aufgetischte Figur, die keinen einzigen Fehler wagt'', die Frustration war herauszuhören.

Gemeinsam starrten wir auf den Ausblick. Der Wind wurde langsam etwas kühler und zog an uns vorbei, was mir eine bittere, dennoch angenehme Gänsehaut bereitete.
,,Was meintest du damit als du sagtest, dass du nicht lange hier bleiben würdest?'' fragte ich. Es beschäftigte mich die ganze Zeit schon, denn er war tatsächlich der einzige Zimmergenosse, den ich leiden konnte.

Er konterte zurück, ließ sich nichts gefallen und auch wenn ich ihn anfangs nicht mochte sah ich inzwischen einen Freund in ihn. Einen Freund, der mich Dinge fühlen ließ an die ich mich nicht mal mehr erinnern konnte. Ich konnte selbst kaum glauben, dass ich nicht wollte, dass er ging.

,,Mein Plan war es so schnell wie möglich von hier wieder zu verschwinden, nach Hause'' riss er mich aus meinen Gedanken. Irritiert musterte ich ihn.
,,Wieso willst du nach Hause, wenn du dort nicht so sein kannst, wie du bist?'' fragte ich.
Er starrte mich an. Wissend, dass ich recht hatte.
,,Dort ist mein Leben, mein Zuhause...'' antwortete er.
,,Ist es wirklich dein Leben und dein Zuhause, wenn du dich dafür verstellen musst?''

Er seufzte.
,,Nein, aber welche Wahl bleibt mir denn?''
,,Bleib hier.'' Verwundert starrte er mich an.
,,Du willst, dass ich hier bleibe?'' fragte er.
,,Ja.''

Stille herrschte für wenigen Minuten, während wir uns noch immer anschauten.
,,Wolltest du mich nicht erst loswerden?'' fragte und neckte er mich zugleich wieder.
,,Ja'' antwortete ich.
,,Was hat deine Meinung geändert?'' Was meine Meinung verändert hatte? Offensichtlich er, doch das konnte ich niemals einfach so zugeben. So zuckte ich nur mit den Schultern.

,,Wie wurdest du hier oben eigentlich noch nie erwischt?''
,,Indem sich niemand für das Dach oder mich interessiert'' lachte ich.
,,Wärst du netter zu den Leuten würde sie dir auch Beachtung schenken.''
Ich wusste, dass er recht hatte. Aber würde sich wirklich jetzt noch jemand für mich von all diesen Leuten interessieren, nachdem was ich getan hatte?

,,Bei Niel könntest du anfangen'' sagte er.
,,Womit?'' fragte ich. Er neigte seinen Kopf mit einer hochgezogenen Augenbraue zur Seite.
,,Ich mache doch nur Spaß'' lachte ich.
,,Idiot'' grinste er kopfschüttelnd.
Niel hatte wirklich eine Entschuldigung verdient. Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch hier war, nach allem, was ich ihm angetan hatte.

,,Wir sollten langsam zurück, bevor die Lichter im vierten Stock ausgehen.''
,,Ausgehen?'' fragte er.
,,Ja, um Strom zu sparen wahrscheinlich. Daher haben wir noch ungefähr acht Minuten, wenn du nicht im Dunklen in der Nähe vom Rand herumspazieren willst.''
Sofort stand er schon panisch auf, woraufhin ich lachte. Er stolperte über seinen eigenen Fuß und landete direkt auf mir.

Mein Puls schoss sofort in die Höhe, das letzte und einzige Mal, dass wir uns so nah waren, war im Duschraum. Ich bekam meine Augen nicht mehr von ihm los sowie er seine nicht von mir. Er versuchte sich aufzurichten, doch wieder griff ich nach ihm und hielt ihn auf. Von seinem Shirt, an dem sich meine Hand befand, schaute er zu meinen Augen auf. Von meinen Augen zu meinen Lippen. Wieder befanden wir uns in diesem Moment.


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