Kapitel 18 - Schlafwandeln

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Enid's POV:

Tyler legte mit einem ekelhaft großen Lächeln den Anruf auf. Er war so stolz auf sich, wie ein kleines Kind, nachdem es das erste Mal allein sich seine Schuhe anzog.

- „Tja, jetzt ist nur noch das Warten angesagt." – schmiss er mein Handy mit einer eleganten Bewegung auf den Asphaltboden.

Das Bildschirm zerbrach, aber funktionieren tat mein Handy noch, weil ich mein Hintergrundbild mit der Uhrzeit darauf immer noch aufleuchten sah. Es war ein random Selfie von Wednesday und mir an dem Tag des Poe Cups letztes Semester. Wir standen am Ufer, beide in unseren Katzen-Kostümen. Wednesday guckte bitter in die Kamera, während ich mit einer Hand die Trophäe eng in meinen Armen hielt und mit der anderen das Handy bediente.

Noch eine Träne verließ meine Augen, als ich mich an diesen schönen Tag erinnerte. Aber ich hatte es schon so unglaublich satt zu weinen. Seit Stunden brannten meine Augen, mein Gesicht schwoll ebenfalls an, weshalb der Maulkorb immer mehr drückte, und juckte an beiden Seiten.

Und er sah nur zu. Er saß nur vor uns, spielte Angry Birds mit seinem eigenen Handy und zog Gesichter, während er seine Zunge seitlich raussteckte. Wenn er eine Runde verlor, zeigte er uns beide den Score, den er erreicht hatte.

Er wusste ganz genau, was er mit mir angestellt hatte. Er wusste ganz genau, was es bedeutete mir den Maulkorb aufzusetzen. Es war viel mehr als ein einfacher, inhumaner Scherz seinerseits. Das war pure Respektlosigkeit. Er wollte mich klein fühlen lassen. Mich demütigen. Er wollte, dass Wednesday sieht, was er alles mit mir machen kann, wenn sie sich auch nur für einen Moment wegdreht.

- „Scheiße! Immer diese verdammten Schweine!" – schüttelte er seinen Kopf mit einem Zahnstocher in seinem Mund.

Seine Missbilligung und Entwürdigung ließen mich nur noch rot vor meinen Augen sehen. Ich war gar nicht mehr verängstigt, ich spürte nur noch bloße Wut. Eine derartige Wut, die mich nicht stillhalten ließ.

Obwohl meine Beine fest zusammengebunden waren, hatten die Ketten eine neue Funktion, die die Seile nicht hatten. Sie waren überaus laut. Ich hob meine Fersen an und zuerst ließ ich sie ganz vorsichtig wieder auf den Boden fallen. Nur um die Lautstärke und Tyler's Reaktion zu testen.

Nicht genug.

Diesmal machte ich es nochmal mit Schwung, auf jeden Fall stärker als zuvor.

Keine Reaktion.

Nochmal. Immer noch nichts. Nochmal. Nichts. Nochmal. NICHTS. WARUM?!

Dann wollte ich das noch ein letztes Mal tun. Aber es war nicht nötig.

- „WAS VERDAMMT NOCHMAL IST DEIN PROBLEM?" – schrie mich Tyler an.

Da hatte ich ihn wieder. Seinen genervten, aber trotzdem verzweifelten Blick.

Mit verengten Augen schaute ich Tyler an, während er und Divina mich gleichzeitig unsicher anstarrten. Ich guckte ihn an, dann meinen Maulkorb. Ihn, dann den Maulkorb. Noch fünf weitere Male waren es, bis es mich verstand.

- „Oooooooh."

Er zog lächelnd seine Augenbrauen hoch und schüttelte dabei den Kopf, während er zu mir kam. Unser Blickkontakt blieb aufrechterhalten, denn er meine Entschlossenheit sehen musste.

- „Magst du ihn?" – machte er Pantomime um seinen Mund herum. – „Das ist mein sehr persönliches Geschenk an dich." – biss er auf seine Unterlippe. - „Der gehörte mir. In der Psychiatrie. Schöne alte Zeiten." – er seufzte und trat zu mir. – „Versprichst du mir eine gute Hündin zu sein?" - fragte er mich in einer mütterlichen Stimme. – „Ich kann dich nicht laut bellen lassen, das musst du verstehen."

Die Wenclair Story - Gegensätze ziehen sich an (In Bearbeitung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt